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Archiv-Artikel

Der dunkle Gott der Manager

Die politische Rhetorik dieser Tage behandelt die ganze Gesellschaft wie ein Wirtschaftsunternehmen – als ob alle Probleme durch Unternehmensberatung kuriert werden könnten! Systemtheoretische Anmerkungen zur aktuellen Reformdebatte

VON PETER FUCHS

Die Wirtschaft, die – wie man hört – sich in einer lang anhaltenden Krise befindet, scheint schlicht das dominante Phänomen dieser Gesellschaft zu sein. Sie steht am Abgrund und mit ihr der ganze Rest der Welt, all das, was nur durch die Wirtschaft möglich ist, aber ohne sie zusammenbräche. Zahlungen und Nichtzahlungen, Eigentum und Nichteigentum machen diese Welt aus. Mag sein, dass die Gefahr, in der der Rest der Gesellschaft schwebt, gewaltig ist; aber wo Gefahr ist, wächst, sagt der Dichter, das Rettende auch, und in diesem Fall ist es wiederum die Wirtschaft, die den weißen Ritter gibt und – damit sie retten kann – gerettet werden muss, durch sich selbst und natürlich: durch den Rest, durch das im Kern Unwirtschaftliche, das sich bewirtschaften lassen wollen muss.

Nun ist die Rede von „der“ Wirtschaft problematisch. Man erkennt das daran, dass man keinen Brief an sie richten kann. An den Weihnachtsmann und das Christkind kann man tatsächlich schreiben, nicht aber an die Wirtschaft. Sie ist, traut man der Systemtheorie, nichts weiter als die fortwährende Reproduktion der Differenz von Zahlung und Nichtzahlung und sonst nichts weiter, ein betriebener Unterschied, der wie alle Unterschiede kein Arrangement ist, das sich selbst überschauen könnte wie ein Subjekt oder ein als Subjekt genommenes Objekt. Eigentlich kann es ihr weder schlecht noch gut gehen, sie kennt keine Krise, denn ob sie es mit hohen Zahlungen zu tun hat oder nicht, das ist ihr gleichgültig oder besser: Sie ist (wie die Natur) einfach indifferent, denn wie alle Funktionssysteme und die Gesellschaft selbst verfügt sie nicht über eine repräsentierende Mitte, ein Auskunftsorgan, eine Postannahme- oder Versendestelle.

Unter solchen Umständen suchen die Leute, die mit Wirtschaft zu tun haben, ein Bild, in dem Zurechenbarkeit und Verantwortung (also im genauen Sinn: Antworten) gewährleistet sind, und sie finden dann an der Stelle der Wirtschaft Organisationen und manchmal Leute. Das Bild ist teuflisch prägnant, es rückt an die Stelle der Wirtschaft die Summe der Wirtschaftsunternehmen, und plötzlich kann man wissen, wer in der Krise steckt und wie man ihm helfen kann. Man muss sich ja nur die Gesellschaft (und alles, was sie übergreift) nach dem Bilde der Wirtschaft als ein Superunternehmen vorstellen, in dem es viele große und kleine Unternehmen gibt. Was fehlt, ist dann das Management und dessen Hofnarren (die Berater), die in den Bereichen der Gesellschaft, die noch nicht einem Unternehmen gleichen, ganz einfach das Vokabular und die Strategien des Managements (und wiederum: seiner Berater) einführen, womit dann der Patient aus einem Punkte kuriert werden könnte.

Eben diese Einfachheit der Perspektive lässt sich gegenwärtig beobachten: Längst ist damit begonnen worden, die dem Mega-Unternehmen Gesellschaft noch nicht eingemeindeten Sinnprovinzen zu Unternehmen mit mangelnder Effizienz zu erklären. Kunst, Politik, Wissenschaft, Erziehung, Recht, Religion, Massenmedien, Sport und Gesundheit – sie alle werden in ein Szenario der Wirtschaftlichkeit eingeordnet und ökonomisch (das heißt: nach dem Bilde des Unternehmens und nicht nach ihrer Eigenökonomie) beobachtet. So werden die Hochschulen mit Marketing, Leitbildern, die nichts weiter als umstandslose Disziplinierung von Personal erlauben, und mit Führung (der Rektor als Dienstherr mit der Funktion der Gleichschaltung von Intelligenz) überzogen, als handle es sich bei ihnen um Wissensfabriken, die Gewinn abwerfen und Verlust vermeiden sollen; SPD-Parteitage mutieren zu Vorstandssitzungen eines Konzerns, der sich mit Klatsch- und Standing-Ovation-Genossen ausstattet; politische Visionen werden auf ökonomische Bilanzierungen heruntergetrimmt. Einrichtungen der Wohlfahrt werden zu Wohlfahrtskonzernen, die den Markt der Leiden bearbeiten; Kunst wird danach beurteilt, wie viel Zahlungsbereitschaft sie organisieren kann, Kultur daran bemessen, wie viel massenmediales Echo sie so erwirken kann, dass sie sich rechnet. Erziehung ist keine Frage eines Ideals, sondern wird in Messbarkeiten transformiert.

