: Bitraten sind Profitraten
Die Beratung für die nächste Stufe der Urheberrechtsreform hat begonnen: Das Justizministerium kritisiert die Verwertungsgesellschaften. Die Pauschalabgabe auf Vervielfältigungsgeräte ist fraglich
von DIETMAR KAMMERER
Das neue Urheberrechtsgesetz, das soeben in Kraft trat, setzt nur um, was von der EU ohnehin zwingend vorgeschrieben ist. Für die Industrie ist das viel zu wenig, und die Regierung versprach von vorneherein, weitergehende Forderungen in einem so genannten „Zweiten Korb“ zu behandeln. Die Beratungen darüber haben am Dienstag offiziell begonnen. In Zusammenarbeit mit dem „Institut für Urheber- und Medienrecht“ in München veranstaltete das Bundesministerium der Justiz (BMJ) im München ein Symposium unter dem Titel „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“. Als Referenten geladen waren Rechtsexperten, Vertreter der Gerätehersteller, der Rechteindustrie und der Verwertungsgesellschaften.
Ausgerechnet sie, deren Modell einer pauschalen Umverteilung von Autorenentgelten auch bei entschiedenen Verteidigern der freien Privatkopie Sympathie genießt, durften sich von Justizministerin Brigitte Zypries gleich einen Dämpfer abholen: Die Pauschalabgabe auf Geräte, die der Vervielfältigung dienen, steht auf der Liste der Verhandlungsmasse des „Zweiten Korbs“ ganz oben.
Die Geräteabgabe wurde 1965 mit der ersten Fassung des Urheberrechts eingeführt als Entschädigung für den wirtschaftlichen Verlust, der den Verlegern und Autoren bereits mit der Serienreife der Fotokopiergeräte entstand. Zwar haben die Hersteller von CD-Brennern mit den Verwertungsgesellschaften inzwischen eine Vereinbarung getroffen, wonach für jedes verkaufte Gerät 9,21 Euro überwiesen werden soll. Doch die Gerätehersteller erheben gegen dieses System seit langem grundsätzliche Vorwürfe: Die Zwangsabgabe sei nicht mehr zu rechtfertigen, da es in der digitalen Welt technische Möglichkeiten gebe, von der kollektiven Wahrnehmung der Rechte zur individuellen Vergütung überzugehen. „Digital Rights Management“ (DRM) sei nicht nur eine Kopierschutzmaßnahme, sondern auch ein Mittel, Inhalte zu schützen und kontrolliert abrufen zu lassen.
Systemwechsel?
Rechtlich gesprochen würden dann in der digitalen Welt individuelle Lizenzverträge allgemein verbindliche gesetzliche Regelungen ablösen. „Die individuelle Vergütung muss gefördert werden und die pauschale Gerätevergütung muss einen vernünftigen Rahmen bekommen“, sagt Bernhard Rohleder, Vorsitzender des Geräteherstellerverbandes Bitkom. Die VG Wort hingegen verweist auf den „2. Vergütungsbericht“ der Bundesregierung aus dem Jahre 2000, der explizit feststellt, dass auch die neuen digitalen Vervielfältigungstechniken in das bestehende System der pauschalen Vergütungspflicht einbezogen werden sollen.
Aber eben davon scheint man sich im Ministerium nun verabschieden zu wollen. Zwar machte die Ministerin sich die Position der Bitkom noch nicht gänzlich zu Eigen. Unter Hinweis auf das Wettbewerbsargument wurde sie aber recht deutlich: „Die Verwertungsgesellschaften sollten sich recht bald auf solche ökonomischen Grundtatsachen einstellen.“ Auf Nachfrage rudert das Ministerium vorerst zurück: „Es gibt keine Festlegung auf Einzelaspekte“, teilt die Sprecherin mit, man befinde sich erst in der Phase der Positionsbestimmung. Die Ministerin selbst räumt ein, dass vor einem „Systemwechsel“ die notwendigen „technischen Entwicklungen“ erst noch abgewartet werden müssten.
