: „Tote Seelen“ an die Urnen
Morgen wird in Georgien ein neues Parlament gewählt. Keine Kraft kann mit einer klaren Mehrheit rechnen. Die Opposition befürchtet einen massiven Wahlbetrug. Sollte dieser Fall eintreten, drohen die USA mit einer Einstellung ihrer Finanzhilfe
von KLAUS-HELGE DONATH
Mit schmeichelhaften Charakteristika kann sich der transkaukasische Staat Georgien auch im dreizehnten Jahr seiner Unabhängigkeit vom Sowjetimperium nicht schmücken. Vom „failing state“ über „defekte Demokratie“ bis hin zur„partiellen Demokratie“ reichen die Attribute für das Land, in dem morgen ein neues Parlament gewählt wird. Dabei hatte Georgien nach dem Zusammenbruch der UdSSR gute Entwicklungschancen. Nach einer kurzen, turbulenten, von Sezessions- und Bürgerkrieg geprägten Phase übernahm der ehemalige sowjetische Außenminister, Eduard Schewardnadse, 1992 das Regiment. Die Einbindung in den Westen besaß für den „grauen Fuchs“ höchste Priorität. Mehr als eine Milliarde Dollar pumpte Washington seither in den Staatshaushalt.
Doch ist es Schewardnadse nicht gelungen, die Fundamente eines demokratischen Staatswesens zu legen und die Wirtschaft zu sanieren. Stattdessen besetzte der Schewardnadse-Clan alle wichtigen Posten. Die Bilanz ist bescheiden: Der Status der abtrünnigen Republiken, Abchasien und Südossetien, ist ungeklärt. Die Flüchtlinge leben unter miserablen Bedingungen. Bei den Pensionären steht der Staat mit 40 Millionen Euro Rentenverzug in der Kreide, Strom- und Energieversorgung sind auf wenige Stunden am Tag begrenzt.
Ob die USA weiter Finanzhilfe leisten, hänge vom Verlauf der Parlamentswahlen ab, verlautete aus dem State Department. Der internationale Währungsfonds hatte im Frühjahr die Zusammenarbeit mit Tiflis ausgesetzt, da Reformen nicht umgesetzt worden waren. Wenn der Verlauf der Wahlen gegen georgische Gesetze und internationale Standards verstieße, so Washington, drohe eine Vertrauenskrise, und Georgiens internationales Ansehen stehe auf dem Spiel.
Bereits im Sommer hatten die USA einen Vermittlungsversuch unternommen, die Oppositionsparteien mit an den Vorbereitungsarbeiten der zentralen Wahlkommission zu beteiligen. Die Regierung kündigte im September indessen die Kooperation auf. Inzwischen beherrscht die drohende Wahlfälschung den Wahlkampf. Die Opposition befürchtet massiven Betrug mit Hilfe von fingierten Wählerlisten, die Hunderttausende so genannter „toter Seelen“ enthalten. Darüber hinaus erfreut sich das „Wählerkarussel“ großer Beliebtheit. Dahinter verstecken sich Wähler, die an mehreren Stellen ihre Stimme abgeben.
Selten war ein Urnengang so polarisiert, mehrfach kam es auf Wahlveranstaltungen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern der Opposition. Die Vehemenz des Konfliktes ist umso erstaunlicher, als in dem von Schewardnadse dominierten Präsidialsystem dem Parlament keine maßgebliche Rolle zukommt. Seine Ära neigt sich aber dem Ende zu. Für die Präsidentenwahlen 2005 gilt es sich zu positionieren. Außerdem verkörpert das Parlament in dem dynastischen System ein Symbol rudimentärer demokratischer Strukturen.
Die Kritik der USA hat der Schewardnadse-Partei „Bürgerunion Georgien“ einen Schlag versetzt. Die Unfähigkeit der Regierung, auch nur eins der kardinalen Probleme des Landes anzugehen, hatte schon vor drei Jahren innerparteilich zur Erosion geführt. Die Mehrheit der Parlamentsfraktion verließ die „Bürgerunion“ im Sommer 2001. Für die Parlamentswahlen sagen Prognosen nur ein einstelliges Ergebnis voraus. Dabei schloss sich die Bürgerunion mit den Sozialisten und der bisher oppositionellen Nationaldemokratischen Partei zum Wahlblock „Neues Georgien“ zusammen.
Neun Wahlblöcke und elf Parteien ziehen in die Wahl. Mit klarer Mehrheit einer Kraft ist nicht zu rechnen. Die besten Chancen haben Parteien, die sich um abgefallene Vertraute Schewardnadses sammeln. Diese Organisationen lassen sich eher als Klientelklüngel denn politische Parteien im klassischen Sinne bezeichnen.
Warum die USA dem bedrängten Schewardnadse das Regieren noch schwerer machen, wirft Fragen auf. Washingtons demokratisches Sendungsbewusstsein allein wird es nicht sein. Vermutlich geht der Unmut auf einen Vertrag zurück, mit dem Tiflis sich in der Energieversorgung auf 25 Jahre an Moskau bindet und den Russen Zugriff auf das eigene Stromnetz sichert.