bettina gaus über Fernsehen : Mitten im Nirgendwo
Für einen journalistischen Skandal interessieren wir uns immer – falls er nicht gerade in Afrika passiert
Vermutlich erinnern Sie sich an den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher, auf die der Stern hereingefallen war. Zwar liegt das 20 Jahre zurück, aber es ist zum Symbol für journalistische Fehlleistungen geworden. Aber sagt Ihnen auch der Name Ulla Ackermann etwas? Der damit verbundene Skandal ist gerade mal vier Wochen her: Mit einem frei erfundenen Bericht über ihre angeblichen Erlebnisse als Kriegsberichterstatterin in Afrika hat es die Autorin auf die Bestsellerliste und in zahlreiche Fernsehsendungen gebracht. Erschienen ist ihr Buch „Mitten in Afrika“ bei Hoffmann und Campe, einem der renommiertesten Verlage der Republik.
Ende Juni wurde das Buch vom Markt genommen und eingestampft, nachdem die Schriftstellerin auf drängende Nachfragen hin ihren Betrug eingestanden hatte. Ein sehr seltener Vorgang im Verlagsgeschäft. Sehen Sie die Schlagzeilen vor Ihrem geistigen Auge? Nein? Das ist kein Wunder. Es hat sie nicht gegeben. Die entsprechenden Meldungen waren nur gerade so groß, dass sie von der interessierten Branche zur Kenntnis genommen wurden. Nicht aber vom breiten Publikum.
Hätte die ehemalige Südafrika-Korrespondentin Almut Hielscher nicht den Mut gehabt, die deutlichsten Absurditäten akribisch im Spiegel aufzulisten: Das Machwerk wäre vermutlich noch jahrelang als Sachbuch durchgegangen und Frau Ackermann schon bald zur anerkannten Expertin für Afrika geworden. Da hat der Kontinent wenigstens einmal Glück gehabt. Denn für die Autorin ist nur eine Frage offen geblieben, nämlich „worin dieses Etwas besteht, dieses Andersartige der afrikanischen Mentalität“. Anders ausgedrückt: „Was ist dieses Etwas, das Afrikaner zu Tötungsmaschinen werden lässt?“ Ja, was wohl. Vielleicht die Tatsache, dass nicht einmal derart offenkundiger, rassistischer Unfug bei Leserinnen und Lesern die Alarmglocken schrillen lässt.
Warum haben alle Kontrollsysteme versagt? Sie hätten doch auf drei Ebenen zugleich reagieren müssen: auf der sachlichen, auf der emotionalen und auf der Ebene des gesunden Menschenverstandes. Eine Reporterin, die angeblich über den Völkermord in Ruanda berichtet hat, verwechselt immer wieder die Volksgruppen der Hutu und der Tutsi. Sie behauptet, Nelson Mandela an einem Ort interviewt zu haben, wo er nie gewesen ist. Sie hat keine Ahnung von den politischen Hintergründen des Bürgerkriegs in Somalia. Für all diese Erkenntnisse hätte ein Blick ins Zeitungsarchiv genügt. Diese Mühe war den Verantwortlichen offenbar zu groß.
Sie müssen den bestimmenden Wunsch empfunden haben, die geschilderten Erlebnisse für real zu halten. Immerhin waren diese in emotionaler Hinsicht eindrucksvoll genug. Ein selbst ernannter Leibwächter erschießt vor den Augen von Ulla Ackermann einen Jugendlichen. Ihr Lebensgefährte und Kameramann kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Ihre Tochter stirbt an Malaria. Mitglieder ihres Teams werden vor ihren Augen von einer Handgranate zerrissen. Irgendwo inmitten eines ruandischen Flüchtlingstrecks.
Danach will Ulla Ackermann „nach Kigali zurückfahren. Nicht nach Kinshasa und auch nicht nach Goma.“ Verständlich. Es gibt keinen Ort im Kongo, von dem aus man die freie Wahl hat, nach Kigali, nach Kinshasa oder nach Goma zu fahren. Das erlauben weder die Straßenverhältnisse noch die politische Situation. Wie man aus zahlreichen Artikeln erfahren kann.
Ginge es ausschließlich um den Nachweis, dass ein einzelner Lektor seinen Job nicht ordentlich gemacht hat: der Vorgang wäre kaum einer weiteren Erwähnung wert. Aber es geht um mehr. Das Beispiel von Ulla Ackermann zeigt, dass die Redakteure von Fernsehsendungen sich ausschließlich als Makler des ihnen vorliegenden Materials verstehen, nicht aber als eigenständige Journalisten. Andernfalls wäre es kaum erklärlich, dass vom Frühstücksfernsehen in Sat.1 bis zu Biolek niemandem die inneren Widersprüche des Manuskripts aufgefallen sind.
Krieg ist inzwischen normal, aber immer noch ziemlich weit weg. Offenbar gibt es in diesem Zusammenhang nichts, was absurd genug wäre, um nicht geglaubt zu werden. Die gefälschten Hitler-Tagebücher haben die Öffentlichkeit alarmiert: Stimmte das Bild von der Geschichte tatsächlich mit der Realität überein? Der Skandal um Ulla Ackermann scheint kaum jemanden aufgeschreckt zu haben. Vor diesem Hintergrund ist es wenig erstaunlich, dass die Lügen der Regierungen in Washington und London im Zusammenhang mit dem Irak für undurchschaubar gehalten werden. Und dass sich niemand darüber wundert, dass in den Fernsehnachrichten täglich über getötete US-Soldaten berichtet wird. Aber fast nie über getötete Iraker.
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