: „Fuchteln, schimpfen und spucken“
Wenn Muslime in Deutschland eine Moschee bauen wollen, ist eines gewiss: Ärger mit den Nachbarn. Gar nicht so schlimm, findet der Bielefelder Soziologe Jörg Hüttermann: Erst wenn die Kulturen hart aufeinander prallen, entsteht ein fruchtbarer Austausch
Interview MAREKE ADEN
taz: Herr Hüttermann, Sie erforschen die Konflikte, die entstehen, wenn Moscheen gebaut werden. Welche entstehen denn?
Jörg Hüttermann: Eingehend habe ich einen Konflikt in der ostwestfälischen Kleinstadt Halle untersucht. Hier wollten Muslime ein Minarett bauen. Die Nachbarschaft war dagegen. Es gab insgesamt sechs Bürgerversammlungen, über anderthalb Jahre hinweg. Mein Ansatz ist nun, dass diese Versammlungen wie Inkorporationsrituale …
Wie was, bitte?
Inkorporationsrituale, das sind Einverleibungsrituale gegenüber Fremden, die es zum Beispiel bei den Maori und bei den Eskimos gibt. Bei den Maori läuft das so: Wenn ein Fremder in die Gruppe kommt, dann muss er sich dem Ritual stellen. Man fuchtelt ihm mit dem Speer vor der Nase herum, man beschimpft und bespuckt ihn.
Aha.
Damit wird getestet, wie der Fremde reagiert. Denn in einer fremden Umgebung, in einer neuen Kultur entstehen leicht Missverständnisse, die der Fremde als Bedrohung wahrnehmen könnte. Das kann zu Konflikten führen. Da testet man lieber schon vorher mal aus, was der Fremde machen würde.
Und die Bürgerversammlung in Halle läuft ab wie ein Ritual der Maori?
Ja, in moderner Form kann man das Gleiche auch in einer deutschen Stadtgesellschaft finden. Nur sind es hier Argumentationsduelle. Trotzdem: In diesen Duellen testet man die Charakterfestigkeit des Fremden. Klar, ich kokettiere auch ein bisschen damit, dass diese Rituale ja nur vermeintlich überholt sind. Wir glauben ja immer, wir sind ach so modern. Aber es gibt vormoderne Sozialphänomene, die immer noch gültig sind.
Welche Verhaltensweisen in der Versammlung sind denn weniger modern, als wir alle denken?
Es ist zum Beispiel nicht so, dass Konflikte immer nur über das formale Recht gelöst werden. In Halle haben sich die Akteure in den Bürgerversammlungen zwar alle auf die Rechtslage bezogen. Und die war eigentlich klar. Die Muslime hätten ihr Minarett bauen können, auch 26 Meter hoch, so wie sie sich das gewünscht haben. Aber wenn man genau hinschaut, dann ging es nicht ums Recht, sondern ums Gastrecht. Davon wollen Soziologen heute eigentlich nichts mehr wissen. Aber die gesamte Nachbarschaft hat das Hausrecht für sich in Anspruch genommen. Die Muslime haben umgekehrt nur eine Gastrolle übernommen. Das bedeutet, dass sie eben nicht auf das formale Recht gepocht haben.
Wie haben denn nun in Halle die Alteingesessenen „mit dem Speer herumgefuchtelt“?
Die Muslime sind nach Strich und Faden eingemacht worden. Sie mussten sich von den Alteingesessenen erklären lassen, wie eine Moschee überhaupt auszusehen hat und wo etwa das höchste Minarett der Welt steht. Die Muslime sahen oft sehr schlecht aus in der Diskussion. Sie konnten sich nicht immer erinnern, welche Anträge sie in welcher Reihenfolge eingebracht hatten. Die Alteingesessenen haben triumphiert.
Das ist zwar Rechthaberei, aber noch keine Speerfuchtelei.
Gleich zu Beginn der ersten Versammlung hat jemand gesagt: „Wir hätten euch auch ins Gas schicken sollen.“ Das zumindest war ein Fuchteln mit dem Speer. Zum Glück hat der Bürgermeister rettend eingegriffen, und der Mann ist von der gesamten Nachbarschaft mit geballtem Missmut bedacht worden, sodass er gehen musste. Er ist nicht zurückgekehrt. Das war aus zwei Gründen eine wichtige Erfahrung. Erstens haben die Muslime gemerkt, dass die Alteingesessenen solche Leute nicht in ihren Reihen dulden. Und umgekehrt war die Nachbarschaft sehr beeindruckt, wie die Muslime die Fassung bewahrt haben. Die Muslime hätten alles Recht gehabt, beleidigt zu gehen, und haben es nicht getan. Das hat ihnen Respekt eingebracht.
