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Archiv-Artikel

Was guckst du? Bist du schwul?

Ein hoher Prozentsatz der Gewalt gegen Schwule wird von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis verübt. Das Problem wird tabuisiert, seine Thematisierung ist politisch nicht korrekt. Stattdessen wird gefragt: Sind die Angegriffenen zu offen mit ihrer sexuellen Identität umgegangen?

Im Islam ist Homosexualität als Lebensform nicht akzeptiert

von JAN FEDDERSEN

Vorige Woche, Freitag, im Bus zwischen dem Halleschen Tor und der Station Mendelssohn-Bartholdy-Park, etwa zur Feierabendzeit. Drei Jugendliche, 14, 15 und 16 Jahre, albern ein wenig herum; sie wollen zum Potsdamer Platz, shoppen gehen. Aus heiterem Himmel, ohne jede Vorwarnung, werden sie plötzlich angegriffen. „Ihr seid wohl schwul, wa“, sagt einer und packt den mittleren der Jugendlichen am Nacken. Wie gelähmt bleibt der Angegriffene sitzen. Mühsam bringt er ein „Was solln das?“ heraus. Was die Kumpane des Angreifers offenbar stimuliert, denn sie packen die noch Verschonten an den Armen, brüllen sie an, „Arschficker“, „Säue“ und „Schwanzlutscher“, spucken und verpassen am Ende einem der drei einen Faustschlag auf die Nase. Sie fängt übel zu bluten an. Die anderen Fahrgäste haben dem entsetzlichen Treiben fast teilnahmslos zugeschaut. Am Mendelssohn-Bartholdy-Park steigen die Angreifer aus, die drei Jugendlichen bleiben benommen auf ihren Plätzen sitzen, wortlos, schockiert, ohnmächtig auch, weil ihnen niemand geholfen hat. Noch nicht mal wütend konnten sie sein.

Szenen wie diese werden dem Schwulen Überfalltelefon im Berliner Homobürgerrechtszentrum Mann-O-Meter häufig überliefert, Tendenz: steigend. Bastian Finke, verantwortlich für diese Einrichtung, weiß noch viel mehr Geschichten zu berichten. Im laufenden Jahr musste er schon 169 Fälle notieren, in denen schwule Männer bei ihm zu Protokoll gaben, Opfer eines Überfalls geworden zu sein – weil sie schwul sind oder weil man es ihnen unterstellte. Und was Bastian Finke ebenfalls zu sagen hat, ist dies: 39 Prozent der Gewaltakte wurden von jungen Männern verübt, die im weitesten Sinne dem muslimischen Kulturkreis zuzurechnen sind, egal ob sie einen deutschen Pass haben oder einen der Türkei. Die öffentliche Gefahr für Schwule geht extrem von Jugendlichen türkischer oder, generell, islamischer Prägung aus.

Und dieser Trend, der aus Gründen politischer Korrektheit von keiner Ausländerbeauftragten, von keinem Streetworker in der Homoszene, auch nicht von Funktionären aus der multikulturellen Szene so genannt wird, hat in der hauptstädtischen Schwulenszene (und nicht nur dort) ängstliches Gemurmel ausgelöst: Akzeptieren Menschen mit Migrationshintergrund die in Deutschland geltenden Gesetze, dass Homosexualität straffrei ist, dass Schwule zu schlagen als eigentlich geächtet gilt? Der Ärger wird ja noch aus anderen Quellen gespeist. Das Café PositHiv im Berliner Bezirk Schöneberg wird schließen müssen, weil die Fenster mehr und mehr von Kids beschmiert werden, deren Aussehen, so heißt es überaus vorsichtig, auf einen türkischen oder arabischen Hintergrund hindeutet. Die Bundesgeschäftsstelle des Lesben- und Schwulenverbands Deutschlands (LSVD) am Willmanndamm im gleichen Bezirk ist ein ebenso beliebtes Objekt des aggressiven Spotts. Jörg Litwinschuh, der beim LSVD für die dem Islam gewidmete Aufklärungsreihe Miles & More verantwortlich ist, sagt: „Wir sind souverän genug, neugierige, manchmal aggressive Blicke aushalten zu können. Aber ich will nicht bestreiten, dass ich mich nicht immer wohl fühle.“

Das Problem ist womöglich komplizierter. Die Rechnung „Hier die Homos, dort Menschen mit islamischem Hintergrund“ stimme nicht, sagt Hakan Tas, Mitglied von Gladt (Gays and Lesbians aus der Türkei). Der 37-jährige sagt, Schwule würden auch in Gegenden mit urdeutscher Bevölkerung wie in Hellersdorf und Marzahn behelligt – aber für ihn komme noch hinzu, dass er dort vor allem als Ausländer diskriminiert werde. Den Zahlen des Schwulen Überfalltelefons traut er nicht so ganz, „statistisch lässt sich alles beweisen“, wie auch Koray Ali Günay sagt. Der 29-jährige Herausgeber des Magazins Lubunya („Schwuchtel“), dessen dunkelblonde Haare nicht eben auf eine türkische Herkunft verweisen, meint, viele schwule Gewaltopfer seien möglicherweise gar nicht in der Lage, genau zu sagen, ob ein Täter aus dem arabischen oder türkischen oder bosnischen Raum kommt: „Viele Jugendliche, die aggressiv auf Schwule reagieren, sind selbst Opfer – als Ausländer; sie sind arbeitslos, haben keine Perspektive und suchen etwas zum Abreagieren.“

