: Er hielt einfach still
Klaus K. war keine Witzfigur. Seine Frau, sagen die Verwandten, habe er geliebt, ja vergöttert. Gegen ihre Schläge und Strafen aus belanglosen Anlässen hat er sich nie zur Wehr gesetzt. Im Juli wurde Gisela K. vom Berliner Landgericht zu neun Jahren Haft verurteilt. Wegen Mordes an Klaus K.
von KIRSTEN KÜPPERS
Als die Polizisten Gisela K. fanden, saß die 63-jährige Hausfrau im Wohnzimmer auf der Couch und weinte. Ihr Mann lag tot im Flur. Die Leiche von Klaus K. steckte in einem Schlafanzug, der zierliche Körper darunter war von Verletzungen übersät.
Klaus K. lag schon lange so da, wie die Polizei schnell feststellte. Die Beamten waren eben erst gerufen worden, jetzt war es später Nachmittag, und der Tod von Klaus K. war bereits am Abend vorher eingetreten. Auch fiel den Polizisten auf, wie sauber die Wohnung war, keine Flecken auf dem Teppich, keine Nachlässigkeit in den Zimmern, nichts störte die Anordnung der Dinge, es roch nach Putzmitteln. Die Beamten schöpften Verdacht, als sie den Hausarzt anriefen. Nein, der Rentner sei nicht krank gewesen, sagte der Arzt am Telefon. Es sei sehr ungewöhnlich, dass ein 65-Jähriger einfach so stirbt. Dem Arzt waren allerdings mehrfach „Blessuren“ an dem schmächtigen Klaus K. aufgefallen. Im Mülleimer findet die Polizei dann eine Plastiktüte mit Werkzeug, darunter einen Fleischklopfer aus Metall. Gisela K. sitzt auf der Wohnzimmercouch und weint.
43 Jahre war das Ehepaar K. verheiratet. An einem Adventssonntag vergangenen Jahres bereitete Gisela K. dieser Verbindung ein Ende. Mit einem Fleischklopfer, einem Telefonhörer und einem heißen Bügeleisen schlug sie so lange auf ihren Mann ein, bis Klaus K. tot gegen die Kacheln des Badezimmers sank. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn misshandelte. Immer wieder hatte sie in den letzten Jahren zugeschlagen. Mit einem Nudelholz, einem Kochlöffel, mit der Bratpfanne. Ihr Ehemann wehrte sich nicht, er hielt einfach still.
Zugegeben hat Gisela K. die Tat nicht. Als ihr im Juli am Landgericht Berlin der Prozess gemacht wird, sitzt sie in schwarzer Trauerkleidung neben ihrem Anwalt und weint in ein Papiertaschentuch. „Die Angeschuldigte handelte aus Verachtung gegenüber dem von ihr in jeder Hinsicht als unterlegen angesehenen Ehemann und mit dem Willen, ihn körperlich zu vernichten“, wirft ihr der Staatsanwalt vor. Gisela K. trägt eine goldene Kette mit Kreuz um den Hals, sie weint und schweigt.
Bereits als die Polizisten sie festgenommen hatten, sie ins Auto setzten und mitnahmen aufs Revier, gab Gisela K. an, sie habe nichts getan. Später fand die Polizei in der Wohnung einen Brief. Gisela K. hatte ihn geschrieben, als sie neben der Leiche ihres Mannes in der Wohnung wartete. Sie schrieb, ihr Mann habe sich den Schädel selbst zertrümmert, er sei von allein ins heiße Bügeleisen gefallen. Eine Behauptung, „die nicht wahr sein kann“, sagt der Staatsanwalt. Klaus K. war „übel zugerichtet“, als man ihn fand. Fast sämtliche Rippen und das Brustbein waren gebrochen.
Der Fall ist für die Berliner Polizei und Justiz beispiellos. Noch nie sei ihm in seiner Karriere ein derartiges Verbrechen untergekommen, sagt der Staatsanwalt. Dass Gewalt von Frauen gegen Männer indes keine Seltenheit ist, zeigt der Umstand, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bereits im vergangenen Jahr eine Pilotstudie zum Thema „Häusliche Gewalt gegen Männer“ in Auftrag gegeben hat. Im März des kommenden Jahres sollen erste Ergebnisse vorliegen. Immerhin ist eine viel zitierte Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen schon im Jahr 1992 zu dem Schluss gekommen: Männer werden ebenso häufig Opfer von häuslicher Gewalt wie Frauen.
