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Archiv-Artikel

Wozu noch nach Israel?

Ohne die Idee des Zionismus, die Sammlung aller Juden in Palästina, wäre der Staat Israel nie gegründet worden. Heute jedoch steckt die zionistische Doktrin in der Krise: Der Fluss jüdischer Auswanderer mündet nicht mehr zwangsläufig in Israel, sondern immer stärker – ausgerechnet – in Deutschland. Die aus dem Zionismus abgeleitete offensive Politik der Rückgewinnung von Land steht zudem im Brennpunkt des Nahostkonflikts. Kann Israel es sich leisten, auf den Zionismus zu verzichten? Kann es sich leisten, nicht auf ihn zu verzichten?

von PHILIPP GESSLER

An diesem strahlenden Septembertag sprach der israelische Gesandte Mordechay Lewy zu Schülern aus Brandenburg über Großes: In einem abhörsicher anmutenden Besprechungsraum der Berliner Botschaft seines Staates ging es um den Zionismus und die Bedeutung Israels für die Juden aller Welt – zugleich ging es ganz offensichtlich über die Köpfe der märkischen Oberstüfler hinweg. Doch nach anderthalb Stunden war das Gespräch beendet, tropften die Schüler nach und nach durch die Schleuse hinaus in den Vorhof der architektonisch ambitionierten Vertretung im Villenviertel Dahlem. Da plötzlich war etwas anders. Leichte Hektik beim sonst so coolen Sicherheitspersonal der Botschaft: Flugzeuge sollen soeben ins World Trade Center von New York gerast sein. Flugzeuge? Ein Unfall? Terror etwa?

Die Terroranschläge des 11. September 2001 haben die Welt verändert, und neben den USA das stets bedrohte Israel vielleicht am meisten. Der Terror der „zweiten Intifada“ mit ihren Attentaten von Selbstmördern wurde noch mörderischer, die Reaktion der israelischen Politik noch brutaler und hilfloser. Im „Krieg gegen den Terror“ wurde Irak, unter Saddam Hussein Israels Dauerfeind, besiegt. Doch anders als von US-amerikanischen Chefdenkern vor dem Feldzug vermutet, hat sich dadurch die Sicherheitslage für die Bürger Israels nicht verbessert, im Gegenteil. Dafür griff die Scharon-Regierung das Schlagwort „Krieg gegen den Terror“ dankbar auf und begann, das Kernland vollends mit Zäunen und Mauern gegen potenzielle Attentäter abzusperren. Touristen dagegen wären noch willkommen, bleiben aber weg, mit der Wirtschaft geht es stetig bergab.

Der Staat Israel steckt in der Krise, verliert an Attraktivität. Und mit ihm auch die Idee des Zionismus, fast hundert Jahre alt und vertreten noch vom Gesandten in Berlin – eine Ideologie, nach der alle Juden überall zumindest mental dieses schmale Land der Levante brauchen. Doch wozu noch Zionismus?, fragen israelische Intellektuelle heute immer drängender. Wozu noch Israel?, fragen viele Juden in aller Welt.

Nun ist der Zionismus in gewisser Weise schon seit mehr als fünfzig Jahren in einer Krise – seit 1948 nämlich gibt es den von Theodor Herzl 1896 in einem gleichnamigen Buch geforderten „Judenstaat“ real, die scheinbar spinnerte Idee des Wiener Journalisten und Politikers ist also verwirklicht. Es bräuchte keine Zionisten mehr, wenn nicht der Zionismus und sein Appell des Zuzugs aller Juden der Welt ins Gelobte Land am Mittelmeer zugleich ein Teil der Staatsideologie Israels wäre – deshalb ist die Krise des Zionismus sowohl in Israel wie in der Diaspora, nicht zuletzt in Deutschland, zu beobachten.

