: Der große Bruder in Zehlendorf
Bei den Mitarbeitern von eBay, dem größten Auktionshaus im Netz, wird alles überwacht, von der Zigarettenpause bis zur privaten Feedback-Rate. Während die Firma in Dreilinden stolz auf ihre Unternehmenskultur ist, kämpfen die Mitarbeiter gegen Personenkult und längere Arbeitszeiten
von WIBKE BERGEMANN
Wenn Pierre* sich morgens an seinen Arbeitsplatz setzt, schaltet er den Computer an, schaut seine Dienstmails durch, das Übliche eben. Unüblich ist dagegen sein Arbeitsplatz. Pierre arbeitet nicht irgendwo, sondern beim Online-Auktionsportal eBay, dem „weltweit größten Online-Marktplatz“, wie es in der Eigenwerbung heißt.
Und so beginnt Pierres Arbeitstag als Erstes damit, dass er sich in den Activity Manager einloggt, eine Software, die alle seine Arbeitsabläufe über den Tag begleitet. Der Activity Manager funktioniert als Stechuhr und zugleich als Kontrollsystem. Jede seiner Handlungen hat Pierre hier zu protokollieren: seine Arbeitsschritte und die Zeit, die er dafür braucht, sein Gang auf die Toilette oder die Zigarettenpause. Zeit für zwischendurch, beispielsweise zum Checken der privaten E-Mails, ist natürlich nicht vorgesehen. Selbst die geringsten Nebentätigkeiten, wie etwa das Kommunizieren mit Kollegen über Outlook, müssen eingetragen werden. Nichts soll dem Auge der Chefs entgehen.
Üblich, oder nicht? eBay-Pressesprecher Joachim Güntert jedenfalls findet die Kontrolle ganz normal: „Bei 440 Mitarbeitern und 16.000 zu bearbeitenden E-Mails pro Tag braucht man standardisierte Instrumentarien, um dafür zu sorgen, dass die Arbeitslasten gleichmäßig verteilt sind.“ Gleichzeitig schwärmt Güntert gerne vom guten Arbeitsklima, das die Arbeit in dem Unternehmen präge: „Das Grundprinzip Vertrauen bleibt gewahrt.“
Pierre dagegen fühlt sich eher an George Orwell erinnert: „Man wird nicht als Mensch, sondern als eine Datei betrachtet. Und der Computer überwacht dich.“ Motivierend sei das nicht gerade: „Ich weiß, wir sind ein Team, und wenn ich weniger arbeite, müssen die anderen mehr machen. Aber bei diesem Überwachungssystem kriegt man Lust, es zu überlisten. Das ist eine normale Reaktion.“
Der 26-jährige Franzose hatte sich während eines Erasmus-Jahrs in Berlin verliebt. Vor einem Jahr hat er angefangen, in der französischsprachigen Kundenbetreuung bei eBay zu arbeiten. Seitdem kommt er aus dem Staunen über die aus den USA importierte Unternehmenskultur nicht mehr heraus: Jeder Mitarbeiter trägt neben dem magnetischen Türöffner immer eine scheckkartengroße Plakette mit sich herum, auf der die zwölf „values“ und „beliefs“ des Unternehmens formuliert sind. Unter den Mitarbeitern heißt das Ding auch „unser Morgengebet“, erzählt Pierre. Darin finden sich so schöne Sätze wie „Es kommt auf die Menschen an“ oder „Wir glauben, dass Menschen grundsätzlich gut sind“.
„Das klingt so wie ein Glaubensbekenntnis“, gibt Pressesprecher Güntert zu. Die Werteliste gebe aber einen gewissen Rahmen für diejenigen, die neu zu eBay kämen. Und hilft wohl auch den Alteingesessenen: „Ich habe sie dabei. Nicht weil ich sie auswendig gelernt habe, sondern damit ich sie nicht vergesse“, so Güntert.
Die offene und familiäre Unternehmenskultur gehört zu den Klischees der New Economy. „Wir glauben, dass jeder etwas beizutragen hat“, lautet ein weiteres „value“ auf der Mitarbeiter-Plakette. Natürlich duzen sich bei eBay alle, vom Praktikanten bis zum Chef. Allerdings hat Pierre seine Zweifel, ob das die Kommunikation vereinfacht. Während des Studiums hat er einen Bürojob in einer klassischen Firma gemacht, wo die Chefs noch gesiezt wurden. „Natürlich war das auch manchmal nervig. Aber ich glaube, ich konnte da meine Frustration bei der Arbeit besser besprechen als bei eBay, wo immer alle sagen, es ist toll hier, wir verstehen uns alle gut. Denn Chef bleibt trotzdem Chef.“
Für gewöhnungsbedürftig hält Pierre auch den Personenkult, der um die Chefs bei eBay gemacht wird. Vollversammlungen, die so genannten Frontline-Foren, würden wie Show-Spektakel inszeniert, bei denen sich die Vertreter der oberen Etagen für steigende Zahlen feiern und beklatschen lassen. Der Besuch der amerikanischen eBay-Chefin Meg Whitman wurde gar zum Auftritt eines Superstars glorifiziert. „Die pure Propaganda“ sei das, meint Pierre.
