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Archiv-Artikel

MÖLLEMANN IST DER SÜNDENBOCK FÜR WESTERWELLES POPULISMUS Der alte Affe Antisemitismus

Kein Staatsakt also. Eine Beisetzung „im engsten Freundes- und Familienkreis“ hatte sich Möllemanns Witwe gewünscht. Niemand, weder die FDP-Spitze noch die Bundesregierung, hatte beim zuständigen Präsidenten Johannes Rau eine offizielle Ehrung beantragen wollen. Zur gestrigen Beerdigung erschienen lediglich der einstige Mentor Genscher sowie die letzten verbliebenen Freunde aus der Landes-FDP. Das erweckt den Eindruck, als sei der Mehrheit der Paralamentarier die Erinnerung an ihren ehemaligen Kollegen nur noch unangenehm.

Das Abrücken von Möllemann ist symptomatisch für den schwierigen Umgang der Deutschen mit dem Thema Antisemitismus: Jenseits eingespielter Betroffenheitsrituale schwanken sie zwischen Bagatellisierung und Hysterie. Guido Westerwelle und die FDP-Spitze haben das vorgeführt. Im Streit mit Michel Friedman und dem Zentralrat der Juden stellten sie sich so lange hinter Möllemann, wie sie glaubten, es nütze ihnen. Später drängte Westerwelle Möllemann aus der Partei, machte ihn zum Sündenbock für den eigenen Populismus. Für den er sich nie entschudligt hat.

Es erstaunt, wie jetzt auch der Rest der deutschen Politik auf Distanz zu dem Verstorbenen geht. Franz Josef Strauß mag ein weit größerer Demagoge gewesen, der ehemalige Bundespräsident Karl Carstens weit mehr vergangenheitsbelastet. Trotzdem wurden beide mit einem Staatsakt bedacht. Im Fall Möllemann dagegen scheint dessen Versuch, an antisemitischen Ressentiments zu rühren, so schwer zu wiegen, dass er noch nach dem Tod ausgeschlossen wird. Spätestens damit wird Antisemitismus als Tabu erkennbar, zu einer Art bundesrepublikanischem Grundkonsens, dessen Bruch schwerer wiegt als manch anderes Vergehen. Schwer vorstellbar, dass Möllemann allein wegen seiner finanziellen Fehltritte so geächtet worden wäre. Oder für Ausfälle gegen türkische Migranten. Das ist Ausdruck einer Verdrängung: Statt die Ambivalenzen auszuhalten, die Möllemanns Tod ausgelöst hat, hoffen alle nur, dass bald Gras über „diese Sache“ wächst. DANIEL BAX