: Brüssel greift die Schlankmacher an
EU-Verbraucherkommissar will irreführende Werbung verbieten – sehr zum Ärger der Lebensmittelindustrie
BRÜSSEL taz ■ „Haribo macht Kinder froh – EU will Beweise“ titelte die Westdeutsche Allgemeine Mitte letzten Monats. Einen „Regulierungsdschungel“ entdeckte das Handelsblatt. Und Bild veröffentlichte eine Liste von Werbeslogans, die angeblich von Brüssel verboten werden sollen: „Katzen würden Whiskas kaufen“ oder „So wertvoll wie ein kleines Steak“.
Doch keiner der von den deutschen Medien zitierten Sprüche fällt tatsächlich unter die Verordnung, die EU-Verbraucherkommissar David Byrne Mitte Juli auf den Weg gebracht hat. Er hat nur Werbung im Visier, die Aussagen über den Nährwert oder gesundheitliche Wirkungen eines Lebensmittels enthält.
Byrne will die Sache systematisch angehen. Während derzeit in jedem Mitgliedsland andere Regeln dafür gelten, welche Heilsversprechen auf der Lebensmittelpackung stehen dürfen, soll es ab 2005 einen einheitlichen Rahmen geben. Der Hinweis „macht schlank“ soll dann ganz verboten sein. Zwar regeln zwei Richtlinien aus den Jahren 1990 und 2000, wie Lebensmittel verpackt, gekennzeichnet und beworben werden dürfen. Für die „Schlankmacher“ gibt es eine Vorschrift, die schon aus dem Jahr 1996 stammt. Doch in der Praxis wird vieles davon nicht durchgesetzt.
In einer mehrmonatigen Vorbereitungsphase versuchte Byrnes Mannschaft Verbraucherschützer und Lebensmittelindustrie davon zu überzeugen, dass einheitliche Spielregeln für alle Beteiligten Vorteile bringen. Knapp hundert Lobbyisten vertreten in Brüssel die Interessen derjenigen, die „from the stable to the table“ – vom Bauernhof auf den Teller – an der Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln in der EU beteiligt sind.
Zunächst hatten die Verbände an der neuen Werbeverordnung wenig auszusetzen. Eindeutige und einheitliche Vorschriften für die ganze Europäische Union machen das Leben der Hersteller schließlich einfacher. Denn derzeit reicht das Spektrum von Dänemark, wo Angaben über Nährwert und Gesundheitseffekte eines Nahrungsmittels ganz verboten sind, bis Italien, wo jede Wunderwirkung ungestraft behauptet werden darf.
Dass die deutsche Nahrungsmittelindustrie und vor allem die deutsche Werbewirtschaft sich als Einzige von Anfang an gegen den Konsens der Branchenmitglieder in den anderen vierzehn Ländern stellte, hat in Brüssel überrascht. Byrnes Sprecherin Beate Gminder vermutet, dass ein besonders werbefreundliches Klima in Deutschland die Ursache dafür sein könnte. Außerdem seien die Deutschen allergisch gegen so genannte eurokratische Regelungswut und hätten Kommissar Byrne seit dem Streit ums Tabakwerbeverbot ohnehin auf dem Kieker.
Im Januar war ein erster Entwurf fertig, der Einwände und praktische Vorschläge der Lobbyisten berücksichtigte. Da die EU-Kommission trotz gegenteiliger Presseklischees eine kleine Behörde ist, nimmt sie Anregungen aus den Fachabteilungen der Verbände gern auf. Die Diskussion bleibt meist sehr sachlich. Den emotionalen Hebel – zum Beispiel den Hinweis, Arbeitsplätze seien in Gefahr – setzen die Verbandsvertreter eher im Parlament an. Wenn die Abgeordneten dort über Byrnes neue Verordnung abstimmen, sollen sie wissen, was die Entscheidung wirtschaftlich für ihren Wahlkreis oder ihre Heimatregion bedeuten könnte.
Dann jedoch erschien im März ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der feststellte, dass hoher Fettgehalt der Nahrung, zu viel Zucker und Salz chronische Krankheiten begünstigen. Daraufhin fügte Byrne seinem Verordnungsentwurf einen weiteren Passus an. Lebensmittel, in denen diese Stoffe den gesundheitlich bedenklichen Schwellenwert überschreiten, sollen überhaupt nicht mehr mit gesundheitsbezogenen Angaben beworben werden dürfen.
Das rief die Zuckerindustrie auf den Plan. Der Burgfrieden mit Byrnes Abteilung wurde gekündigt, Klagebriefe an andere Kommissare wie den für Landwirtschaft zuständigen Franz Fischler oder Industriekommissar Erkki Liikanen verschickt. Tenor: Der Zuckerbann schädigt bäuerliche Betriebe und kostet außerdem Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie.
Byrne ließ sich nicht beeindrucken und beharrte auf seinem „Nährwertprofil“. Spätestens achtzehn Monate nach Verabschiedung der Verordnung, will die Kommission „nach einer Konsultation der Interessengruppen und auf der Grundlage eines Gutachtens der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit“ festlegen, was überhaupt noch mit Gesundheitsslogans beworben werden darf und was nicht.
Dieses Verfahren klingt nach neuen eurokratischen Alpträumen. Wer hier den „Regulierungsdschungel“ verortet, übertreibt ganz sicher nicht. Doch für eine differenzierte Diskussion mit dem Ziel Etikettenschwindel zu verhindern dürfte es in Deutschland längst zu spät sein. Düstere Warnungen der Lebensmittel- und Werbelobby und Zeitungsschlagzeilen auf Stammtischniveau haben dafür gesorgt, dass nun alle entrüstet feststellen, diese Bande in Brüssel habe sich mal wieder eine ganz blödsinnige Verordnung ausgedacht.
DANIELA WEINGÄRTNER