Zunächst zu Israel. Ganz abgesehen davon, dass man das Land recht leicht lieben lernen kann, sei klargestellt: Die Welt braucht Israel. Als das einzige westliche Land des Orients, als die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten. Die so genannten Postzionisten in Israel kritisieren aber bei aller Loyalität zu diesem Staat Geburtsfehler des Zionismus, die gleich nach Gründung des Staates Israel, teilweise schon davor sichtbar waren: So sei die zionistische Idee des „Schmelztiegels“ im Laufe der Geschichte Israels de facto mit der Unterdrückung der orientalischen Juden einhergegangen. Die Postzionisten klagen, dass die zionistische Führung in der Kriegszeit nicht energisch genug gegen die Ermordung der Juden in Europa protestierte. Sie vermuten zudem, dass es eine Art Masterplan der Vertreibung der arabisch-palästinensischen Bevölkerung in Palästina gab.

Die Postzionisten verurteilen am Zionismus, dass er sich vor allem in der Negation der anderen als Nichtjuden, als Goyim, definiere – und sehen Zionismus vor allem als eine Variation des westlichen Kolonialismus. Der Nationalstolz der Zionisten auf Israel ist ihnen fremd. Sie betonen, dass das politische Projekt des Zionismus moralisch auf dem Recht aller Menschen auf Selbstbestimmung beruhte, der heutige Zionismus aber auf die Idee des alleinigen Rechts der Juden auf das Land Israel verengt worden sei, wie der israelische Historiker und Publizist Gadi Taub im November 2002 im Merkur schrieb.

Der israelische Schriftsteller Amos Oz, ausgezeichnet 1992 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, geht noch einen Schritt weiter: Israel habe eine Wahl zu treffen zwischen Zionismus als Befreiung der Menschen und Zionismus als Rückgewinnung von Land. Sollte es Zionismus als Rückgewinnung von Land wählen, werde sein Staat bei der Versklavung von Menschen enden – ebenso wie es die Deutschen während des Krieges im Osten planten, wie Oz polemisch ergänzt.

Es sind vor allem linke Israelis und vehemente Kritiker der Regierung Ariel Scharons, die mit der Entwicklung des Zionismus hart ins Gericht gehen. Exemplarisch ist da der ehemalige Knessetsprecher und heutige einfache Abgeordnete Avraham Burg von der Arbeitspartei. In einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung schrieb er vor ein paar Wochen: „Die zionistische Revolution ruhte seit je auf zwei Säulen: einem gerechten Weg und moralischer Überlegenheit. Keines von beiden trifft heute noch zu. Die israelische Nation stützt sich heute auf ein Gerüst der Korruption und ruht auf den Fundamenten von Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Und weil das so ist, steht das Ende des Unternehmens Zionismus bereits an unserer Türschwelle. Die unsere könnte die letzte Generation von Zionisten sein.“

Der Zionismus sei nur als moralisches Projekt für alle Menschen – gleichgültig welcher Herkunft und Religion – tragbar, das gelte auch für die Palästinenser, meint Burg. Dies aber sei derzeit nicht der Fall. Er folgert: „Die Superstruktur des Zionismus bricht bereits zusammen wie ein billiger Hochzeitssaal in Jerusalem.“ Der Politiker fordert deshalb eine neue Form des Zionismus: „eine Vision der Hoffnung, eine Alternative zur Vernichtung des Zionismus und seiner Werte durch die Tauben, Stummen und Herzlosen“.

Schon Arnold Zweig schrieb 1938 als Exilant in Haifa, dass die Einwanderung der Zionisten gegen den Willen der arabischen Majorität in Palästina nur dadurch zu legitimieren sei, dass diese jüdische Immigration gewaltfrei und aufgrund einer „moralischen Position“ vonstatten gegangen sei: „das passive Aushalten“ von Aggression durch Araber. Die „Aggression als Einwanderer und die Aggression der arabischen Terroristen“ hätten sich gegenseitig aufgehoben, so Zweig – wenn nun, wie damals geschehen, auch Juden Gewalt anwendeten, sei dieses Gleichgewicht gestört.

