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Archiv-Artikel

Monarchie und Alltag

In der Techno-Szene steht ein Generationswechsel an: Die Gründerväter werden langsam zu alt für den Club. Deshalb müssen sich DJ-Veteranen wie Jeff Mills, Sven Väth, Westbam und Co. allmählich auf ihren Ausstieg vorbereiten. Der Nachwuchs verstreut sich derweil in verschiedenen Nischen des Genres

Es ist, als ob das letzte Geld aus dem ganzen Ding rausgepresst werden soll

von TILMAN BAUMGÄRTEL

„Soulful Disco“ stand auf der Party-Einladung zu Jeff Mills. Legt der jetzt Disco auf? DER Jeff Mills? Der eigentlich dafür bekannt ist, ein fanatisches Publikum mit Techno der härtesten Sorte niederzuknüppeln und dabei im Schnitt eine neue Schallplatte pro Minute aufzulegen? Der als Produzent und als regelmäßiger Gast-DJ im Tresor, dem dienstältesten Techno-Club Deutschlands, maßgeblich mithalf, die Techno-Achse Berlin–Detroit zu zementieren?

Ja, DER Jeff Mills. Vergnügt steht er am Donnerstag vor der Love Parade in einem kleinen, unspektakulären Berliner Club hinter den Plattentellern und legt ganz entspannt alte Disco-Hits aus den Siebzigerjahren auf – selbst „Good Times“ von Chic fehlt nicht. Für Techno-Aficionados ist das so unglaublich wie es für Actionfilm-Fans wäre, wenn Arnold Schwarzenegger plötzlich tragische Liebesrollen spielen würde. Auch die paar Teenager mit „Tresor“-T-Shirts, die sich an der DJ-Box drängeln, um dem Meister auf die Finger zu gucken, werden an diesem Abend enttäuscht: Mills verzichtet auf all die DJ-Tricks, für die er bekannt geworden ist, sondern lässt ganz kunstlos einen Track in den anderen laufen. Nicht nur die Musik, sondern auch die ausgelassene Stimmung auf der Tanzfläche ist wie bei einer Schulparty. Und dann tut Jeff Mills sogar etwas, was für jeden ehrenhaften Techno-DJ eigentlich vollkommen auf der schwarzen Liste steht: Bei Dan Hartmans Disco-Hymne „Instant Replay“ dreht er kurz die Lautstärke runter, und alles brüllt fröhlich den Refrain mit.

Nein, nein, hat er vorher im Interview beruhigt, natürlich würde er nie aufhören, Techno zu spielen. Aber heute Abend wollte er einfach mal nur Party machen. Überhaupt müsste man sich um Techno keine Sorgen machen: „Ich lege pro Jahr im Schnitt 180-mal irgendwo auf, und wo ich auch hinkomme, ist Techno so lebendig wie eh und je.“ Dann drückt er mir eine selbst gebrannte CD mit der Aufschrift „Jeff Mills: The Healing Channel“ in die Hand. „Meine Frau und ich gehen oft in die Sauna, und da läuft immer so schreckliche Musik“, erklärt er, „darum habe ich Musik zum Entspannen produziert.“ Ambient Music? „Nein, nichts, wo man Vögel und Wellen hört. Musik für Großstädter wie uns, die keine Beziehung zur Natur mehr haben. Ich glaube, wir brauchen etwas härtere Musik, um uns zu entspannen. Diese Musik ist für die Bürger einer Riesenmetropole nach Art von Fritz Langs ‚Metropolis‘ gedacht. Wenn du es oft genug hörst, wird deine Haut so zart wie die eines Babys.“ Und dann sagt er noch, dass er langsam genug hat, als DJ immer so lang aufbleiben zu müssen …

Jeff Mills wird in diesem Jahr 40 und gehört damit zu einer Generation von DJs und Techno-Innovatoren, die im Schnitt doppelt so alt sind wie das Publikum, für das sie heute auflegen. Auch andere Club-Veteranen wie Sven Väth, DJ Hell und Westbam sind auf dem besten Weg in ihr fünftes Lebensjahrzehnt. Während diese Discjockeys in Deutschland seit über zehn Jahren zu den Integrationsfiguren der elektronischen Musik gehören, wird in der britischen Musikpresse schon länger über „DJs mit Bierbauch und Glatze“ (Mixmag) gemäkelt, und dass der Nachwuchs auch langsam mal eine Chance verdient hätte.

