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Archiv-Artikel

„Comandante, ich möchte mit euch gehen“

Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler war 1964 Ches Chauffeur. Zwölf Tage fuhr der damals 30-Jährige den charismatischen Argentinier durch Genf. Seine Begeisterung für den Comandante und seine Revolution wurde nicht erwidert. „Er hatte Schwierigkeiten mit Menschen“, sagt Ziegler heute

taz: Wie haben Sie Che Guevara kennen gelernt?

Jean Ziegler: Zuerst war ich kurz nach der Revolution mit der Kommunistischen Jugendorganisation in Kuba, und da haben wir Che getroffen. 1964 war ich dann zwölf Tage sein Chauffeur.

Wie das?

1964 fand in Genf der Unctad-Kongress statt, die Zuckerkonferenz, und das war der erste große diplomatische Auftritt Kubas. Die Kubaner hatten keine diplomatische Vertretung in Genf, und da haben sie sich gedacht, da gibt’s doch diesen kleinen Ziegler, der uns in Kuba besucht hat. Der kann uns bestimmt helfen. Ich war ein blutjunger Student, in einem kleinen Morris habe ich Che herumgefahren. Am Wochenende machten wir einen Ausflug nach Chamonix.

Eine faszinierende Erfahrung?

Aber klar! Am Schluss habe ich gesagt: „Comandante, ich möchte mit euch gehen.“ Das war in der Nacht vor seiner Abreise. Da hat mich Che im Hotel Intercontinental im achten Stock vor die große Glasfront gerufen, und da sind die Leuchtreklamen aufgeblitzt – der Banken, der Juweliere. Er hat gesagt: „Siehst du, da unten?“ – „Ja, das ist Genf“, habe ich gesagt. – „Das ist das Gehirn des Monsters, da musst du kämpfen.“ Ich war natürlich tödlich beleidigt. Er war nicht dieser Typ lateinamerikanischer Herzlichkeit, er war eher fein-subtil, ironisch. Er war ziemlich kalt, so im Umgang. Ich war wirklich verletzt. Er hat natürlich tausendmal Recht gehabt. Man stelle sich mich in irgendeiner Guerilla vor!

Er erscheint als harter, distanzierter, rigider Mensch, wenn man die Biografien und Erinnerungen an ihn liest. Stimmt das?

Der französische Autor und Philosoph Régis Debray, der ja in den 60er-Jahren wirklich zusammen mit Che gekämpft hat, der hat immer gesagt, dass es ein großes historisches Missverständnis gibt: Fidel Castro erscheint in der Geschichte als der zynische Diktator, der aus Staatsräson die Allianz mit der Sowjetunion wählte – Che Guevara hingegen als warmherziger, romantischer Held. Im persönlichen Umgang ist es haargenau umgekehrt, das ist auch meine Erfahrung. Im Gespräch ist Fidel immer herzlich, aufmerksam; Che war immer distanziert, der Mann, den man respektierte, aber mit dem man sich nur schwer eine Freundschaft vorstellen konnte.

Ist das auch ein Grund für sein Scheitern gewesen?

Er hat Mühe gehabt mit Menschen. Er hatte etwas Faszinierendes, aber auch etwas Mysteriöses. Ich bin den Weg seiner bolivianischen Guerilla später nachgereist. Ein spärlich besiedeltes, spärlich bewachsenes Gebiet, wo sie immer enger von der Armee eingekreist wurden. Einmal kamen sie an die nördlichste Spitze ihres Operationsgebietes, bei dem Ort Samaipato. Jenseits der Straße war der Dschungel. Wären sie über die Straße gegangen, in den Dschungel hinein, hätte sie kein Mensch mehr gefunden. Aber sie haben die rettende Überquerung nicht gemacht. Che hat befohlen, umzukehren.

Warum wohl?

Bis zum Ende gehen. Darin lag eine eschatologische Dimension. Da gab es viele mysteriöse Momente, die im Gegensatz zu jeder Rationalität standen, aber die zu der ungeheuren Kollektivmotivation beitrugen, die er ausgelöst hat. INTERVIEW: ROBERT MISIK