Nach Ansicht des Mainzer Kriminologen Michael Bock wird das Problem dennoch weitgehend unterschätzt. „Männer tauchen als Opfer von Frauengewalt in den offiziellen Statistiken kaum auf“, meint er. Weil sie ihre Erfahrungen als Opfer seltener preisgeben als Frauen. Befördert werde solches Verhalten noch durch eine andere Entwicklung, so Bock: die Zunahme „einer völlig kritiklosen Ästhetisierung von Frauengewalt in Filmen und Werbespots“. Die böse Gewalt bliebe dabei für Männer reserviert, die gute für Frauen. Als Beispiel dient dem Kriminologen etwa ein Werbespot der schwedischen Möbelfirma Ikea. Eine Szene, in der ein Mann aus einem fahrenden Auto geworfen wird und die untertitelt ist mit: „Entdecke die Möglichkeiten“.
Ob solche Filmsequenzen menschliches Verhalten wirklich nachhaltig beeinflussen, bleibt allerdings offen. Tatsache ist, dass Männer vor allem Opfer der Gewalt anderer Männer werden. Nach der polizeilichen Kriminalstatistik waren im Jahr 2001 bei Körperverletzungsdelikten insgesamt 81,1 Prozent der Tatverdächtigen und 64,8 Prozent der Opfer Männer. Findet die Körperverletzung im öffentlichen Raum statt, ist der Kontrast nochmals schärfer: Männer beziehungsweise männliche Jugendliche waren zu 88,7 Prozent die Tatverdächtigen. Männer sind somit generell häufiger Täter und Opfer von Gewalt als Frauen.
Der Berliner Frührentner Klaus K. ist freilich nicht draußen auf der Straße geschlagen worden und auch nicht von anderen Männern. Die Schläge bekam er in der eigenen Wohnung. Sie erwarteten ihn, wenn er nach Hause kam, sie gehörten zu seiner Ehe dazu. Seine Frau schrie ihn an, weil er über den frisch gesaugten Teppich gelaufen war, sie warf ihm vor, dass er getrunken habe, sie beklagte sich, er hätte sich mit Obdachlosen am Bahnhof Zoo herumgetrieben. Klaus K. ertrug den Streit, das Gezeter, die Strafen. Er hat sich nicht gewehrt, er ist auch nicht davongelaufen.
Ein kleiner, gebückt gehender Mann, so beschreiben die Nachbarn im Mietshaus Klaus K. Oft trug er Schwellungen, Blutergüsse, Wunden im Gesicht und an den Armen, erzählen sie. Früher war Klaus K. einmal Möbelpacker gewesen. Er hatte Klaviere und schwere Schränke gestemmt. Bis er wegen einer Krankheit seinen Beruf aufgeben musste. Als Rentner wurde er immer dünner und kraftloser. Oft gab es mit seiner Frau Streit, weil er nicht essen wollte. Die Nachbarn hörten wieder das Geschrei durch die Wände.
Seine Vormittage verbrachte Klaus K. oft im Keller. Vermutlich weil er in der Wohnung störte. Im Keller setzte K. sich auf eine alte Matratze und rauchte heimlich Zigaretten. Ein gemäßigter Rückzug, eine leise Form des Protests. Klaus K. hockte da, zog an seiner Zigarette, genoss die Friedfertigkeit der Umgebung. Oft löste er Kreuzworträtsel, manchmal hörte er nur auf die Geräusche im Dunklen. Damit seine Frau seiner Gewohnheit nicht auf die Schliche kam, versteckte K. den Tabak im Briefkasten. Gisela K. hatte die Wohnung seit Jahren nicht mehr verlassen, sie war scheu, sie ging einfach nicht mehr nach draußen.
Der Fall der Eheleute K. passt nicht ins gängige Bild von Beziehungsgewalt. „Polizei und Gerichte haben die Normalitätsvorstellung, dass Männer Täter und Frauen Opfer sind“, sagt der Kriminologe Michael Bock. Dass dies der Realität nicht unbedingt entsprechen muss, zeigen diverse Studien zum Thema. Nach Forschungsergebnissen aus Dänemark sowie aus Neuseeland ist in diesen Ländern rund ein Drittel der Frauen schon einmal gegen den Partner gewalttätig geworden.
