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Archiv-Artikel

Hamas droht mit Vergeltung

Nach der Ermordung von vier Mitgliedern in Gaza droht die Islamisten-Organisation mit neuen Anschlägen. Israels Opposition kritisiert gezielte „Liquidierungen“. Zwei US-Abgeordnete fordern die Entsendung von US-und Nato-Soldaten nach Nahost

aus Jerusalem ANNE PONGER

Der von Israel als „irrelevant“ in die Ecke gestellte und in seinem Hauptquartier „Mukata“ eingesperrte Palästinenserpräsident Jassir Arafat drängt wieder in die Schlagzeilen. Gestern ernannte er Dschibril Radschub, Exchef der „Präventiven Sicherheit“ im Westjordanland, zum Leiter des Nationalen Sicherheitsrates der PLO und zu seinem persönlichen Sicherheitsberater. Arafats Annäherung an den von ihm vor einem Jahr gefeuerten Radschub ist dazu angetan, mit dem Team von Premier Mahmud Abbas und Sicherheitsminister Mohammed Dahlan zu rivalisieren. Die Islamisten-Organisation Hamas kündigte Israel wiederum blutige Vergeltung an für die Ermordung von vier Mitgliedern ihres militärischen Zweiges in Gaza. Ziel der Attacke durch Apache-Hubschrauber am Sonntagabend war Ahmed Schitawi, der Koordinator von Hamas-Operationen. Als solcher war er Nachfolger von Salah Schehadeh, den Israel vor einem Jahr liquidiert hatte. Schitawi soll an der Spitze eines Teams zur Raketenentwicklung gestanden haben und galt als Spezialist für Angriffe auf Panzer. Derzeit habe er einen Doppelselbstmordanschlag geplant, sagten Armeesprecher.

Aus den Hubschraubern war eine Rakete auf das Auto gefeuert worden, in dem Schitawi und drei weitere Männer auf der Strandpromenade von Gaza-Stadt fuhren. Als sie aus dem Auto flüchteten, wurden sie von weiteren Raketen getroffen. Die Operation erfolgte kurz nach der Warnung von Generalstabschef Mosche Jaalon, alle Hamas-Funktionäre seien Liquidierungs-Kandidaten, solange die Palästinenserbehörde nicht effektiv gegen sie einschreite.

Hamas-Führer Abdel Asis Rantisi konterte, Hamas-Aktivisten wussten, dass sie auf der Abschussliste stehen. Das behindere ihre Pläne jedoch nicht im Mindesten. Eine Waffenruhe sei erst möglich, so Rantisi, wenn sich Israel komplett aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen zurückgezogen habe. Die meisten Extremisten sind in den Untergrund abgetaucht.

In der israelischen Öffentlichkeit wird die Politik der gezielten Liquidierungen nicht völlig kritiklos hingenommen. Abgeordnete der oppositionellen Arbeitspartei, darunter Schimon Peres, Matan Vilnai, Dalia Itzig und Ehud Barak, aber auch die Minister der zentralistischen Schinui-Partei wiesen auf die Gefahr einer unendlichen Gewaltspirale hin, rieten zu einer raschen Fertigstellung der Trennanlagen und Rückkehr zu Verhandlungen. Am Wochenende hatten Medien-Kommentatoren die wachsenden Terrorängste der Bevölkerung ausgedrückt. „Es gab noch keinen Disput, der nicht besser durch Dialog gelöst worden wäre“, schrieb Yoel Marcus in Ha’aretz. „Israels Liquidierungen produzieren vermutlich mehr neue Selbstmordbomber, als dass sie abschrecken.“

Geheimdienstinformationen, nach denen drei Selbstmordbomber aus Nablus eingeschleust werden sollen, führten zu einer Intensivierung der Militäraktivitäten in der Stadt. Totale Ausgangssperre wurde ausgerufen. Bei der Suche nach Sprengstofflagern riss die Armee Löcher in Häuserwände und brach Fußböden auf. Der Rundfunk berichtete, jüngere Männer seien aus der Altstadt geflüchtet.

Die eskalierende Gewalt in Nahost hat führende US-Abgeordnete veranlasst, sich für einen militärischen Einsatz Amerikas und anderer Länder auszusprechen. „Wenn es uns mit einer stabilen Lage Ernst ist, wird wohl ein sehr direktes Handeln nötig sein“, sagte der republikanische Abgeordnete Richard Luger, Vorsitzender des Außenausschusses im US-Senat, dem Fernsehsender CNN am Sonntag. Washington solle überlegen, mit anderen Staaten Truppen in den Nahen Osten zu schicken, um die Lage zwischen den Palästinensergebieten und Israel zu stabilisieren. Dazu sollten auch Nato-Partner einbezogen werden.

Die demokratische Abgeordnete Dianne Feinstein, Senatorin aus Kalifornien, schloss sich Lugar an. Die Palästinenser hätten lange darauf gedrängt, dass UNO und USA eine Schutztruppe nach Nahost entsenden. Israel und US-Präsident Bush haben sich dem bisher widersetzt. Gestern transferierte Israel die Leichen zweier Hisbullah-Kämpfer mit Hilfe des Roten Kreuzes nach Libanon. Hisbullah-Sprecher in Beirut bestätigten, dass Verhandlungen über einen möglichen Gefangenenaustausch mit Israel Fortschritte machten.