Diese Worte schimmern heute in einem besonderen Licht. Die Richtung ist die gleiche wie bei Oz und Burg: Nur mit Moral und gewaltfrei ist Zionismus auf Dauer lebensfähig. An beiden aber gebricht es der gegenwärtigen zionistischen Politik. Noch nicht einzuschätzen ist, wie die jüngsten Anschläge in Istanbul hier wirken. Klar ist, dass sie auch Israel und dem Zionismus galten. Offensichtlich ist, dass zumindest in Israel seit Jahrzehnten Gewalt nur Gegengewalt erzeugt.

Der Zionismus in der Krise? Zumindest was die Zahlen angeht, stimmt das, denn die Popularität dieser Idee lässt sich auch numerisch erfassen: durch die Menge der Menschen, die „Aliyah machen“, also als Juden in aller Welt nach Israel einwandern. Waren es noch bis Mitte der 90er-Jahre etwa hunderttausend Menschen, die jedes Jahr in den Nahoststaat als Juden immigrierten (und das bei einer Bevölkerung von nur etwa 6,2 Millionen Menschen im Kernland Israels), sinkt die Zahl seit Jahren. Im vergangenen Jahr wanderten nur noch etwa dreißigtausend Jüdinnen und Juden ein, wie Robert Guttmann, Vorsitzender der Zionistischen Organisation in Deutschland, berichtet. Das sei „sehr wenig“. Aus Deutschland siedelten 2002 laut Anat Carmel-Kagan, Leiterin der Jewish Agency in der Bundesrepublik, nur noch fünfundfünfzig Menschen nach Israel über – vor drei Jahren hatte ihre Zahl noch bei achtzig gelegen.

Als ein „Alarmsignal für den Zionismus“ wertete es die deutsch-amerikanische jüdische Zeitschrift Aufbau, dass für die russischsprachigen Juden aus den Ländern der GUS mittlerweile Deutschland das beliebteste Einwanderungsland geworden ist. Nicht mehr Israel, nicht mehr die USA, nein, ausgerechnet Deutschland, das Land der Nazimörder, war für 19.000 Menschen jüdischer Herkunft im zurückliegenden Jahr das Gelobte Land. Dabei waren es gerade die Juden aus der Sowjetunion und später der GUS, die seit Gorbatschows Öffnungspolitik ab Mitte, Ende der 80er-Jahre mit ihrer massiven Einwanderung nach Israel den Mittelmeerstaat veränderten. Mittlerweile sind fast ein Fünftel der jüdischen Bevölkerung Israels russisch-sowjetischer Herkunft – über eine Million Menschen.

Der jüdisch geprägte Staat braucht die Zuwanderung jüdischer Menschen auch aus ideologischen Gründen dringend. Schätzungen in der jüdischen Presse gehen davon aus, dass mindestens vierzigtausend Neuzuwanderer jüdischen Glaubens jährlich nötig sind, um den Anteil der Juden in Israel dauerhaft auf über achtzig Prozent zu halten (gegenwärtig liegt er bei etwa neunundsiebzig Prozent). Der Geburtenüberschuss der arabisch-palästinensischen Minderheit in Israel ist höher als jener der jüdischen Mehrheit. Wie aber ist die Ideologie eines jüdischen Staates zwischen Tel Aviv und Jerusalem aufrechtzuerhalten, wenn eines Tages mehr Nichtjuden in Israel leben als Juden? Und was heißt das für die Idee des Zionismus?

Die Gründe für die sinkende Einwandererzahl liegen auf der Hand. „Es macht nicht sehr große Freude, morgens aus dem Haus zu gehen, ohne zu wissen, ob man abends noch zurückkehrt“, umschreibt es Guttmann bitter. Natürlich haben die Selbstmordattentate, denen seit Beginn der „zweiten Intifada“ im September 2000 über neunhundert israelische Bürger – Juden und Nichtjuden übrigens – zum Opfer fielen, die Attraktivität Israels als Einwanderungsland stark reduziert.

Hinzu kommen Guttmann zufolge die Wirtschaftskrise in Israel, ein offenbar an Virulenz verlierender Antisemitismus in der GUS und die schlichte Tatsache, dass, wie alle Einwanderungsgruppen, natürlich auch die russischsprachigen Juden lieber dorthin ziehen, wo sie ein Netz ehemaliger Landsleute erwartet – und das ist in den jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik bald so dicht wie in Israel.