Jüngere Discjockeys müssen sich in der Tat bei großen Partys nach wie vor mit den hinteren Plätzen zufrieden geben, während die Namen der Altvorderen, die einst die Infrastruktur der Techno-Szene mit aufgebaut haben, noch immer als Headliner auf den Plakaten stehen. Den Nachgeborenen bleibt nur, mit neuen Clubs und Partys eine eigene Szene zu schaffen oder sich in einer der Subkulturen innerhalb der sich immer weiter verästelnden und spezialisierenden Techno-Szene zu etablieren. So lange, wie es kein wirklich „großes neues Ding“ gibt, das Techno ablöst, wird sich auch wenig daran ändern, dass die Techno-Veteranen sich in ihrer Positition ziemlich sicher fühlen: „Red wieder mit mir, wenn du 30 bist“, scherzte John Aquaviva, selbst ein Techno-Oldie aus Kanada, kürzlich mit einem jungen Fan in Berlin.

Gleichzeitig häufen sich in der letzten Zeit aus den Reihen der etablierten Techno-Produzenten Aktivitäten, die den Eindruck erwecken, als hätte da jemand Angst, sich mit Techno noch nicht gesund genug gestoßen zu haben. So hat Westbam für Langnese kürzlich die Werbemelodie „Like Ice in the Sunshine“ neu aufgenommen. Seine quakende Schrammelversion klingt zwar wie der Versuch, einer Markenfirma viel Geld für wenig Leistung abzuknöpfen, das Ganze hinterlässt aber doch einen unangenehmen Nachgeschmack. Hat er das wirklich nötig?

Auch Sven Väth konnte es nicht lassen, für T-Mobile fünf Klingeltöne aufzunehmen, die man nun für 1,90 Euro pro Stück plus GPRS-Gebühr auf sein Handy laden kann. Wallpaper, Grußkarten und Logos von Väths Cocoon-Club auf Ibiza sollen folgen. Auch hier stellt sich die Frage, ob einer der erfolgreichsten Techno-DJs der Welt wirklich für T-Mobile den Rave-Kasper machen muss. Und der Tresor, bisher nicht nur ein Refugium für Techno der härtesten Gangart, sondern mit einem Eintrittspreis von drei Euro auch für Unkommerzialität, lässt sich neuerdings seinen Mittwoch von einer Limo-Firma sponsern und wirbt damit in ganz Berlin auf Plakaten. All das riecht, als ob die alte Techno-Garde noch mal das letzte Geld aus dem ganzen Ding rauspressen will, bevor sie es sich wie Jeff Mills in der Sauna bequem macht.

Dimitri Hegemann ist auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen: Bei der Konferenz „Musik und Maschine“, die kurz vor der Love Parade in Berlin stattfand, präsentierte der Techno-Entrepreneur und Besitzer des Tresors den Manager eines Berliner Wellness-Clubs, der nach GEMA-freier Musik für seine Aerobic-Klassen sucht. Dimitri Hegemann, dessen Tresor-Label im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von 50 Prozent hinnehmen musste, hält das für einen interessanten neuen Absatzweg: „Damit ist man ganz nah am Konsumenten und umgeht die ganzen Vertriebsfirmen und den Einzelhandel.“ Denn die Wellness-Musik könnte man direkt im Club verkaufen – im Wellness-Club, versteht sich, nicht im Techno-Club!

Nun wird der Ausverkauf von Techno, ganz ähnlich wie der Niedergang der Love Parade, schon fast so lange beklagt, wie es Techno und Love Parade überhaupt gibt. In der Tat haben sich seit Mitte der Neunzigerjahre Markenartikler mit Verve auf die Zielgruppe der als konsumfreudig und unkritisch betrachteten Raver gestürzt. Gut in Erinnerung sind noch Exzesse wie der „Air Rave“, bei dem eine Zigarettenfirma ein Flugzeug voller Techno-Fans zum Nonstoptanz von Deutschland nach Griechenland und Ibiza verfrachtete.

