: Ein sehnsüchtiger Detektiv namens George
In seinem neuen Roman „Das helle Licht des Tages“ erzählt Graham Swift eine nicht ganz gewöhnliche Ehebruchsgeschichte – Protokolle eines gequälten Denkens inklusive
Ein Ehebruch, ein Mord. Der Mann, Bob Nash, kommt nach Hause, nachdem er seine kroatische Geliebte in ein Flugzeug hat steigen lassen, das sie in ihre zerbombte, aber befriedete Heimat bringen wird. Sarah, seine Frau, die von dem Seitensprung weiß, hat ihm sein Lieblingsessen zubereitet, rechtzeitig einen guten Wein geöffnet, sich ein schickes schwarzes Kleid angezogen. Sie hört das knirschende Geräusch von Reifen auf Kies, dann einen Schlüssel, dazwischen nicht zu viel Zeit, ein gutes Zeichen, er hat nicht gezögert. Wenige Minuten später wird sie die Polizei anrufen und ihre Tat gestehen.
Ein einfacher Fall, nur ein knapper Bericht in der Zeitung, dessen Tragik kaum mehr als ein etwas ungläubiges Kopfschütteln hervorruft, vielleicht gepaart mit einem Anflug neiderfüllter Befriedigung, dass es auch die Bessergestellten mal erwischt, schließlich war der Mann ein reicher Frauenarzt. Ausgerechnet. Einziger störender Faktor ist George Webb, der Privatdetektiv. Welche Rolle spielte er, warum tauchte er vollkommen konfus am Tatort auf?
Graham Swift wurde auch in Deutschland berühmt für seinen Roman „Letzte Runde“. Webb, der Erzähler seines neuen Romans „Das helle Licht des Tages“, wurde von Sarah beauftragt. Kein ganz gewöhnlicher Auftrag, schließlich sollte er nicht Beweise für die Untreue des Ehemanns liefern, die nie verheimlicht wurde, sondern das Ende einer Affäre bestätigen und beschreiben. Also folgt er Bob und Kristina zum Flughafen, und als er das Mädchen allein hinter der Passkontrolle verschwinden sieht, gibt er Sarah telefonisch Bescheid. Damit wäre der Fall erledigt, doch er folgt Bob weiter, denn er hat sich in seine Auftraggeberin verliebt.
Swift versammelt in dem Roman Elemente, sogar Stereotype des klassischen Krimis: den suspendierten Polizisten und Privatdetektiv, den müden Ermittler kurz vor der Pensionierung, die betrogene Ehefrau, das Messer mit den Blut- und Petersiliespuren, doch genauso konsequent entzieht er ihm sämtliche Genrekonventionen. Das Rätsel, auf das er hinauswill, ist nicht die klassische Frage des whodunit, sondern das Unerklärliche der Tat überhaupt.
Deswegen hat Swift seinen Roman auch nicht als Geschichte mit durchgängiger Handlung angelegt, sondern lässt uns unmittelbar an George Webbs Erinnerungsarbeit teilhaben, die mit manischer Beharrlichkeit den einen Moment umkreist, der alles verändert hat, und der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Während George am zweiten Jahrestag der Tat ins Gefängnis fährt, um wie alle 14 Tage für eine kostbare halbe Stunde Sarah zu sehen, die er erst in acht Jahren zum ersten Mal küssen können wird, springen seine Gedanken unkontrollierbar in der nahen und fernen Vergangenheit umher. Zu bestimmten Augenblicken kommen sie immer wieder zurück, andere versuchen sie nach Möglichkeit zu umgehen.
Mit großer technischer Meisterschaft schreibt Swift das Protokoll eines gequälten Denkens und entwickelt aus dem Gegensatz von außergewöhnlichem Ereignis und ritualisierten Handlungen die unlösbare Frage, wie wir unseren Weg wählen, wie und wann wir welche Entscheidungen treffen. Der Leser leidet buchstäblich mit George mit, was leider bei allem Können des Autors – oder vielleicht auch gerade deswegen – bisweilen die Gefahr der Ermüdung birgt.
So eindrucksvoll es Swift gelingt, das Verzweifeln George Webbs an der Unbegreiflichkeit des Mords und das Unverständnis seiner Umwelt über seine eigene Liebe zu Sarah spürbar zu machen, offenbart sich doch gerade darin seine Kapitulation vor der selbst gestellten Aufgabe. Denn beides, Liebe und Mord, bleiben für den Privatdetektiv genauso wie für den Schriftsteller und letztlich für den Leser nicht nachvollziehbar. Da Swift das Rätsel zum Prinzip macht, könnte es sein, dass er am Ende den Teil seiner Leser verliert, die sich damit nicht abfinden wollen. SEBASTIAN DOMSCH
Graham Swift: „Das helle Licht desTages“. Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk. Hanser, München 2003, 327 S., 19,90 € – Lesereise: 3. 11. München, 4. 11. Stuttgart, 5. 11. Köln,6. 11. Hamburg, 7. 11. Berlin