Wurde es danach besser?
Die Nachbarschaft hat den Muslimen immer wieder subtil gedroht: Wenn ihr euch mit uns nicht einigt, dann kommen andere. Das ist nicht gerichtsverwertbar, spielt aber ganz klar auf die Rechtsradikalen an, von denen die Muslime selbstverständlich wissen und vor denen sie auch Angst haben.
Und wie ging der Streit aus?
Das Minarett darf gebaut werden, aber nur 16 Meter hoch, 10 Meter weniger als geplant. Der Muezzin darf mit seinem Lautsprecher nur den Innenhof der Moschee beschallen, und auch nur dreimal am Tag, nicht fünfmal. Am frühen Morgen und spät abends darf er nicht rufen.
Und was halten Sie jetzt von dem Ritual?
Ich finde das gar nicht schlecht. Besser zumindest als die „Dialoge“, organisiert von beamteten Christen. Da kommen die üblichen Verdächtigen zu Wort, Nadeem Elyas (Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Anm. d. Red.) zum Beispiel. Das ist nichts weiter als ritualisiertes Aneinandervorbeireden. Auf die Dauer schlägt dieses friedliche Ringelpiez mit Anfassen in ein Gegenteil um. Neulich hat die Friedrich-Ebert-Stiftung einen christlichen Syrer eingeladen, der dann die „wahre Natur des Islam“ erklären durfte. Die Stiftung setzt das Wort Dialog inzwischen in Anführungsstriche.
Wäre also ein Ritual auch die Lösung für den ewigen Kopftuch-Streit?
Besser zumindest als das legalistische Verfahren. Das Schreien nach Gesetzen halte ich für feige und unangebracht. Inkorporationsrituale sind so nicht mehr möglich. Sie müssen sich spontan entzünden, dadurch dass jemand Anstoß nimmt. So entstehen die Konflikte, durch die eine moderne Gesellschaft integriert wird. Aber in Deutschland ist jeder Streit ja immer gleich eine Katastophe.
Was sollen denn Drohungen mit rechten Parolen und Rechtsradikalen nützen?
So gibt es auf beiden Seiten echte Lernprozesse. Die Einwanderer der ersten Generation haben immer geglaubt, dass es am besten ist, sich unsichtbar zu machen. Sie wichen allen Konflikten aus. Sogar, wenn sie politisch aktiv waren, dann blieben sie abgeschottet und unter sich. In der SPD hatten die Gastarbeiter ihre eigene Arbeitsgemeinschaft. Ihr politisches Handeln hat sich auf das Herkunftsland bezogen, nicht auf Deutschland. Als das in diesem Konflikt zum ersten Mal nicht mehr so war, als sie selbst in Erscheinung treten mussten, waren sie erst sehr enttäuscht. Sie haben gemerkt, dass ihnen dieses Wegducken nichts gebracht hat, dass sie das nicht beliebt gemacht hat, dass die Deutschen in der Nachbarschaft den Islam nicht gut finden. Aber im Konflikt haben sie dann gelernt, dass es gut sein kann, Rechte einzufordern. Und auch, wie man sie einfordert. Die Muslime haben politische Rhetorik gelernt, das heißt, die Redebeiträge der Gegner zusammenzufassen und dann den eigenen Standpunkt als logische Folgerung draufzusetzen.
Und was haben die Deutschen aus der Nachbarschaft gelernt?
Sie haben Fremde kennen gelernt, die deutsch sprechen, die politisch engagiert sind und die für einen Verein stehen, den der Moschee nämlich. Das ist in einer Kleinstadt mit viel Vereinsmeierei nicht wichtig. Und sie haben gelernt, dass der Fremde Rechte reklamiert, nicht nur Gast ist. Außerdem hat die Mehrheitsgesellschaft in Halle nun Ansprechpartner. Wenn es in Zukunft Probleme gibt, etwa mit dem machistischen Gehabe türkischer Jugendlicher, die auf dem Bürgersteig stehen und Frauen einschüchtern, dann weiß man jetzt, an wen man sich wenden kann. Solche Ansprechpartner hat man vorher händeringend gesucht.