Für Deutschland hat der Soziologe Gerhard Amend von der Universität Bremen in einer Untersuchung zur Lebenssituation geschiedener Väter herausgefunden, dass vor Trennungen in jedem vierten Fall die Handgreiflichkeiten von Männern, zu 58 Prozent jedoch von Frauen ausgehen. In 17 Prozent der gewaltsamen Beziehungskonflikte ist es mal die Frau, die zuerst zuschlägt, mal der Mann.
Interessant ist vor allem der Unterschied in der Wahl der Waffen, den Amend feststellt. Seine Studie ergab: Während Männer sich auf ihre Körperkraft verlassen, greifen Frauen häufiger zu Gegenständen wie Messern oder schütten ihrem Partner heißen Kaffee ins Gesicht.
Gisela K. hat es nicht bei heißem Kaffee belassen, wie die polizeilichen Ermittlungen ergaben. Sie schlug ihren Mann mit diversen Küchengeräten. Daneben verfügte sie über ein umfangreiches Instrumentarium der Kontrolle. Sie verwaltete das Geld, sie schrieb seine Briefe. Wenn Gisela K. ihren Mann zum Einkaufen schickte, musste Klaus K. im Laden zuerst die Preise erfragen, sich bei ihr zu Hause die Erlaubnis zum Kauf abholen und dann noch einmal loslaufen. Manchmal sprach Gisela K. ihm auch Anweisungen auf ein Diktiergerät. Warum sie Klaus K. überwachte, hat sie der Polizei erzählt: „Ich kam aus gutem Hause, er nicht. Ich konnte mit Geld umgehen, er nicht.“ Immer wieder hielt sie ihrem Mann vor, er habe gestohlen.
Sie hatte Recht damit. Klaus K. hat gelegentlich in Drogeriemärkten und Kaufhäusern Gegenstände entwendet. Weil das Geld, das sie ihm zuteilte, nicht reichte. Oft stahl er auch kleine Geschenke für seine Frau: Kosmetikartikel, Kaffee oder Süßigkeiten. „Frauchen sagte, dass sie das immer einmal gern haben wollte“, erzählte er den Polizisten, als er mit einem Dauerwellenmittel in der Tasche erwischt wurde. Er machte einen ziemlich verängstigten Eindruck. Es kam vor, dass Gisela K. ihn tagelang nicht in die Wohnung ließ, wenn sie von den Diebstählen erfuhr.
Auch im September vergangenen Jahres wurde der Rentner in einem Supermarkt beim Klauen erwischt. Klaus K. weinte, er bat die Polizisten, seiner Frau nichts davon zu erzählen. Sie würde ihn sonst zu Tode prügeln, flehte K. Die Polizisten sahen die Narben an seinem Rücken. Sie haben ihm geglaubt. Sie haben eine Strafanzeige gegen Gisela K. aufgenommen.
Seit eineinhalb Jahren gehen die deutschen Behörden mit einem neuen Konzept gegen häusliche Gewalt vor. Dazu gehört, dass die Täter der Wohnung verwiesen und in besonderen Fällen auch in Gewahrsam genommen werden können. Zudem werden Ermittlungen von Amts wegen auch dann eingeleitet, wenn das Opfer selbst keine Anzeige erstattet. In nahezu allen Fällen kommt es dabei zur Anklage – eine Tatsache, von der sich Polizei und Justiz einen besonderen Abschreckungseffekt erhoffen.
Bei Klaus K. wurde die Sache nicht weiterverfolgt. Mit der Anzeige war eine neue Bedrohung in sein Leben getreten. K. hatte Angst vor dieser Gefahr, die von außen kam und die er nicht kannte. Einen Tag nachdem die Anzeige aufgenommen worden war, ging er auf das Polizeirevier und zog sie wieder zurück. Es war, als hätte ihn sein eigener Mut überrascht. Als wolle er, dass alles zusammenhält. K. ging weiter in seinen Keller, rauchte und schwieg.
