: Obsessionen mit Begleitmusik
Naht ihr euch wieder, huschende Gestalten? Lems Sci-Fi-Klassiker „Solaris“ als Oper
Ein Toter liegt in einer Tiefkühltruhe, Wände bewegen sich und kriegen unheimliche Ausbuchtungen. Blut rinnt aus dem Boden, in Plasik gehüllte Mädchen torkeln wie Skulpturen über die Bühne. Eine dicke blonde Frau huscht durch die Szene… Ein Film nach einer Vorlage des Geistermeisters Stephen King?
Könnte schon sein, jedenfalls hat Regisseur Freo Majer für seine Inszenierung von Michael Obsts Kammeroper „Solaris“ sich kräftig von derartigem Gruselkram inspirieren lassen. Dafür haben er und die Ausstatterin Silke Kosbü das Concordia so aufgebaut, dass man sich in ein großes Theater versetzt glaubt: Auf dem Planeten und der Raumstation „Solaris“ ereignet sich, frei nach dem meisterhaften Science-Fiction-Roman von Stanisław Lem Besorgnis Erregendes. Der Psychiater Kris Kelvin wird auf die Station gerufen. Deren Personal fängt an, durchzuknallen.
Auch ihn selbst holt es ein: Ihm erscheint seine Geliebte, die er vor Jahren verlassen und die daraufhin Selbtsmord gemacht hat. Putzmunter und anspruchsvoll steht sie auf einmal vor ihm. Der Grund: Der zu erforschende Ozean ist selbst ein gigantisches Gehirn. Zwischen dem philosophischen Ansatz des Filmes von Andrej Tarkowskij (1972) und Steven Soderberghs psychoanalytisch angehauchter Hollywood-Version (2002) wählt Majer eine direkt anrührende Art: Er untersucht, wie man unter solch psychischen Anspannungen einen anderen Menschen wahrnimmt, und wie Obsessionen und Wahnvorstellungen sich ausbreiten.
Es gibt Musik, die ist so kräftig, dass keine Inszenierung ihr etwas anhaben kann. Es gibt aber auch Musik, die lebt nur, wenn die Szene ihr Leben einhaucht. Im Falle dieses 1996 in München uraufgeführten Werkes handelt es sich eher um letzteres: Die für kleines Ensemble und elektronische Klänge geschriebene Partitur ist ungemein beliebig.
Sie unterstützt mehr oder weniger geschickt die Atmosphäre. Zu einem stringenten Stil findet sie nie und in manchen Passagen ist sie dabei so langweilig, dass nicht einmal dem ansonsten einfallsreichen Regisseur noch etwas dazu einfällt. Die zehn MusikerInnen der Bremer Philharmoniker blieben unsichtbar hinter der Bühne. Über Monitore wird das Bild des Dirigenten Stefan Klin übertragen.
Der lebenspraktische und handfeste Kevin wird blendend gespielt von George Stevens – eine ideale Besetzung. Günther Groß als schon komplett verwirrter Forscher Sartorius und Karsten Küsters als lautstarker, besserwisserischer Forscher Snaut, Irina Wischnizkaja als herrlich direkte Harey: streckenweise beste Unterhaltung, die mit intensivem Beifall belohnt wird. Ute Schalz-Laurenze
Michael Obst, Solaris. Nächste Aufführungen: 11., 16. und 22. November, Concordia, jeweils 20 Uhr. Am 14. sowie vom 16. bis 18. November läuft Andrej Tarkowskijs Film „Solaris“ im Kino 46.