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Archiv-Artikel

kirsten fuchs über Kleider Dada im Schlussverkauf

Ein harter Tag  –  mit Schürzen, Schürzen, Schürzen und der Suche        nach den Basics

Am dritten Tag des Sommerschlussverkaufs packen mein Lebensgefährte und ich unseren Wanderrucksack: Trinkflasche, Kekse, Zigaretten, Stadtplan und die Reste des Geldes. Das Sommerschlussgeld für den Sommerschlussverkauf. Danach werden wir pleite sein und im Winter frieren, weil wir nur dünne Sachen haben. So wird’s kommen.

Aber weil dieses Jahr der letzte offizielle Sommerschlussverkauf stattfindet, müssen wir hin. Das sagt uns der Geizkragen auf unserer linken Schulter. Auf der rechten Schulter sitzt sein Widerpart und meint, wir könnten uns auch einen schönen Tag machen und noch mehr Geld sparen. Geiz gegen Geiz. Aber – wer weiß, wie die Ausmistaktionen in Zukunft ablaufen? Der Wochenschlussverkauf: Alle Produkte 0,3 Prozent billiger. Frühlingsschlussverkauf: Alles muss raus. Ein Lieblingsatz von mir. Alle Reste müssen verkauft werden, die Kunden werden aus dem Laden getrieben und die Verkäufer werden gekündigt. Alles muss raus. Alle müssen hin.

Wir beginnen den Tag gleich richtig hart und gehen in ein großes Kaufhaus. Der Mann an meiner Seite sucht einfarbige T-Shirts. Keinen Schnickschnack. Ihm schwebt ein eingeschweißter Fünferpack für wenig Geld vor. Keine Streifen, kein Polokragen, keine Polizei, und das Geld in kleinen Scheinen – wir finden nichts. Das, was manche Modezeitschriften Basics nennen, ist nicht so einfach zu bekommen.

Dabei tragen etliche Männer einfarbige T-Shirts. Wo kriegen die den Stoff her? Jedes Mal, wenn mein Gefährte einen Geschlechtsgenossen mit einem einfarbigen T-Shirt sieht, sagt er: „Da!“ Dann finden wir Viererpacks: weiß, schwarz, grau, aber nicht in S. Männeroberteile werden immer größer. Ich sehe XXXL im Kragenetikett. Mein Begleiter sagt jetzt jedes Mal, wenn er einen Mann in XS-Größe sieht: „Da!“ Und wenn der Zwerg auch noch ein einfarbiges T-Shirt an hat, sagt er: „Da, da!“ Die Kassenschlange muss ohne uns bis zur Rolltreppe reichen. Der Mann kuckt traurig. Ich kaufe ihm ein Eis.

Sommerschlussverkauf ist unter anderem widerlich, weil Sommer ist und die wühlende Masse auftritt, als hätte sie tatsächlich ihr letztes vollgeschwitztes Hemd an. Ihre Körper senden Geruchssignale an die Herdenmitglieder: Ich habe gerade Stress. Ihre Augen blicken ernst, als ob sie ganz dringend etwas zum Anziehen brauchen. Egal was! Was auf den Grabbeltischen ineinander verknotet liegt, ist das Hinterletzte. Über einem Drehständer steht: „Schürzen, Schürzen, Schürzen“.

Was war das für ein Paradies kurz nach der Wende. Dass ich das nicht verdrängt habe und auch zugeben kann, ist fast ein therapeutischer Durchbruch. Was ich alles gekauft habe, nur weil ein Schild darin steckte, auf dem stand: „ab zwei Mark“. Böse Falle. Im goldenen Westen gibt es Hosen ab zwei Mark, aber ohne Extras, zum Beispiel Hosenbeine.

Inzwischen habe ich gelernt, mit Sonderangeboten umzugehen. Ich kann jederzeit damit aufhören. Richtig billig ist der SSV dieses Jahr auch gar nicht. Richtig billig ist ab null. Der Euro scheint immer noch die Leute zu verarschen. Aber so dumm sind die Leute nicht, darum ist es bei den Stoffresten wie bei der Taubenfütterung auf dem Markusplatz in Venedig. Die Menschen sitzen den Verkäufern auf der Schulter und gurren.

Nach dem Reinfall im Kaufhaus gehen wir in einen Secondhandshop. Dass dort auch Sommerschlussverkauf ist, macht eigentlich keinen Sinn, denn Secondhandläden scheren sich einen feuchten Kehricht um Mode und Jahreszeiten, da hängt alles rum. Wer räudige Pelze braucht oder riesengroße Hosen, von Männern, die an Fettleibigkeit gestorben sind, weshalb ihr letztes Hemsd in die Altkleidersammlung kam …, der wird fündig.

Ich frage mich oft, was die Leute mit dem Zeug noch basteln wollen. Vogelscheuchen? Der Secondhandladen, zu dem wir gehen, verkauft die Kleidung nach Gewicht. Ich kaufe gerne leichte Kleidung. Luftig und billig. Aber richtig springt mich nichts an. Ein Kleid gefällt mir, aber eine Frau probiert es gerade an. Nur spaßeshalber frage ich die Verkäuferin, ob noch so ein Kleid da ist. Sie ist verwirrt. Basics für den Mann in Größe S gibt es auch hier nicht. Mit Basics hat das alles nichts zu tun. Mir ist das egal, ich suche ja nichts, ich begleite nur meinen Freund, der seine alten T-Shirts gegen neue austauschen will.

Und dann passiert, was passieren musste: Weil mein Geld nicht reicht, borge ich mir welches von dem nicht fündig gewordenen Mann, um mir meinen x-ten Rollkragenpullover zu kaufen, mit ohne Ärmel. Schick!

Fragen zum Schick?kolumne@taz.de