Im Jahr 2002 wurden der Berliner Polizei 7.552 Fälle von häuslicher Gewalt bekannt. In 5.776 Fällen ließen sich ein männlicher Täter und ein weibliches Opfer feststellen. Nur in 957 Fällen waren Frauen die Täterinnen, Männer die Opfer. Eine Zahl, die dennoch bemerkenswert ist, meint der Berliner Familienberater Peter Thiel. „Wenn es diese Männer gibt“, sagt er, „muss es auch ein Hilfsangebot für sie geben.“ Thiel will das erste Männerhaus in Deutschland gründen. Ein Konzept dafür hat er schon eingereicht. Beim Bundesfamilienministerium fand die Idee Unterstützung, bislang hat sich jedoch das Land Berlin wegen der katastrophalen Haushaltslage geweigert, sich an den Kosten zu beteiligen. „Wir bleiben trotzdem am Männerhaus dran“, sagt Thiel.
Ein Thema, das sich für Streit eignet. Viele Männer fühlen sich mit der Diskussion um häusliche Gewalt von Frauen in ihren frauenfeindlichen Ressentiments bestätigt. Nicht wenige Frauen wiederum sehen sich mit der Forderung nach einem Männerhaus in die Defensive gedrängt. Dennoch: Einen antifeministischen Diskurs will Peter Thiel nicht führen. „Es geht nicht darum, Männer generell als Opfer zu stilisieren“, betont er. „Wir wollen nur die Einseitigkeit aufheben, die bislang beim Thema Gewalt herrscht. Es ist eben nicht so, dass immer nur Frauen die Opfer sind.“ Auch die herrschenden Rollenklischees sind nach Thiels Ansicht ein Problem: „Männer, die zu Hause geschlagen werden, werden in der Gesellschaft immer noch als Witzfiguren belächelt.“ Nicht selten trifft sie unverhohlene Schadenfreude.
Klaus K. war keine Witzfigur. Er hat seine Frau nach Aussage seiner Verwandten geliebt, sie gar „vergöttert“. Auf dem Hochzeitsfoto von 1960 sieht die Ehe der K.s tatsächlich aus wie ein schönes Glück. Er mit einer kühnen Tolle im Haar, sie in einem weißen Kleid mit bauschendem Petticoat. Das mit den Schlägen ist Klaus K. erst viel später widerfahren. Da waren die beiden Kinder bereits erwachsen, da war seine Frau schon einmal durchgebrannt mit einem hübschen Italiener, und da war sie längst wieder zurückgekehrt zu ihm. Im Jahr 2000 hat Klaus K. ihr ein Auto gekauft. Er hat ihr Pralinen geklaut. Er hat sich nicht gewehrt, wenn sie ihn geschlagen hat. Es hat nichts genutzt. Die Fallen zwischen zwei Menschen waren gestellt, die Gruben gegraben. Je mehr Klaus K. ertrug, desto drastischer wurden die Verletzungen.
„Das ganze Leben hat man sich nichts zuschulden kommen lassen, und jetzt wachsen einem die Probleme über den Kopf“, erzählte Klaus K. einmal Polizisten, die ihn wegen eines Ladendiebstahls verhörten. Die Zuversicht ließ sich nicht aufrechterhalten, für einen Ausstieg aus der Ehe fehlte Klaus K. die Entschlossenheit.
Oft, sagen die Anwohner, stand Herr K. stundenlang verloren auf dem Gehsteig und schaute in die Luft. Eine seltsam fahle Erschöpfung. Immer wieder, sagen die Nachbarn, hätten sie versucht, ihm zu helfen. Sie haben geklingelt, wenn es wieder laut wurde in der Wohnung nebenan. Sie haben Herrn K. angesprochen im Treppenhaus. Aber K. war keiner, der private Angelegenheiten nach draußen trug. Er verteidigte seine Frau. „Er sagte, sie sei psychisch krank und habe Angst vor anderen Menschen“, sagt ein Nachbar.
Jetzt ist Klaus K. tot. In einem Brief, den die Polizei in der Wohnung gefunden hat, schreibt seine Frau: „Ich kann ohne meinen Klaus nicht leben. Trotz seiner vielen Fehler.“ Das Berliner Landgericht hat Gisela K. zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Ihre Unfähigkeit, zu lieben, und eine zunehmende Sprachlosigkeit seien durch mehr und mehr körperliche Gewalt ausgeglichen worden, formuliert es die Richterin in der Urteilsbegründung. Die Grenze war erst mit dem Tod erreicht.
KIRSTEN KÜPPERS, 31, arbeitet als freie Journalistin und Gerichtsreporterin in Berlin