Die Gesellschaft als Superunternehmen mit Sinnkontexten, die Subunternehmen sind (und das jetzt begreifen müssen), dieses Phantasma zeigt sich an den Sprachspielen der Organisations- und Unternehmensberatung, die sich gesellschaftsweit durchsetzen, phantasmatische Sprachspiele, die den anderen Sinn (von Wahrheit, Schönheit, Recht, Glauben etc.) durch eine Art ausschließender Inventarisierung absorbieren. Es sieht so aus, als könne man auf diese Weise das Unheil, die Aporie, das Unauflösbare durch Zielvereinbarungen auflösen, als sei die Welt, in der wir leben, ausschließlich pekuniäre Welt, die nach dem Muster von Wirtschaftsunternehmen (bis hin zu Fragen der Ethik) bearbeitet werden müsste. Und diejenigen, die dieses Sprachspiel nicht mitspielen, sind entsprechend hinter der Zeit, sind Romantiker, die Bilanzen durch vage und halbgare Träume ersetzen.

Das Schlimme ist, dass jenes Bild der Gesellschaft als Unternehmen (mitsamt den Unterunternehmen) einerseits alltagsplausibel ist. Schließlich werden Stadttheater und Jugendzentren geschlossen, weil kein Geld da ist (obwohl es woanders da ist), und nicht, weil man hätte messen können, was sie wirklich leisten, da ja niemand „Leistung“ messen kann – außer durch ihre Simplifikation auf hoch seltsame Zahlen. Andererseits ist dieses Bild schlichtweg falsch. Es trifft nicht die Komplexität der modernen Gesellschaft, sondern reduziert sie massiv auf den einen, den ausschlaggebenden Faktor der Ökonomie von Unternehmen. Dieser Augenfehler, diese exorbitante Täuschung der Sicht, unterscheidet die Gesellschaft nicht mehr von Organisationen, sondern baut ihr einen dunklen Gott ein, der aus der Betriebswirtschaft bezogen wird und alle Strippen der Gesellschaft zieht, obwohl diese Gesellschaft, wie man wissenschaftlich sagen kann, funktional differenziert ist. Das bedeutet nichts weiter, als dass die primären Funktionssysteme der Gesellschaft gerade nicht adressable Organisationen sind, sich nicht steuern lassen, nicht auf Anfragen antworten können, ja nicht einmal Fragen zur Kenntnis nehmen. Sie formieren eine „Landschaft“ der wechselseitigen Vorausgesetztheit.

Es liegt auf der Hand, dass keine Wirtschaftsoperation ablaufen könnte, ohne rechtlich geordnet zu sein, keine Rechtsoperation ohne ihr vorausliegende kollektiv bindende Entscheidungen (Politik), und natürlich auch, dass niemand zählen könnte, wenn er zahlen soll, ohne durch das Erziehungssystem instruiert worden zu sein. Man hat das „Kompossibilität“ genannt, ein „Miteinander-Können“, das aber auf Differenz und nicht auf Einheit beruht. Für Liebe kann man nicht zahlen, Erziehung funktioniert nicht wirtschaftlich, Kunstwerke kann man für Geld kaufen, aber nicht mit Geld machen, wissenschaftsförmige Erkenntnis ist auf Wahrheit angewiesen (auf die Produktion irrtumsfähiger Sätze), Depressionen behandelt man nicht mit Geld, und man hat bislang noch nicht schnell laufende Geldscheine, wohl aber Sportlerinnen gesehen.

Der Denkfehler vieler Leute besteht in der Annahme, dass all diese anderen Sinnverarbeitungsmöglichkeiten nur möglich sind, wenn ihnen Geld zugrunde liegt als Ursprung, als arché; und deswegen stellen sie sich die Gesellschaft hierarchisch vor, als eine heilige Ordnung, die sich aus einer Quelle speist und die deswegen insgesamt wie ein Unternehmen behandelt werden kann. Das ist simpel gedacht, insofern das Bild der Unternehmung nicht einmal stimmt, wenn man es auf ein Wirtschaftsunternehmen bezieht, das ja neben den Kommunikationsströmen der Wirtschaft auch die der Politik, des Rechtes, der Erziehung etc. organisieren muss und ohne die Kompossibilität dieser Ströme im Nu kollabieren würde. Die Gesellschaft ist kein Unternehmen, nicht einmal eine Organisation, und dasselbe gilt für ihre primären Funktionssysteme.

Man muss sich deshalb nicht durch das einschlägige Sprachspiel düpieren lassen. Vielleicht genügt es für den Anfang, seine Armseligkeit zur Kenntnis zu nehmen. Als Wissenschaftler bin ich für Prognosen nicht zuständig, aber dennoch vermute ich, dass in einigen Dekaden des homerischen Gelächters kein Ende sein wird, wenn man sich daran erinnert, dass damals die Leute geglaubt haben, die Gesellschaft sei wie ein Unternehmen eine steigerbare und hierarchisierbare Angelegenheit. Wie war es nur möglich, wird man sich fragen, diese komplexe Gesellschaft im Schema des Marketings zu denken? Und man wird auf die Väter und Großväter, die einst als Krawatten-Kurzärmelhemd-Handy-Desktop-ICE-und-Jet-Reisende dieses Bild der Gesellschaft für plausibel hielten, ein wenig gerührt, ein wenig mitleidig schauen und sich darum bemühen, das Lachen aus Taktgründen nicht zu laut werden zu lassen.

Der Autor, ein Schüler Niklas Luhmanns, ist Professor für allgemeine Soziologie und Soziologie der Behinderung in Neubrandenburg