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Archiv-Artikel

Der Soziopath

Im Tatort „Väter“ gibt Axel Milberg seinen Einstand als Kommissar in Kiel. Der ist allein erziehender Vater und ein echtes Ekel (So., 20.15 Uhr, ARD)

von CHRISTIAN BUSS

Rund 25 Jahre ist es her, dass Axel Milberg seine Heimatstadt Kiel verlassen hat, um in München Schauspieler zu werden. Jetzt ist er zurückgekehrt, um im Norden einen neuen Ermittler einzuführen: Klaus Borowski, einen ziemlich unausstehlichen Typen, der seine Kollegen ohrfeigt und seine Therapeutin anbrüllt.

taz: Herr Milberg, der von Ihnen verkörperte Ermittler ist offensichtlich ein Soziopath. Zu wie viel Prozent ist er Arschloch, zu wie viel Prozent okayer Typ?

Axel Milberg: 70 Prozent Arschloch, 30 Prozent okay. Nein, im Ernst: Diesem Polizisten ist es egal, was andere denken; er arbeitet nicht, um gelobt zu werden. Sagt er jedenfalls. Allerdings wird er zunehmend sympathisch. Diese Lonely-Wolf-Nummer wird irgendwann langweilig. Ich will Borowski auf Dauer mit mehr Humor ausstatten. Sieht man einen dieser vielen muffeligen Ermittler im Fernsehen, soll der Zuschauer denken: Oh, interessanter Typ, der leidet bestimmt an der Scheußlichkeit der Welt. In einem Punkt gleicht Borowski tatsächlich den meisten TV-Kollegen: Ein Sexualleben ist ihm verwehrt. Man könnte sich allenfalls vorstellen, dass er ein Verhältnis mit der Polizeipsychologin anfängt.

Werden die zwei Sex haben?

Haben Sie Geduld! Ich habe mit Borowski noch nicht darüber gesprochen. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen: Natürlich würde es mir gefallen, wenn Borowski glücklich verheiratet ist und mit Nachbarn Grillfeste veranstaltet. Dass es noch nicht so ist, heißt nicht, dass wir nicht irgendwann dahinkommen. Wer sagt denn, dass die Abwesenheit von Glück die Voraussetzung für berufliche Energie bildet. Vielleicht ist Borowski irgendwann ein glücklicher Mensch und guter Ermittler zugleich.

Kiel ist Ihre Heimatstadt. Hat sich Wehmut eingestellt?

Ja, aber sie weicht immer mehr. Ich fühlte mich in Kiel ja auch beengt, wollte immer diesen komischen Beruf des Schauspielers ergreifen. Ich war ein Tagträumer, ein Hans Guck-in-die-Luft. Ich bin ja norddeutsch-protestantisch aufgewachsen, nach dem Motto: Junge, halt mal den Ball flach! Da entwickelt man diese kleinen Träume und großen Kauzigkeiten. Man riet mir damals: Werde doch Lehrer und mach nebenbei die Theater-AG wie Herr Leonhardt.

Ist es nicht seltsam, dass das Revier des Bullen das Revier Ihrer Jugend ist?

Sagen wir so: Die „magischen Bezirke der Jugend“ werden langsam erlöst. Die Orte werden von den Erinnerungen und Sentimentalitäten befreit. So, als hätte ich vor meinem Leben in München schon ein Leben gehabt, das sehr weit weg ist. Als hätte ich – wie der Protagonist einer Theodor-Storm-Novelle – Kap Hoorn umsegelt. Ich gehe wie ein Fremder durch diese Stadt mit dem Seesack auf dem Rücken und denke: Was, all diese Menschen und Straßen gibt es noch?

Die früheren NDR-Tatorte mit Klaus Schwarzkopf sind ein schweres Erbe. Haben Sie sich die noch mal angeschaut?

Nein. Vielleicht auch deshalb, weil ich Angst hatte, dem Charme von Klaus Schwarzkopf und diesen wunderbaren müden Farben der 70er-TV-Produktionen zu verfallen. Trotzdem überwiegt – wie ehedem – ein ruhiger Erzählton. Man kann sich Borowski nicht bei Verfolgungsjagden vorstellen. Es wäre falsch, die Zurückhaltung im ersten „Tatort“ als „stilprägende norddeutsche Ruhe“ zu deuten. In der gerade abgedrehten zweiten Folge kriege ich richtig eins in die Fresse. Ich könnte mir auch vorstellen, dass sich Borowski Muskeln antrainiert. Dass er richtig in die Mangel genommen wird.

Bislang hat man Sie allerdings nicht für einen Body-Actor gehalten …

Man unterschätzt mich oft. Ich mache gerne Stunts. Natürlich muss die Notwendigkeit für Action aus der Geschichte selbst kommen. Und die dargestellte Gewalt – sehen Sie „Funny Games“ von Michael Haneke – muss wehtun. Deshalb habe ich auch darauf gedrängt, dass die Szene in unserem ersten „Tatort“, in der ein Polizist stirbt, auch wirklich schmerzt.

Ist „Tatort“ also auch ein Befreiungsschlag für den Axel Milberg, den man auch schon mal in den Familienschmonzetten der Degeto sieht – Filme, die oft ein restauratives Weltbild vermitteln?

Es gibt solche und solche Filme von der Degeto. Da würde ich mir kein Pauschalurteil anmaßen. Es ist eine der wenigen Produktionsgesellschaften, die in unseren Zeiten der Cholera noch über Geld verfügen. Aber es kann einem schon mal passieren, dass man in eine Produktion reinstolpert, die ein allzu heiles Weltbild vermittelt. Wenn das passiert, versuche ich mich an das so genannte wirkliche Leben zu erinnern.