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Archiv-Artikel

Profi-Lauscher haben viele Freunde

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über Zulässigkeit des Großen Lauschangriffs. Kläger in der Defensive

Eine Grundgesetzänderung ist nur falsch, wenn sie „Ewigkeitswerte“ verletzt

KARLSRUHE taz ■ „Wer keine Möglichkeit hat, mit den vertrautesten Menschen unbelauscht zu sprechen, fühlt sich isoliert, hilflos, ratlos, hoffnungslos“, warnte Burkhard Hirsch gestern vor dem Bundesverfassungsgericht. Gemeinsam mit weiteren linksliberalen FDP-Politikern – unter anderem Gerhard Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – hatte Hirsch Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung des Großen Lauschangriffs erhoben.

Die Hürde für einen Erfolg der Klage ist allerdings äußerst hoch. Denn Hirsch greift nicht einfach ein Gesetz, sondern eine mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossene Verfassungsänderung an. Eine Grundgesetzänderung kann aber nur dann unzulässig sein, wenn sie die „Ewigkeitswerte“ der Verfassung verletzt, etwa Rechtsstaat und Demokratie abschafft oder die Menschenwürde nicht mehr beachtet wird. Einen solchen Fall sieht Hirsch bei der Einführung des Lauschangriffs gegeben: „Es verstößt eindeutig gegen die Menschenwürde, wenn selbst der letzte Rückzugsraum des Menschen, die eigene Wohnung, nicht mehr vor staatlicher Ausforschung geschützt ist.“

Allzu häufig hat die Polizei von der neuen Befugnis bisher aber nicht Gebrauch gemacht. Von 1998 bis 2002 wurden zur Strafverfolgung nur 116 Lauschangriffe durchgeführt, so berichtete Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Für sie war dies ein Ausdruck der Zurückhaltung von Polizei und Gerichten. Wohnungen würden tatsächlich nur als „letztes Mittel“ abgehört. Hirsch wertete die Zahl jedoch ganz anders: „Der Lauschangriff ist offensichtlich ungeeignet, die Organisierte Kriminalität zu bekämpfen.“

Den wahren Grund für die geringe Zahl der Lauschangriffe nannte wohl Oberstaatsanwalt Achim Thiel aus Frankfurt, der als einer von zahlreichen Sachverständigen geladen war: „Ein Lauschangriff ist sehr aufwändig und teuer.“ Es erfordere oft mehrwöchige Vorbereitungen, bis eine Wohnung unauffällig und an den passenden Stellen mit Mikrofonen bestückt ist. Auch die Auswertung der Aufnahmen sei sehr aufwändig, insbesondere da häufig jedes Wort übersetzt werden muss.

„Die Grundrechte werden also am besten durch technische Schwierigkeiten geschützt?“, fragte da verdutzt Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde – und niemand widersprach.

Kriminologe Christian Pfeiffer, ein bekennender Befürworter des Lauschangriffs, räumte sogar ein, dass künftig mehr abgehört werden könnte, wenn Schlüsselfirmen, Stadtwerke und Alarmanlagenhersteller zur Zusammenarbeit mit der Polizei verpflichtet würden – was derzeit auf Länderebene diskutiert wird.

Ein wichtiger Kritikpunkt der FDP-Politiker war die fehlende Benachrichtigung unbeteiligter Bürger, die sich zufällig in einer abgehörten Wohnung aufhalten. In den USA geht man davon aus, dass auf jeden Verdächtigen 26 sonstige Betroffene kommen. Ob man diese aber alle benachrichtigen soll, stellte Christian Pfeiffer in Frage. „Es verstößt doch gegen den Datenschutz, wenn so jeder Nachbar, mit dem der Verdächtige sich mal unterhalten hat, erfährt, dass die Polizei hier ermittelt hat.“

Umstritten war gestern auch, welche Art von Räumen eigentlich abgehört werden. „Mir ist kein Fall bekannt, bei dem eine Wanze im Schlafzimmer platziert wird“, betonte Ulrich Kersten, der Präsident des Bundeskriminalamtes. Christian Pfeiffer widersprach. Wenn ein Täter gezielt verunsichert werde, dann sei es durchaus sinnvoll, das Schlafzimmer abzuhören, weil dann im Gespräch mit der Partnerin eben auch „verräterische Äußerungen“ gemacht werden.

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Hans-Jürgen Garstka reagierte empört. „Das verstößt doch wirklich gegen die Menschenwürde, wenn der Staat heimlich Bettgespräche abhört.“

Am Nachmittag geriet Burkhard Hirsch dann deutlich in die Defensive. Auf intensive Nachfrage der Verfassungsrichter musste er einräumen, dass er das Abhören von Wohnungen doch nicht so generell ablehnt, wie er eingangs erklärte. Letztlich forderte er nur noch eine präzisere Regelung im Grundgesetz. Damit wird er aber keinen Erfolg haben. „Eine Verfassung sollte sich kurz halten“, erklärte etwa Richter Wolfgang Hoffmann-Riem, der schon die jetzige Regelung des Lauschangriffs im Grundgesetz für zu ausführlich hält. Ganz umsonst dürfte die Klage allerdings auch nicht bleiben. Am späten Nachmittag zeichnete sich ab, dass es einige Nachbesserungen in der Strafprozessordnung geben könnte. So dürfte etwa die Zulässigkeit des Lauschangriffs auf die Verfolgung schwerer Straftaten beschränkt werden.

Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts wird im Herbst gerechnet. CHRISTIAN RATH