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Archiv-Artikel

Gegen die Militarisierung der Politik

Friedensgutachten 2003 im Zeichen des Irakkriegs. Forscher sehen internationale Beziehungen durch Bruch des Völkerrechts „nachhaltig erschüttert“. Gewagte Idee für Palästina: Multinationale Truppe soll Israels Armee in besetzten Gebieten ablösen

aus Berlin BETTINA GAUS

Eine alarmierende Bilanz der letzten zwölf Monate ziehen die führenden deutschen Friedensforscher: „Der Angriffskrieg gegen den Irak und seine Inszenierung durch die neokonservative Administration des US-Präsidenten George W. Bush haben die Weltöffentlichkeit aufgebracht und die internationalen Beziehungen nachhaltig erschüttert“, heißt es im Friedensgutachten 2003. „Ein Grundpfeiler des Völkerrechts, das in der UN-Charta festgelegte Gewaltverbot, wurde schwer beschädigt.“ Die neue Sicherheitspolitik der USA habe das Militär auf Kosten der Diplomatie gestärkt. Es sei zu befürchten, dass „die Rückkehr zum Krieg als gewöhnlichem Mittel der Politik eine neue Dynamik der Rüstungen hervorbringt“.

„Schlechte Beispiele machen Schule“, zitierte Corinna Hauswedell vom Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC), die in diesem Jahr die Federführung bei der Abfassung des Gutachtens hatte, aus dem Dokument. „Eine Militarisierung zwischenstaatlicher Beziehungen und innergesellschaftlicher Verhältnisse gefährdet die Glaubwürdigkeit der Demokratie und die Verteidigung von Menschenrechten.“

Im Mittelpunkt des diesjährigen Friedensgutachtens steht das Leitthema „Kooperation oder Konfrontation“ – also die Frage nach den Alternativen zu einer Militarisierung der Politik. Dabei konzentrierten sich die Herausgeber auf die Möglichkeiten, die Europa in diesem Zusammenhang zur Verfügung stehen. Erstmals hat übrigens das Bundestagspräsidium die Ergebnisse der Studie mit den Friedensforschern erörtert – eine Tatsache, in der die Wissenschaftler einen ermutigenden Hinweis auf wachsendes Interesse am Thema sehen.

Nachdrücklich mahnen die Friedensforscher eine „kohärente Außen-und Sicherheitspolitik“ der EU-Staaten an. Noch täten sich diese schwer, allerdings seien in der Irakkrise „erstmals auch Konturen einer europäisch diskutierenden politischen Öffentlichkeit sichtbar“ geworden. Ansatzpunkte, „um einen gemeinsamen europäischen Willen zu schärfen“, werden im Friedensgutachten ausdrücklich nicht vorrangig im militärpolitischen Bereich gesehen, im Gegenteil: „Gegen die meisten Gefährdungen menschlicher Sicherheit sind militärische Mittel kontraproduktiv oder helfen nur sehr begrenzt.“ Selbst die Erfolge im Kampf gegen internationalen Terrorismus beruhen nach Ansicht der Wissenschaftler vor allem auf polizeilicher und geheimdienstlicher Kooperation.

Um „ein neues, umfassendes Konzept von Sicherheit“ zu erarbeiten, müssten Sicherheit und Entwicklung „zusammengedacht werden.“ Alle Risiken, welche die Lebens- und Entwicklungschancen beeinträchtigen können, sollten gleichrangig behandelt werden: also – beispielsweise – auch Armut, Epidemien und Klimawandel. Ebenso wie in der Vergangenheit bleibe es auch weiterhin richtig, internationale Vereinbarungen und Regelungen selbst dann zu treffen, wenn sich einzelne Staaten einer Mitarbeit zunächst verweigerten. Der Internationale Strafgerichtshof sei dafür „ein erfreuliches Beispiel.“

Eine „intelligente Sanktionspolitik und die Weiterentwicklung des Völkerrechts“ werden in dem Gutachten als wichtige Instrumente internationaler Friedenssicherung bezeichnet, eine klare Absage wird hingegen der Forderung nach Aufrüstung der Europäischen Union erteilt: „Die EU hat weder zu wenig Militär, noch gibt sie zu wenig dafür aus.“

Mit Blick auf einen aktuellen Krisenherd wagen sich die Friedensforscher mit einem brisanten Vorschlag nach vorne: Sie fordern eine multinationale Truppe, um die Bildung eines palästinensischen Staats zu unterstützen: „Allein kann Europa dies nicht leisten. Aber warum sollte die EU nicht vorschlagen, gemeinsam mit anderen Partnern des Quartetts (Russland, USA, UN) die israelische Armee in den besetzten Gebieten zu ersetzen?“