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Archiv-Artikel

Algerien braucht Fundamentalisten

Die verheerende Wirkung des algerischen Erdbebens liegt unter anderem daran, dass ganze Wohnviertel ohne Fundamente mit schlechtem Zement auf Sand gebaut wurden – Folge der Privatisierung der Bauwirtschaft während des Bürgerkrieges

von REINER WANDLER

Manche Wohnblocks kippten einfach auf die Seite weg, andere fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen. Bei wieder anderen knickten sämtliche Pfeiler im Erdgeschoss ein. Die Überlebenden des verheerenden algerischen Erdbebens vom vergangenen Mittwoch betrachten ihre Ruinen mit ungläubigem Blick. Denn zwischendrin stehen immer wieder Gebäude, die den Erdstößen standgehalten haben. „Warum wir?“, fragen viele Opfer und wissen auch gleich eine Antwort. Von „Korruption“ und „Pfusch am Bau“ ist die Rede.

Die östliche Teil der Bucht von Algier, wo das Erdbeben wütete, ist eine „Megalopole“. So nennt Regierungschef Ahmed Ouyahia den Ballungsraum, der über zehn Prozent der algerischen Bevölkerung aufnimmt. Überall um das historische Algier herum schossen in den letzten Jahren komplette Stadtteile aus dem Boden. Seit der Unabhängigkeit 1962 hat sich die Einwohnerzahl Algeriens von 8 auf 30 Millionen fast vervierfacht.

150.000 Wohnungen werden in Algerien jährlich gebaut. Und es reicht nicht. Viele der eingestürzten Gebäude waren überbelegt. Eine siebenköpfige Familie in einer Einzimmerwohnung ist keine Seltenheit. Mehrzimmerwohnungen werden oft von mehreren Familien geteilt.

Um den sozialen Frieden zu erkaufen, geben die Gemeinden Land vielerorts zu einem symbolischen Preis ab. Wer ein bisschen Geld hat, baut sich darauf ein Haus. Billig muss es sein, also wird an allem gespart. Das gilt selbst bei denen, die sich eine Villa mit Meeresblick errichten, wie die eingestürzten Luxussiedlungen am Strand außerhalb der Hauptstadt zeigen.

Auf diese Weise ist ein lukrativer Grundstücksmarkt entstanden, auf dem sich pivate Bauunternehmer bedienen. In den 70er- und 80er-Jahren, als Algeriens damalige Einheitspartei und ehemalige Befreiungsbewegung FLN (Nationale Befreiungsfront) noch den Sozialismus predigte, waren 90 Prozent des Baugewerbes in öffentlicher Hand. Heute sind es noch 40 Prozent. Die neuen Bauherren sind oft die alten – nur eben zum eigenen Profit: Sie bereicherten sich zum Teil nach dem Unabhängigkeitskrieg an dem, was die geflohenen französischen Kolonialsiedler zurückließen – darunter auch jede Menge Land. Zum anderen verdienten sie sich ihr Vermögen mit Grauimporten alltäglicher Waren. Jetzt versuchen sie ihr Glück im lukrativen Geschäft mit der Wohnungsnot. Ohne qualifizierte Arbeiter werden Wohnblocks zu Billigstandards erstellt.

An schlechten Vorschriften liegt es sicher nicht. Nach dem Erdbeben von El Asnam 1980, das 5.000 Menschen das Leben kostete, wurde mit Hilfe ausländischer Fachleute ein Regelwerk erstellt, wie es nur wenige Länder haben. Nur gebaut wird nicht danach.

„Wir sind heutzutage nicht einmal mehr in der Lage, einen Pfosten zu errichten, der die Erdbebennormen erfüllt“, beschwert sich Mohamed Farsi, ein algerischer Erdbebenspezialist. An Stahlträgern wird ebenso gespart wie am Zement. Letzterer ist seit Jahren Mangelware in Algerien – zumindest, wenn er von guter Qualität sein soll. Ein Teil der staatlichen Zement-Fabriken fiel im Laufe der 90er-Jahre dem Krieg zwischen Militär und bewaffneten Islamisten zum Opfer. Gewiefte Geschäftsleute aus Syrien und der Türkei nutzen dies: Sie landen ganze Schiffe voller Zement an, zu deutlich überhöhten Preisen, versteht sich. Manchmal wird der dann mit zuviel Wasser gemischt.

So mancher Wohnblock wurde dabei ohne Fundament förmlich auf Sand gebaut – selbst dort, wo die Wohnungen später, wie in einem Teil des Erdbebengebietes von Boumerdès, an die Mittelklasse verkauft wurden. Staatliche Bauaufseher gibt es meist keine. Und wenn doch, ist es auch nicht schlimm: In Algerien regelt Geld einfach alles.