: Todestrakt auf Guantánamo
Das US-Verteidigungsministerium will Afghanistan-Gefangene auf dem kubanischen Marinestützpunkt vor Militärtribunale stellen. Hinrichtungen sollen mit der Giftspritze erfolgen. Eine psychiatrische Klinik soll Selbstmordversuchen vorbeugen
aus Washington MICHAEL STRECK
Das Pentagon bereitet Militärtribunale und die mögliche Hinrichtung von Häftlingen vor, die auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo auf Kuba interniert sind. Detaillierte Pläne über den Ablauf der Tribunale sind vom US-Verteidigungsministerium vergangenes Jahres ausgearbeitet worden, müssen jedoch noch von Präsident Bush endgültig genehmigt werden.
Es ist offenbar vorgesehen, Guantánamo als permanentes Internierungslager zu führen. Hinrichtungen sollen in einem noch zu errichtenden Exekutionstrakt mit der Giftspritze erfolgen. Ein Gebäude auf dem Militärgelände wird derzeit zum Gerichtsort umgebaut. Rund ein Dutzend Häftlinge sind nach Angaben des Pentagon für erste Prozesse ausgewählt worden.
Die Tribunale sollen aus drei bis sieben Militärrichtern bestehen. Ein einstimmiges Votum von sieben Richtern wird benötigt, um die Todesstrafe auszusprechen. Rechtsexperten gehen davon aus, dass die ernannten Militärrichter sich nicht scheuen werden, die Höchststrafe zu verhängen. „Keine Frage, die Top-Angeklagten sind alle Kandidaten für die Todeszelle“, sagt Jonathan Turley, Rechtsprofessor an der George Washington University in der US-Hauptstadt. Häftlinge, denen vor dem Militärtribunal der Prozess gemacht werde, hätten praktisch keine Chance, einer Verurteilung zu entgehen, sagt Turley. Die Regeln des Pentagon würden die Angeklagten in eine extrem nachteilige Position bringen. Die Beweisfindung sei kaum überprüfbar und hätte vor keinem zivilen US-Gericht Bestand. Zwar hätten die Angeklagten theoretisch ein Recht auf zivilen Rechtsbeistand, doch sie selbst oder ihre Anwälte müssen sämtliche Kosten tragen – unwahrscheinlich, dass sich so kompetente Verteidiger finden werden. Gegen ein Urteil kann zudem vor keinem herkömmlichen Zivilgericht Widerspruch eingelegt werden, sondern lediglich vor einer anderen Militärkommission und dem US-Präsidenten.
Für die bevorstehenden Tribunale in Guantánamo gibt es kein Vorbild, auch wenn das Pentagon gern den Vergleich zu den Nürnberger Prozessen bemüht. „Es ist kein Militärgerichtssystem und kein Kriminalstrafverfahren. Diktatoren würden es sicher gern kopieren“, sagt Elisa Massimmo, Direktorin des Anwaltskommitees für Menschenrechte. Die Tribunale seien eine Paralleljustiz, die letztlich direkt dem Präsidenten unterstehen würde.
Die jüngst bekannt gewordenen Pläne haben im In- und Ausland heftige Kritik ausgelöst, doch die Bush-Regierung zeigt sich in gewohnter Weise unbeeindruckt. Bereits in der Frage des Status der inhaftierten 680 Männer aus 40 Ländern – überwiegend Taliban-Kämpfer und mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder, die während des Afghanistankrieges gefangen genommen wurden – setzte sie sich gegen alle Proteste über geltendes Völkerrecht hinweg. Per Dekret erklärte das Weiße Haus die Häftlinge zu „feindlichen Kämpfern“ und verweigert ihnen damit den Kriegsgefangenenstatus nach der Genfer Konvention inklusive aller Rechte. Ohne Anklage und Rechtsbeistand werden sie unbegrenzt festgehalten und der US-Gerichtshoheit entzogen.
Die meisten Häftlinge werden vermutlich niemals angeklagt, da die Anschuldigungen für einen Prozess nicht ausreichen. 37 Gefangene, die offenkundig keine Straftat begangen haben, wurden bislang wieder freigelassen. Die anderen bleiben auf unbestimmte Zeit interniert, bis die US-Militärs glauben, dass sie keine wertvollen Informationen mehr liefern oder eine Bedrohung darstellen. Die Ungewissheit treibt die Zahl der Selbstmordversuche in die Höhe. Mit einer neu geschaffenen psychiatrischen Klinik will die Gefängnisleitung nun die seelische Not der Häftlinge lindern.