: Don Crevelds allerletzter Kampf
Martin van Creveld ignoriert die Benachteiligungen von Frauen und kommt so zum fantastischen Ergebnis: Sie sind das „bevorzugte Geschlecht“
Martin van Creveld ist Militärhistoriker. Renommiert. Pentagon-Berater. Das Militär steht für eine extreme Polarisierung der Geschlechter. Mit dieser Perspektive ist der israelische Strategie-Analytiker nun zum selbst ernannten Gender-Spezialisten mutiert und hat ein Buch über Frauen geschrieben. Wer befürchtet, dass das eine unglückliche Konstellation ist, der hat leider Recht.
Schon einmal hatte das Thema van Creveld gereizt: 2001 bewahrte er das Militär vor dem unerwünschten Eindringen des weiblichen Geschlechts, indem er Frauen insgesamt für kriegsuntauglich erklärte („Frauen und Krieg“). Da war er quasi noch in seinem angestammten Element. Nun aber fühlt er sich berufen, das gesamte von Feministinnen aufgeworfene Geschlechterproblem in einer heroischen Einzeltat zu lösen. Dafür betreibt er auf 400 Seiten grandiosen Aufwand – mit kläglichem Ergebnis. Kreuz und quer durch die Weltgeschichte und über sämtliche Kontinente verteilen sich seine „Belege“ für die erschütternd simple Erkenntnis: Das Beste für alle ist die traditionell polarisierte Rollenverteilung. Vor allem das Beste für die Frauen. Denn sie waren schon immer „das bevorzugte Geschlecht“. Das kann man natürlich nur behaupten, wenn man einige eklatante Benachteiligungen von Frauen ignoriert, andere uminterpretiert und den Rest für unerheblich erklärt. Dann spricht einiges für Crevelds Credo.
Das Muster lautet: Feministinnen beklagen die Unterdrückung der Frau, dabei werden Frauen doch oft geschont! Das ist zwar kein Widerspruch, aber Creveld tut einfach so. Der Hauptteil seiner Materialschlacht widmet sich diesem Kampf nach Art des Don Quichote: Mädchen werden weniger hart als Jungen erzogen, werden verwöhnt, dürfen weinen. Frauen müssen sich nicht selbst ernähren – und ihre Familie schon gar nicht, das wird vom Mann erwartet. Sie haben leichtere oder gar keine Berufe, arbeiten Teilzeit und „vergnügen“ sich den Rest des Tages mit leichter Hausarbeit oder Kindererziehung.
Frauen werden vor Gericht nicht für voll genommen und deshalb milder bestraft. Sie müssen nicht in den Krieg ziehen. Sogar beim Sex dürfen sie sich entspannen und warten, was kommt, während der Mann sich abrackert. Vor lauter Plackerei stirbt der Mann schließlich früh und unerlöst, denn er musste sich einen seelischen Panzer zulegen, um sein hartes Leben zu ertragen. Na, wer ist da schlimmer dran? Hm?
Dass Frauen dennoch klagen, schreibt van Creveld ihrem natürlichen Hang zum Beschweren zu: Sie sind nun mal schwächer als Männer und versuchen, Aufmerksamkeit zu erlangen, indem sie Männern permanent ein schlechtes Gewissen einreden wollen. Der Feminismus der Siebzigerjahre sei nur eine weitere raffinierte Auflage der femininen Nörgel-Tradition. Wenn die Damen nicht mehr hysterisch werden können, weil diese eingebildete Krankheit aus der Mode kam, erfinden sie flugs die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, um Männern das Leben schwer zu machen. Solche Sottisen gehen stellenweise übel unter die Gürtelinie. Etwa wenn der Autor „sexuell erfahrenen“ Frauen abspricht, dass sie eine Vergewaltigung als Gewaltakt wahrnehmen. Schließlich wüssten sie doch schon, wie es geht.
Leider schert van Creveld sämtliche feministische Anliegen nur über einen einzigen Kamm. Dabei geht verloren, was hoch interessant hätte sein können. Die Differenzierung nämlich zwischen weiblicher oder feministischer Larmoyanz und dem zweifelsohne dennoch vorhandenen Machtgefälle, das selbstverständlich mit Diskriminierungen einhergeht, leistet der Autor nicht im Geringsten. Und da würde es eigentlich erst spannend.
Kaum eine der heutigen Geschlechter-Forscherinnen würde bestreiten, dass die Siebzigerjahre-Autorinnen Millett, Brownmiller oder Greer, die van Creveld mit Vorliebe zitiert, unter anderem auch einen schwer erträglichen selbstgerechten Opferdiskurs pflegten. Doch ist eben auch dieser Diskurs mittlerweile gründlich kritisiert und dekonstruiert – von ebenfalls feministischen Autorinnen. Die zitiert van Creveld zwar, ordnet sie aber nicht dem feministischen Lager zu. Das Feindbild muss hübsch übersichtlich bleiben. So reitet Don Creveld gegen Windmühlen aus den Siebzigern – und meilenweit an der aktuellen Diskussion vorbei.
Fataler als diese amüsante Konstruktion ist, dass van Creveld sich eine Machtanalyse spart – für einen Historiker eigentlich ein Unding. Aber bei ihm passen Macht und Frauen offenbar ebenso wenig zusammen wie Krieg und Frauen.
Schließlich teilen auch Feministinnen durchaus die kritische Analyse: dass Frauen geschont werden und Männer getriezt. Nur sehen sie einen anderen Hintergrund. Für sie sitzen Frauen damit in einem goldenen Käfig, werden zur Machtlosigkeit erzogen, bis sie in Depressionen oder hysterische Krankheiten fliehen. Selbstverständlich schlagen sie aus ihrer inferioren Position Vorteile heraus und wollen diese Position auch oft nicht verlassen.
Doch ein Subjekt, das sich offenbar in der Machtlosigkeit häuslich eingerichtet hat, ist kein Gegenbeweis für die Ungleichverteilung von Macht. Mit diesem Teil der Analyse setzt van Creveld sich gar nicht erst auseinander. Es ist ein vollständig apolitischer Blick auf die Geschlechterordnung. Wer aber die Machtfrage konsequent ignoriert, setzt sich mit der dezidiert politischen Bewegung, deren erklärtes Thema die Machtfrage ist, nicht auseinander.
Erfrischend an diesem Buch ist nur zweierlei: Immer mehr Männer erkennen, dass auch sie in ihrer Rolle nicht besonders gut dran sind. So auch Herr van Creveld. Das ist begrüßenswert. Und: Frauen, die zur Larmoyanz neigen, haben hier ein hübsches Antidot. Die van Creveld’sche Verkehrung der Perspektive erschüttert immer noch so manches tief eingegrabene Urteil à la: Die Frauen sind immer schlecht dran. Das sind sie nicht, jedenfalls nicht in westlichen Industrieländern. Für diese Erkenntnis muss man jedoch van Crevelds Buch nicht lesen. HEIDE OESTREICH
Martin van Creveld: „Das bevorzugte Geschlecht“. Aus dem Englischen von Karin Laue und Ursula Pesch. Gerling Akademie Verlag, München 2003, 496 Seiten, 29,60 €