Die Kooperation mit der werbetreibenden Industrie war freilich erstens pragmatisch (ein Massenspektakel wie die Love Parade lässt sich ohne Sponsoren wohl kaum durchführen) und zweitens konsequent: Als erste Pop-Bewegung definierte sich Techno nicht durch Ausschluss der Mehrheitsgesellschaft, sondern ganz im Gegenteil gerade dadurch, dass jeder mitmachen durfte – ein Gedanke, der in Deutschland von dem Journalisten Jürgen Laarmann mit dem Begriff der „Raving Society“ popularisiert wurde. Als Mitte der Neunzigerjahre über eine Million Menschen zur Love Parade nach Berlin kamen, schien dieses Ziel fast erreicht.

In diesem Jahr waren es nur noch 500.000 Menschen, und in dieser Größenordnung dürfte sich die Teilnehmerzahl in den nächsten Jahren wohl einpegeln. Techno ist damit nicht vorbei, nicht tot, sondern eben nur eine ganz normale Sache geworden: ein Musikstil, der ein gewisses Marktsegment bedient, und ein Lebensstil andererseits, der in vieler Hinsicht die gesamtgesellschaftliche Hinwendung zu Körperkult, Hedonismus und Exhibitionismus in den Neunzigerjahren vorweggenommen hat.

Einem Genre, das sich als futuristische Musik begriffen und in seinen unendlichen Loops und Wiederholungen eine ewige elektrisierte Gegenwart ohne Gestern und Morgen proklamiert hat, kann eigentlich nichts Schlimmeres passieren, als selbst Alltag und Geschichte zu werden. Doch neben dem von Puristen als „Kommerz“-, „Deppen“- und „Kinder“-Techno diffamierten Abfahrt-Sound, der immer noch die Großraum-Discos in der Provinz unterhält, hat sich die elektronische Musik in eine unüberschaubare Zahl von Szenen und Subkulturen zersplittert. Besonders in den Vordergrund gedrängelt hat sich in der letzten Zeit der „Elektro-Clash“, den man wahrscheinlich als Versuch der elektronischen Musik werten kann, seine eigene Geschichte zu verstehen. (Übrigens auch jenseits der eigenen Subkultur recht erfolgreich: Bei der diesjährigen Love Parade waren oft genug historische Club-Hits wie das fast zwanzig Jahre alte „Los Ninos Del Parque“ von Liaisons Dangereuses zu hören.)

Der harte Kern, der sich die Party nicht von reingeschmeckten Touristen kaputtmachen lassen will, hat sich auf Open-Air-Partys in Wäldern und an Baggerseen in der ostdeutschen Provinz zurückgezogen. Dort kommt es zunehmend zu interessanten Kombinationen von Techno- und Goa-Szene. Der Beat geht also weiter, wenn auch eher im Verborgenen – und nur für geschlossene Benutzergruppen jenseits des Mainstreams, die keinen Wert auf Berichterstattung in der Presse oder sonstige Öffentlichkeit legen. Und schon gar nicht auf irgendwelche Sponsoren.

Doch dann stehen wir am Sonntag nach der Love Parade auf der Terrasse des Cafés Schönbrunn, wo die letzten drei Tage unter freiem Himmel umsonst und draußen gefeiert worden ist, mitten in einem Park, in dem Familien picknicken und Liebespaare spazieren gehen. Hier sieht Berlin heute ein bisschen aus wie Ibiza. Es ist kurz nach acht Uhr abends und der DJ spielt die letzte Platte. Und dann noch eine letzte Platte, und dann noch eine. Auf der Tanzfläche unter der Disco-Kugel fliegen die Hände in die Luft, die Augen leuchten, jede neue Basslinie wird mit Jubel begrüßt. Wer die Augen wegen der blendenden Strahlen der untergehenden Sonne zusammenkneift, kann von hier das Rave-Kythera sehen: das Land, wo die Musik und der Tanz nie aufhören, wo alle Brüder und Schwestern sind und wo man dauernd vor Freude schreien möchte. Und alles ist noch einmal gut.