Da könne man lange warten, meint der Urheberrechtsexperte und Medienforscher Volker Grassmuck von der Initiative „Privatkopie.net“, der auf dem Symposium die Funktionstüchtigkeit von Rechtekontrollsystemen anzweifelte und dafür unter anderem einen IBM-Kryptoexperten zitierte: „Meine persönliche Meinung, ohne für IBM zu sprechen, ist, dass DRM dumm ist, weil es nie wirksam sein kann und den Verbrauchern bestehende Rechte wegnimmt.“ Und zwar nicht nur verbriefte Rechte im Umgang mit kulturellen Gütern, sondern auch solche der Privatsphäre. Denn individuelle Vergütung heißt ja gerade, dass die Rechteindustrie genau Bescheid wissen möchte, wer wann was unter welchen Bedingungen angehört, angesehen oder kopiert hat. Grassmuck schlägt einen „DRM-TÜV“ vor, eine Prüfstelle, die sicherzustellen hat, dass digitale Rechtesysteme die Privatsphäre der Kunden nicht über Gebühr verletzen.
Recht zur Marktordnung
Zwar hat die eben erst verabschiedete Urheberrechtsnovelle eindeutig festgestellt, dass das private Kopieren auch auf digitalen Trägern zulässig sein soll. Dennoch bleibt das Recht auf die Privatkopie weiterhin Hauptthema des „Zweiten Korbs“. Schon das jetzt geltende Gesetz stellt das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen unter Strafe. Wie also soll die Privatkopie bei Kopiersperren durchsetzbar gemacht werden?
Das Justizministerium erinnert an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums: „Hier ist ein Ausgleich zwischen geistigem Eigentum, Verbraucherschutz sowie der Informationsfreiheit zu suchen.“ Und lässt mit weiteren Festlegungen noch auf sich warten. Mindestens in einem Punkt ist das Gleichgewicht bereits verletzt: Wer sein Recht auf eine legale Privatkopie einklagen will, muss sich gedulden. Denn solch eine Klagemöglichkeit ist zwar im Gesetz vorgesehen – aber für ein Jahr erst einmal ausgesetzt worden.
„Wozu noch Privatkopien?“, fragt sich da folgerichtig die Musikindustrie, um sogleich eine volle Breitseite gegen fast alle bestehenden gesetzlichen Regelungen zu fahren. Nichts weniger als „die Rückführung der digitalen Privatkopie in ein Exklusivrecht“ forderte Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände, in seinem Positionspapier für das Münchner Symposium. In der neuen digitalen Welt haben althergebrachte Rechte seiner Ansicht nach nichts zu suchen. „Analoge Kopien sind zur Befriedigung privater Bedürfnisse ausreichend.“ Auch das Datenschutzrecht soll im Interesse der Musikwirtschaft der Vergangenheit angehören. Zur Bekämpfung so genannter Piraterie verlangte Gebhardt „effektive Auskunftsansprüche gegen Internet Service Provider“, wie sie in den USA bereits eingesetzt werden, um die Nutzer von Tauschbörsen mit Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe zu überziehen. Dass diese Klagen mit Vergleichen enden, die amerikanische Plattenindustrie es also normalerweise gar nicht bis zum Gerichtsurteil kommen lässt (sie könnte vor Gericht ja auch unterliegen), ist unerheblich. Auch ein Gesetz, das sich faktisch nicht durchsetzen lässt, wirkt abschreckend. Das öffentlich Rechtsbewusstsein allerdings wäre dauerhaft beschädigt. Aber das kümmert die Phonoindustrie nicht. Ausdrücklich versteht sie das Urheberrecht nicht als Interessenausgleich, sondern als „Marktordnungsrecht für den Bereich des geistigen Eigentums.“ Kompromisse scheinen da kaum möglich. Dennoch setzt Ministerin Zypries auf „kooperative Gesetzgebung“, in der das Ministerium nur die Rahmenbedingungen festlegt und als Mediator zwischen den beteiligten Verbänden auftritt. Als Anfang soll im Oktober eine „Arbeitsgruppe Zweiter Korb“ eingerichtet werden. Und wenn das schief geht, wie im vergangenen Jahr der Versuch des BMJ, zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Geräteherstellern zu vermitteln, verschiebt man einfach nach bekanntem Muster die offen gebliebenen Fragen: „Zur Not müssen wir noch einen ‚Dritten Korb‘ flechten, um den ‚Zweiten Korb‘ schneller ans Ziel zu bringen.“
Dabei liegen die einfachen Lösungen auf der Hand, zieht man die Summe der Beiträge der Symposiumsreferenten: DRM-Systeme werden abgeschafft, weil sie ohnehin nicht funktionieren. Die Privatkopie wird abgeschafft, weil sie die Musikindustrie vor die Hunde gehen lässt. Mit denselben Gründen ließe sich allerdings auch gleich der Zugang zum Internet verbieten.