Außerdem haben die USA ihre Kontingente für jüdische Einwanderer aus der GUS drastisch verkleinert: Nur noch fünftausend Juden dürfen pro Jahr aus der GUS einwandern. Zwischen 1989 und 2002 kamen eine halbe Million ehemalige Sowjetbürger ins Land. Man spreche derzeit gern gegen den Zionismus, sagt Zionist Guttmann. Aber die russischen Einwanderer nach Israel hätten eh in der Regel „mit Zionismus wenig am Hut“ gehabt. Wie auch anders? Sie hätten ihren Glauben über Jahrzehnte nur schwer leben können, ja oft „keine Ahnung, was Zionismus ist“.

Mittlerweile sind auch in Deutschland zwei Drittel der etwa hunderttausend jüdischen Gemeindemitglieder „Russen“ – und wer sich hier etabliert hat, oft mit großen Mühen, hat wenig Interesse, weiter nach Israel auszuwandern, schon gar nicht aus ideologischen Gründen. Judith Kessler, die für die Jüdische Gemeinde zu Berlin eine Studie über die Ansichten und Bedürfnisse ihrer Mitglieder erstellte, urteilte jüngst öffentlich: Der Zionismus bedeute für die Neueinwanderer schlicht „null“.

Überhaupt gehe es den Zugewanderten bei den hiesigen jüdischen Gemeinden „vor allem um soziale Dienstleistungen, die sie von den Gemeinden einfordern – nicht um religiöse“, meint Judith Kessler. Eine Bedeutung der Ideologie Herzls gebe es bei ihnen deshalb „höchstens abstrakt. Sie sagen, wie eben die meisten Gemeindemitglieder: Toll, dass es Israel gibt, da kann man mal im Urlaub hinfahren.“ Härter drückt es der Aufbau aus, der in einer Titelgeschichte vor ein paar Wochen über die Lage in Deutschland schrieb: „Der Zionismus ist hier längst zum Lippenbekenntnis geworden.“ Israel – wozu?

Dennoch: Auch bei den etablierten Juden in Deutschland, die früher vielleicht auf „gepackten Koffern“ saßen, aber mittlerweile sich damit abgefunden haben, in Deutschland zu leben, bleibt Israel oft eine ideologische Heimat, besser: ein Rettungsboot. Mit zionistischer Begeisterung für das Land Abrahams, Isaaks und Jakobs hat das nicht mehr viel zu tun. Bezeichnend ist das Buch, das der neue Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, kürzlich in Berlin vorstellte: „Die fragile Grundlage. Auf der Suche nach der deutsch-jüdischen ‚Normalität‘ “. Von Israel ist da kaum die Rede.

Zwar betont der Frankfurter Architekt darin, dass er sich mit Israel „aus vielerlei Gründen besonders verbunden“ fühle. Das eigentliche Traumland aber waren für ihn die USA, wie er in schönen Sätzen beschreibt: „Ich habe jahrelang den fast kindlichen Wunsch gehegt, in die USA auszuwandern, weil sie, vielleicht auch geprägt durch die Nachkriegszeit, durch die hier stationierte amerikanische Armee, das Land meiner Träume waren. Als Kind dachte ich immer: Das Paradies befindet sich in Amerika.“ Nach Besuchen in den USA aber kam er schnell zum Schluss: „Das Paradies liegt nicht dort, und ich habe meine kindlichen Vorstellungen vom Paradies in der Ferne aufgegeben.“

Ist das Schwärmen für Israel vielleicht auch eine Generationenfrage? Auffällig ist, dass die Schoah-Generation hartnäckiger am Staat der Juden hängt. Eine Krise des Zionismus gebe es gar nicht, betont Charlotte Knobloch, die andere Vizepräsidentin des Zentralrats, die den Judenmord der Nazis mit einer falschen Identität überlebte. „Wir freuen uns über jeden, der nach Israel auswandert“, verkündet sie, was vielleicht auch an den geringen Zahl der deutschen Auswanderer nach Israel liegt. Bei Veranstaltungen zu Israel sei „die Solidarität ungebrochen“. Dieses Land sei für sie eine „geistige Heimat“, da sie erlebt habe, wie wichtig es sei, einen „Fluchtpunkt“ zu haben.

