: „Ohne Kopftuch bin ich nackt“
Interview HEIDE OESTREICH und EDITH KRESTA
taz: Frau Ludin, wie viele Kopftücher haben Sie?
Oh, einige. Das kann ich nicht sagen.
Sie lachen? Sind es fünfzig?
Sicherlich mehr.
Deutet sich da ein Kopftuchtick an?
Na ja, das Tuch muss ja auch zur jeweiligen Kleidung passen.
Welche Materialien bevorzugen Sie?
Baumwolle oder Seide. Wenn es warm ist, Seide.
Haben Sie das Tuchtragen von Ihrer Mutter geerbt?
Meine Mutter trug lange kein Kopftuch, schließlich hatte Zahir Schah die Afghaninnen davon befreit. Unabhängig von meinen Eltern habe ich schon von klein auf eine starke Zuneigung für den Glauben. Als wir in Saudi-Arabien im Exil lebten, kam ich in die Pubertät. Ich fing an, meinen Glauben ernster zunehmen. Damals habe ich beschlossen, zu beten, zu fasten und auch das Kopftuch zu tragen.
In Saudi-Arabien gehen die Frauen bedeckt auf die Straße, hat das eine Rolle gespielt?
Dort, wo ich wohnte, hätte man auch ohne Tuch laufen können, trotz des gesellschaftlichen Zwanges. Ich habe micht selbst zum Tuchtragen entschieden, nicht aus Zwang.
Warum wollten Sie den Glauben ernster nehmen?
Er half mir, mich zu orientieren, erwachsen zu werden. Der Glaube gibt mir eine gewisse Relaxtheit. Auch die Kleidung hilft, mich darauf zu konzentrieren.
Weil sie die Reize bedeckt?
Es geht nicht nur darum. Man denkt einfach weniger an das Aussehen und mehr an den Glauben. Einem Sportler hilft seine Kleidung auch, seinen Sport besser zu betreiben.
In der Pubertät ist man vielleicht auch verunsichert von den Blicken der Jungen. War das Tuch ein Schutz davor?
Ich möchte ungern Männer als Monster darstellen. Aber das Tuch hat mir auch Respekt verschafft. Ich möchte nicht sagen, dass eine Frau nur respektiert wird, wenn sie ein Tuch trägt. Respekt sollte eine generelle Einstellung zu Frauen sein. Das Tuch ist einfach ein wichtiger Teil meiner religiösen Identität. Wenn ich es nicht trage, fehlt mir etwas.
Fühlen Sie sich nackt?
Ja. Und deswegen fühle ich mich diskriminiert, wenn man von mir verlangt: Du hast das Tuch gefälligst da und da auszuziehen.
Empfinden Sie unverschleierte Frauen als zu nackt?
Nein. Ich bin mit Vielfalt aufgewachsen. Ich habe die saudische Gesellschaft einerseits erlebt, aber meine Schwester, die zehn Jahre älter ist als ich, trug damals kein Kopftuch.
Was würde es für Sie bedeuten, das Kopftuch in der Schule abzulegen?
Wenn ich mich ohne Kopftuch nackt fühle, dann heißt das, es würde meine Würde kosten.
Können Sie sich vorstellen, dass eine Frau, die durch den Iran reist und dort ein Kopftuch tragen muss, sich auch in ihrer Würde verletzt fühlt?
Ja, wenn Sie es tragen muss, auf jeden Fall. Die Freiheit muss für beide Seiten gelten. Wir Frauen sollten das Recht haben, selbst zu bestimmen, wie wir unser Leben führen. Alice Schwarzer hat ja behauptet, dass ich alle diese Dinge nicht kapiere und nicht emanzipiert sei. Ich sage dagegen, dass eine Frau auch mit Kopftuch emanzipiert sein kann.
Die gängige islamische Erklärung lautet, dass man seine Reize vor den Männern verbergen soll. Ist das Emanzipation?
Der Koran fordert beide Geschlechter zur Zurückhaltung und zum Respekt im Umgang miteinander auf.
Also, wenn die Männer den Respekt wahren würden, brauchte man auch kein Tuch?
Ja, das kann man so sagen. Aber man kann das Tuch nicht auf diesen Aspekt beschränken.
Die Frauenbewegung hat dafür gekämpft, dass eine Frau einen Minirock tragen kann, ohne sich den Vorwurf „Flittchen“ einzuhandeln. Ein Kopftuch zu tragen, um Männer nicht zu provozieren, ist für diese Frauen ein Rückschritt.
Aus ihrem Kontext kann ich das nachvollziehen. Ich trage das Tuch aber nicht wegen der Männer, sondern für mich. Vorurteile gibt es auf allen Seiten. Auch manche Muslime denken, Frauen ohne Kopftuch seien – das Wort möchte ich gar nicht in den Mund nehmen …
Leichte Mädchen.
Jedenfalls sind das auch Vorurteile, gegen die ich mich wehre.
Sie kritisieren, dass man Sie in die Ecke des politischen Islam stellt. Von diesen Gruppierungen bekommen Sie aber starke Unterstützung. Ist das für Sie ein Problem?
