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Archiv-Artikel

Das Ein-Mann-Team mit dem Motorroller

Der Hessische Rundfunk fusioniert Reporter, Kameramann und Cutter zum Videojournalisten. Und will „a new kind of television“. Oder bloß sparen

Schon die Einladung zum Pressetermin in den Kasseler HR-Studios las sich wie eine Word-Datei aus dem Laptop des Motivationsmagiers Jürgen Höller. Vom „Fitmachen“ war da die Rede. Von der „Programm-Innovation“ Videojournalismus. Und vom „weltweit führenden VJ-Trainer“ Michael Rosenblum, den der Hessische Rundfunk für „das Projekt“ gewinnen konnte.

Ein Projekt, zu dem zunächst einmal 30 „Ein-Mann-Teams“ gehören, die in Zukunft „Reporter, Kameramann und Cutter in einer Person“ vereinen. Hieraus ergaben sich dann doch einige Fragen: Haben wir es hier mit hyperflexibel upgegradeten Millenniumsjournalisten zu tun? Mit Menschen, denen ein Motorroller genügt, wo der Hessische Rundfunk bisher im voll besetzten VW-Bus auf große Reportagefahrt gegangen ist?

Darum also geht es der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt in diesen Zeiten der Krise: Ausgestattet mit Laptop und DV-Kamera werden die aus dem festen wie freien Mitarbeiterstamm des Hessischen Rundfunks rekrutierten Videojournalisten künftig im buchstäblichen Alleingang für das Füllen von Sendeminuten sorgen. Dass man sich beim HR dabei auf die Abkürzung VJ geeinigt hat, scheint ein höchst zweifelhaftes Omen.

10.000 Euro pro VJ

Schließlich waren es gerade die Musiksender mit ihren Videojockeys, die die ach wie cool verwackelte und hip unterbelichtete Handycam-Ästhetik dereinst im deutschen Fernsehalltag etablierten. Inzwischen aber, so HR-Indendant Dr. Helmut Reitze, sei nicht nur die Qualität des pro Videojournalist 10.000 Euro teuren Equipments richtig gut. Auch würden letztlich nur solche Beiträge gesendet, „bei denen die verantwortlichen Redaktionen sagen: „Prima, das schmückt uns.“

Reitze selbst schmückt sich derweil mit einer „Pionierarbeit in der Fernsehproduktion“, die der HR mit seinen kleinstmöglichen Produktionseinheiten nicht nur innerhalb der ARD-Sendeanstalten leisten würde. Einzig bei der britischen BBC sind Videojournalisten im großen Stil unterwegs. Auch dort geschult vom New Yorker Michael Rosenblum, der in einem dreiwöchigen Intensivkurs nun die HR-Mitarbeiter auf ihr digitales Medium einschwört: „You invite a new kind of televisison. You’re part of a great revolution.“ Denn erst durch die handliche und verhältnismäßig simple Digitaltechnik, so Rosenblums wenig haltbare These, könne es auch im Fernsehjournalismus so etwas wie einen Autor, einen Künstler geben.

Leckere Eklektiker

So liegt das Problem der hessischen Videojournalisten denn auch weniger in ihrem zugegeben eklektisch wirkenden Berufsbild als in dessen Präsentation vonseiten der Sendeanstalt. Die Rotstiftrede von Dr. Helmut Reitze („drohende Programmkürzungen“, „sinkende Budgets“) und die berufsbedingte Emphase eines Michael Rosenblum („the gutenbergs of the 21. century“) verstellten jedoch den Blick auf die Chancen und Gefahren der neuen Arbeitsweise.

Und von der sind zwar keine Revolutionen – nicht einmal digitale – zu erwarten. Immerhin aber eine entschlackte und sicherlich notwendigerweise kostenreduzierte Produktion, die dann nicht nur in die von Reitze versprochene Fläche („mehr Kameras für Hessen“), sondern eben auch in die Tiefe führen könnte. Wie das funktioniert, hat die Reportage „Die Blonde und der Brummi“ schon einmal vorgemacht. Autor Reinhard Schall hatte samt seiner DV-Kamera auf dem Beifahrersitz eines 40-Tonners Platz genommen und so eine intime, angenehm unmittelbare Atmosphäre geschaffen.

Solche Filme werden letztlich zeigen, welch inhaltliches und ästhetisches Potenzial sich hinter dem Logo Videojournalismus versteckt. Nur um noch mehr Auffahrunfälle vom Frankfurter Kreuz im Bild zu haben, sollte der Hessische Rundfunk – um ein letztes mal Michael Rosenblum aufzugreifen – den Tonmann nicht ins Museum schicken. CLEMENS NIEDENTHAL