Beide, sowohl Tas als auch Günay, warnen davor, das Problem aufzubauschen. Und beide nennen das gleiche Stichwort, um die Brisanz des Themas zu skizzieren: Pim Fortuyn. Der niederländische Politiker machte vor vier Jahren in seiner Heimat Furore, als er die Integration von Menschen aus dem arabischen und türkischen Raum für gescheitert erklärte – sie würden sich den holländischen Standards einer aufgeklärten Liberalität verweigern und stattdessen den Islam für rechtlich höherwertig halten. Und dies ginge zu Lasten von Schwulen, die sich zwischen Groningen und Maastricht besonders nachhaltig aus dem gesellschaftlichen Versteck emanzipieren konnten. Gipfel der Fortuyn’schen Vorwürfe: „Ich habe nichts gegen Araber, ich schlafe sogar mit ihnen.“

Der LSVD (durchaus im Namen vieler Schwuler) kritisiert, dass Günay und Freunde den Dialog innerhalb ihrer ethnischen Communities nicht suchen – und wenig dazu beitragen, ihre Leute davon zu überzeugen, dass es völlig inakzeptabel ist, Schwule zu diskriminieren. Ein Vorwurf, den Hakan Tas nicht auf sich sitzen lassen will: „Wir arbeiten hartnäckig daran. Wir sind am Ball. Und wir werden eingeladen. Die Menschen sind sehr neugierig.“ Und er verweist an dieser Stelle auf die homophobe Tradition der christlichen Kirchen, in denen selbst heute noch viele von der Minderwertigkeit Homosexueller überzeugt sind.

Ein Argument, das Alexander Zinn vom LSVD besonders erbost: „Die Gründe für das Bashing von Schwulen sind vielfältig. Ich will auch keine eindimensionalen Erklärungen. Aber die christlichen Kirchen haben schon lange eine Debatte um Homosexuelle am Hals. Selbst der Papst gilt nicht mehr als letzte Instanz. Aus dem islamischen Kreis ist über eine solche Differenzierung nichts bekannt – weil es sie nicht gibt.“ Tatsächlich gibt es keine theologische Stellungnahme aus islamischem Umfeld, die grundsätzlich Homosexualität als Lebensform akzeptiert – das höchste der besseren Gefühle ist die Meinung, es sei nur eine Sünde – allerdings ein gewaltiger Unterschied zur Androhung der Todesstrafe, wie sie in einigen islamischen Ländern für praktizierte Homosexualität vorgesehen ist.

Vielleicht sind Männer, die als Schwule überfallen und verfolgt werden, auch lediglich „Liberalisierungsopfer“, wie der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker sagt: Weil viele schwule Männer glauben, überall in Deutschland sei es easy, Homosexualität nicht mehr schamvoll zu verdecken, verhalten sie sich in der Öffentlichkeit zu erkennbar. Ebendiese Selbstverständlichkeit, Liebe und Zuneigung beispielsweise auch unter Männern zu zeigen, werde von vielen Homofeinden als Ermutigung zum triebhaften Eingreifen aufgefasst.

Alexander Zinn jedenfalls will auf politische Korrektheiten keine Rücksicht nehmen: „Wo ein Problem ist, können wir auf andere Probleme keine Rücksicht nehmen. Wir gehören zur Bürgerrechtsbewegung der Homosexuellen – und wenn Einwanderer uns angreifen, dann darf das nicht tabuisiert werden. Erst das Tabu macht einen Politikstil wie den Pim Fortuyns salonfähig.“ Gerade junge Männer aus arabisch- oder türkischstämmigen Familien seien in einem Familiensystem aufgewachsen, in dem sich Sexualität mit anderen Männern schon deshalb für jeden Mann verbietet, weil das als weiblich, als minderwertig gilt – und also als unmännlich. Da kein Mann den Vorwurf auf sich ziehen will, seines Geschlechts unwürdig zu sein, liege die Aggression gegen Schwule nahe.

Immerhin: Alle Organisationen, der LSVD, das Schwule Überfalltelefon und Gladt, wollen zusammenarbeiten. Es spricht viel dafür, dass dies das beste Rezept ist, mit der Zivilisierung des Vormodernen weiterzumachen. Der Berliner Bezirk Schöneberg jenseits der Nollendorfplatzszene wäre dann auch weniger in Gefahr, für Schwule zur No-go-Area zu werden – wie Hellersdorf oder Marzahn oder sonstige rechtsradikal infizierte Viertel.