: Harvey mit den Scherenhänden
Harvey Weinstein gilt als härtester Boss von Hollywood. Er bringt den neuen Tarantino-Film in zwei Teilen heraus
Als im Dezember 1994 um zwei Uhr nachts das Telefon von Harvey Weinstein klingelte, war das der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft. Nicht viele Menschen wagen es, den Miramax-Boss zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett zu klingeln. Am Telefon war Quentin Tarantino, der nach „Pulp Fiction“ gerade als Über-Nacht-Sensation gefeiert wurde. Er hatte just ein 30-Seiten-Treatment für einen neuen Film beendet und wollte Weinstein (von Freund und Feind nur „Harvey“ genannt) eine kleine Kostprobe liefern.
Neun Jahre später ist das 30-seitige Skript zu einem 200-Seiten starken Drehbuch angewachsen, und der dazugehörige Film „Kill Bill“ hat mit einer Länge von über drei Stunden in den letzten Monaten für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. Am Donnerstag startet „Kill Bill“ auch in den deutschen Kinos: als kleines Novum. Denn Harvey Weinstein hat entschieden, dass Tarantinos neuer Film in zwei Teilen in die Kinos kommen soll.
Am Ende eines langen Sommers voller Sequels ist diese Entscheidung von Kritikern und Fans mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Nicht genug damit, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung vieler Sequels in diesem Jahr weniger als je zuvor aufgegangen ist. Miramax-Chef Harvey Weinstein ist auch berüchtigt dafür, seine Filmprojekte mit eiserner Hand zu kontrollieren. Das hat ihm in der Branche den Spitznamen „Harvey Scissorhand“ eingebracht. Harvey mit den Scherenhänden – gekürzt, zensiert, verstümmelt. Unvergesslich sind die Geschichten vom Set von „Gangs of New York“, in denen sich Scorsese und Weinstein regelmäßig verbale bis körperliche Duelle geliefert haben sollen. Weinstein ist in Hollywood eine herausragende Persönlichkeit – auch, weil er und sein Bruder Bob sich mit ihrer Firma Miramax von Beginn an von Los Angeles distanzierten.
Miramax hat seinen Hauptsitz in New York, ist also näher dran an Europa. Und da haben die Weinsteins auch ihre Wurzeln. François Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn“ war der Film, der den jungen Harvey für das Kino begeisterte. Und mit Soderberghs Debüt „Sex, Lügen und Video“ und „The Crying Game“ von Neil Jordan etablierte sich Miramax Anfang der 90er in Hollywood als kleine Firma für den unabhängigen Film. 1993 kaufte Disney Miramax auf, seitdem laufen die Geschäfte etwas ruhiger. Aber Harvey steht immer noch unter Dampf. Er sitzt nächtelang im Schneideraum, feuert Regisseure und liefert sich Faustkämpfe mit Journalisten. Ein Überzeugungstäter, und ohne Skrupel. 1993 listete das Wirtschaftsmagazin Fortune Weinstein unter den härtesten Bossen Amerikas.
Umso überraschender, dass die Teilung von „Kill Bill“ in beiderseitigem Einvernehmen stattfand. Normalerweise tendiert Weinstein dazu, Drei-Stunden-Filme zu kürzen. Doch Tarantino genießt eine Sonderrolle in Weinsteins Stall. Miramax ist mit Tarantino gewachsen und umgekehrt. Der Split des Films in zwei Hälften markiert den Sieg des Künstlers über unternehmerisches Kalkül. Doch das geht auf Kosten des Fans. Der muss nun zweimal für den neuen Tarantino-Film bezahlen.
So ist „Kill Bill“ auch Beleg dafür, was in Branchenkreisen schon länger offen ausgesprochen wird: Harvey Weinstein hat seine Ideale verraten, er ist in it for the money. Für ihn wird sich „Kill Bill“ als reinste Geldmaschine erweisen. ANDREAS BUSCHE