Der Historiker Julius Schoeps, Leiter des Potsdamer Instituts für europäisch-jüdische Studien, argumentiert ähnlich: „In gewisser Weise“ stimme es ja, dass der Zionismus unter den hiesigen Juden nur noch ein Lippenbekenntnis sei. Denn das ursprüngliche Ziel des Zionismus sei ja seit 1948 erreicht, ein jüdischer Staat auf historischem Boden. Vor allem den russischsprachigen Juden fehle aufgrund ihres geringen Wissens über das Judentum aber auch eine „geistige Fundierung“, die der Zionismus als „Kulturzionismus“ brauche.

Michael Wolffsohn, Historiker an der Bundeswehruniversität in München, sieht es genauso: Der Zionismus sei hierzulande seit Gründung Israels „immer ein Lippenbekenntnis“ gewesen. Und natürlich kennt er auch den jüdischen Witz, wonach ein Zionist ein Jude in der Diaspora ist, der einem anderen Juden Geld gibt, damit der jemandem hilft, nach Israel auszuwandern. Doch die Juden, die ins Gelobte Land zurückkehren, seien schon immer, nachzulesen bei Esra in der Bibel, in der Minderheit gewesen. Schon im Jahre 518 vor Christus sei nur ein kleiner Teil der in Babylon lebenden Juden wieder heimgekehrt nach Jerusalem.

Zudem seien die Zionisten gerade in Deutschland vor der Schoah und dem Zweiten Weltkrieg „eine bekämpfte Minderheit in der jüdischen Welt“ gewesen, erklärt Wolffsohn: Die „Ostjuden“ seien nicht wohlgelitten gewesen, weil sie die völlige Assimilation mit der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft verhindert hätten. Die Zionisten jedoch waren ebenso umstritten, weil sie wegen ihrer Liebe zu Israel/Palästina nicht als gute deutsche Patrioten durchgehen konnten und einen Schatten auf den Patriotismus der jüdischen Bevölkerung in Deutschland warfen.

Anat Carmel-Kagan von der Jewish Agency meint, es sei heute schwerer, sich als Jude in der Diaspora zu Israel zu bekennen: Viele seien nicht mehr „stark genug, das zu äußern“, da sie unter dem Druck der Mehrheitsgesellschaft stünden, ihre Treue zu dem Land zu betonen, in dem sie lebten. Während des Irakkriegs habe man in Europa erleben können, wie eine Antisemitismuswelle über den alten Kontinent geschwappt sei: „Der Krieg war gegen uns.“ Da sei es fast schon wieder üblich geworden zu sagen: „Israel und die Juden sind an allem schuld.“

Vielleicht wäre es ja auch nicht verkehrt, den Zionismus etwas niedriger zu hängen. Man verstehe ihn heute, sagt Guttmann von der Zionistischen Organisation in Deutschland, weniger als eine Aufforderung zur Ausreise nach Israel. Vielmehr definierte man ihn als das Bauen einer „Brücke“ zwischen den Israelis und den Juden in Deutschland. Die „Liebe zum Land“, so sagt es das Mitglied des Zentralrats der Juden, sei „sehr wichtig“. Schließlich sei Israel, im Gegensatz zur biblischen Prophezeiung Jahwes an Moses (Exodus 3,17), nie ein Land gewesen, wo Milch und Honig fließen. Dagegen war es immer ein „schweres Land“, für das man viel Idealismus habe mitbringen müssen. Brauchen wir noch Israel? Ja, aber wahrscheinlich brauchen wir auch mehr wahre Zionisten. Und ganz sicher mehr Idealisten.

PHILIPP GESSLER, 36, ist Redakteur der taz berlin