Auch Hannes* findet das ungewöhnlich. Angewidert erzählt der Kollege von Pierre von den internen Oscar-Verleihungen, bei denen fleißige Mitarbeiter für ihre vorbildliche Leistung geehrt werden. Sogar eine besonders hohe Feedback-Quote wird von der Unternehmensleitung belohnt. Wer die meisten positive Rückmeldungen nach An- und Verkäufen über eBay hat, bekommt schon mal ein Geschenk überreicht.
Dabei hat das Handeln auf der Internet-Seite wenig mit dem eigentlichen Job der eBay-Kundenbetreuer zu tun. Hannes sieht darin einen Eingriff in seine Privatsphäre. „Ich habe ein Sozialleben. Nach acht Stunden bei eBay setze ich mich nicht an den Computer, um bei eBay zu kaufen und zu verkaufen. Es ist meine Sache, was ich mit meinem Geld mache“, verteidigt Hannes seine beschämend niedrige Feedback-Zahl.
Aber auch er muss zugeben, dass das Gefühl der Firmenzugehörigkeit bei vielen sehr stark sei. Bei manchen Kollegen hat Hannes sogar das Gefühl, dass sie sich 24 Stunden am Tag mit eBay beschäftigten. Die hohe Identifikation mit dem Betrieb wird von der Unternehmensleitung auch gefordert. Hannes wurde bereits von einem Manager für sein offensichtlich geringes Interesse kritisiert, eBay als Kunde zu nutzen. „Der hat uns gesagt, es ginge nicht, dass unser Team im Vergleich so eine geringe Feedback-Quote habe. Wir sollten doch bitte mehr kaufen.“
Doch trotz der mitunter fragwürdigen Arbeitsbedingungen regt sich nur wenig Widerstand. Meike Jäger, Projektmanagerin bei dem Ver.di-Projekt Connexx AV, sieht einen Grund darin, dass in einem Unternehmen wie eBay jede Kritik an den Arbeitsbedingungen sehr schwierig sei. Schnell laufe man dabei Gefahr, sich auszugrenzen. Bei eBay seien derzeit etwas mehr als 5 Prozent der Mitarbeiter Mitglied in einer Gewerkschaft.
Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Gael Chardac weiß auch um andere Schwierigkeiten. Laut einer Umfrage sind 25 Prozent der Beschäftigten an einem Teilzeit-Modell interessiert. Dennoch verweigert die Geschäftsführung bislang jede Reduzierung der Arbeitszeit.
Zudem wurden sehr kurzfristig in einigen Abteilungen Zehn-Stunden-Schichten eingeführt. Der Betriebsrat will nun wenigstens erreichen, dass Mitarbeiter wählen können, wie lange sie am Stück arbeiten wollen.
So wird es wohl so etwas wie eine Privatsphäre für eBay-Mitarbeiter auch weiterhin nicht geben: Allen Mitarbeitern wird zwar schriftlich zugesichert: „Auf Ihre privaten Nachrichten hat selbstverständlich niemand außer Ihnen Zugriff.“ Doch als im vergangenen Jahr ein Mitarbeiter die Begründung zu seiner Kündigung schriftlich per Outlook an alle Beschäftigten verschickte, war die für die Geschäftsführung unbequeme Mail sehr schnell aus den privaten Posteingängen wieder verschwunden – über Nacht zentral gelöscht.
Denn vor einem externen Zugriff auf den eigenen Rechner sind die eBay-Mitarbeiter nicht sicher. „Hin und wieder erscheint auf meinem Bildschirm ein kleines Fenster: Ihre Daten werden auf einen anderen Server heruntergeladen“, berichtet Pierre.
Pressesprecher Güntert wiegelt ab, die IT-Abteilung könne zentral auf die Rechner zugreifen, um sie zu warten und beispielsweise eine neue Viren-Software zu installieren. Allerdings wolle er nicht ausschließen, dass sich dabei auch feststellen ließe, ob „jemand seine Arbeitszeit erheblich missbraucht“.
Wie auch immer, Pierre fühlt sich beobachtet. Bis zum Frühjahr sei es möglich gewesen, externe Zugriffe zu verweigern, für jedes fremde Einloggen war eine Einwilligung per Mausklick erforderlich. Doch mit der Einführung einer neuen Software ist auch diese Einrichtung weggefallen. Pierre bleibt nur der Sarkasmus: „Immerhin lassen sie dich noch per Pop-up-Text wissen, wann sie dich überwachen.“
* Namen geändert