Ja. Dennoch muss man fair mit einem Fall wie meinem umgehen. Ich bin eine Frau, die ein Berufsverbot bekommen hat und sich deshalb diskriminiert fühlt. Man kann doch nicht sagen, dass ich damit den politischen Islam unterstütze. Ich finde es traurig, wenn beide Seite versuchen, mit mir ihre Geschäfte zu machen. Es gibt nicht nur Islamismus, es gibt auch den politischen Laizismus, der den Glauben insgesamt aus dem öffentlichen Leben verbannen möchte.
Wo ist die laizistische Bewegung, die Sie vereinnahmen will? Dieser Staat versteht sich doch ohnehin als „neutral“. Es gibt Brüche, in der Kirchensteuer etwa, aber insgesamt sind Staat und Religion getrennt.
Das stimmt nicht. Wir sind nicht laizistisch. Christliche Werte gehören zum Grundkonsens, das sehen Sie schon an den Namen der Parteien. Im Grundgesetz meint der Glaubenspassus: Der Staat bleibt neutral gegenüber religiösen Äußerungen, der Juden, der Christen, wessen auch immer. Man kann aber nicht dem Christentum gegenüber neutral sein und zu den Muslimen sagen: Bitte raus, ihr seid uns zu fremd.
Das Bundesverwaltungsgericht hat anders argumentiert. Da Sie als Lehrerin den „neutralen“ Staat repräsentieren, sollten auch Sie Neutralität symbolisieren. So wie das Klassenzimmer, in dem kein Kruzifix hängen darf, wenn ein Schüler es wünscht.
Das Kruzifix hängt an der Wand, eine Lehrerin ist eine Person mit individuellen Rechten.
Das Kopftuch ist aber natürlich ein religiöses Symbol, das Sie markiert.
Nein, es macht einen sichtbar, aber man kann auch Muslima sein, ohne ein Kopftuch zu tragen. Ein Kopftuch allein beeinflusst ein Kind doch nicht! Die muslimischen Kinder, die von Christen erzogen worden, sind doch auch nicht Christen geworden! Entschuldigung, das ist lächerlich. Man geht mit unterschiedlichen Maßstäben heran.
Vielleicht aus gutem Grund? Der Islam greift besonders stark ins politische Leben, mit der Scharia sogar ins Rechtssystem ein. Viele islamische Länder haben die Menschenrechtcharta nicht unterschrieben, weil ihnen etwa die Gleichheit von Mann und Frau gegen den Strich geht. Ist ein gewisses Misstrauen nicht gerechtfertigt?
Ja. Es gibt Menschenrechtsverletzungen bekanntlich leider überall.
Es ist für Sie kein Unterschied, ob sich ein Land prinzipiell zu den Menschenrechten bekennt oder nicht?
Doch, es ist ein Unterschied. Aber geht es hier nicht um Deutschland und eine deutsche Muslima? Ich bin nicht Afghanistan, ich bin nicht Saudi-Arabien. Das wird in mich hineinprojiziert.
In Deutschland gibt es ebenfalls ein Problem mit dem politischen Islam. Und damit auch ein begründetes Misstrauen, mit dem Sie zumindest umgehen müssen.
Das tue ich ja. Indem ich Ihnen sage: Man kann nicht all diese Fälle in mich hineinprojizieren und mich als die eine Institution betrachten, die die Scharia in Deutschland einführen will.
Sie können Ihr Kopftuch überall tragen. Außer in der Schule. Warum machen Sie sich zur Vorkämpferin der Kopftuchbefürworter?
Merken Sie nicht, dass Sie mich dazu machen? Ich bin keine Vorkämpferin, ich nehme mein Recht wahr, weil ich mich diskriminiert fühle. Ich habe ein Vorstellung von freiheitlich-demokratischem Leben. Wie kann ich Emanzipation und Toleranz lehren, wenn ich mich selbst unterdrückt fühle?
Es gibt ja auch christliche Frauen, die ihre Haare unter einem Tuch verstecken …
Bedecken.
… die ihre Haare bedecken. Das sind Nonnen. Die arbeiten vor allem an konfessionellen Schulen. Sind Sie nicht jetzt an einer islamischen Schule gut aufgehoben?
Mir blieb nichts anderes übrig. Ich würde lieber näher an meinem Heimatort arbeiten.
Würden Sie nach wie vor lieber an eine öffentliche Schule gehen?
Ich sehe jetzt gewisse Vorteile der islamischen Grundschule. Wir haben eine Vielfalt von Kulturen an der Schule, das kommt mir entgegen. An einer öffentlichen Schule käme hier in Berlin noch Multireligiosität hinzu. Das wäre auch interessant.
Was sagen Sie, wenn Ihre Schulkinder fragen, warum Sie das Kopftuch tragen?
Ich sage: Das gefällt mir. Ich breite das nicht aus. Die Kinder nehmen das zur Kenntnis, mehr nicht.
Hätten Sie sich vorstellen können, anstatt den Rechtsstreit weiterzuführen, an eine nordrhein-westfälische Schule zu gehen, wo man weniger Probleme mit Kopftüchern hat?
Nein, denn es bleibt die Tatsache, dass ich in meinem Heimatort diskriminiert werde. Es hätte nicht meiner Natur entsprochen, einfach zu kneifen.
Sind Sie stur?
Das ist keine Sturheit. Andere Menschen, die gegen Ihre Benachteiligung kämpfen, würden Sie doch sicherlich auch nicht als stur bezeichnen!