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Archiv-Artikel

Wer diskriminiert wen, wo, wann und wie?

Die Europäische Union hat Richtlinien erlassen, die Menschen vor Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Rasse, Religion, Alter oder Behinderung schützen sollen. Doch die Umsetzung dieses Antidiskriminierungsgesetzes in nationales Recht der EU-Mitgliedsstaaten stockt und verzögert sich

Integration: lat. „integratio“ – „Wiederherstellung eines Ganzen, einer Einheit“ 2. „Einbeziehung, Eingliederung in ein größeres Ganzes“ (Duden – Das Fremdwörterbuch)

von VERONIKA KABIS

Wenn die Europäische Union Richtlinien erlässt, dann geht dem häufig ein zäher Verhandlungsprozess mit den Mitgliedsstaaten voraus. Nicht so, als im Jahr 2000 zwei Richtlinien erlassen wurden, die Menschen vor Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Rasse, Religion, Alter oder Behinderung schützen sollen. In Rekordzeit und ohne größere Widerstände war hier eine politische Vorgabe aus Artikel 13 des Amsterdamer Vertrags in Rechtsform gegossen worden. Dass sich der Prozess der Umsetzung in nationales Recht dann so schwierig gestalten würde, war damals nicht absehbar. Heute, wenige Monate vor Ablauf der dreijährigen Umsetzungsfrist, klemmt es an allen Ecken und Enden.

Selbst die EU-Staaten, die bereits über Antidiskriminierungsgesetze verfügten, wie etwa Großbritannien, die Niederlande oder Frankreich, tun sich schwer damit, den letzten Schritt zu tun und von den Richtlinien geforderte hohe Schutzniveau gesetzlich zu garantieren. Griechenland, Portugal und Luxemburg haben noch nicht einmal Gesetzentwürfe vorgelegt; lediglich Schweden hat gute Arbeit geleistet und die bestehende Gesetzgebung um drei neue Gesetze ergänzt, deren Effizienz nach einem bestimmten Zeitraum auch evaluiert werden soll.

Im Dezember 2001 hat das Bundesjustizministerium den Entwurf eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes für Deutschland vorgelegt. In kürzester Zeit ist es damit kläglich gescheitert. Dafür verantwortlich war insbesondere der erbitterte Widerstand der Kirchen und der Wirtschaftsverbände. Die Kirchen halten an ihrem Ausnahmestatus fest, wonach beispielsweise die katholische Kirche achtzig Prozent ihrer Kindergartenplätze für katholische Kinder vorhalten darf und kirchliche Einrichtungen das Recht haben, ihre MitarbeiterInnen nach deren Konfessionsangehörigkeit auszusuchen Selektionskriterien, die nach den EU-Richtlinien den Tatbestand der unzulässigen Diskriminierung erfüllen würden. Das Versicherungswesen wiederum hat zu erkennen gegeben, dass es weiterhin in bestimmten Bereichen, etwa bei der Kfz-Versicherung, Ungleichbehandlung zulassen will.

Umgekehrt ging der Entwurf des Justizministeriums den Organisationen und Verbänden nicht weit genug. Vorgesehen war eben nur der zivilrechtliche Anwendungsbereich, also Antidiskriminierungsschutz bei der Vergabe von Wohnungen oder dem Zugang zu Gaststätten oder Diskotheken.

Derzeit finden wieder Verhandlungen zwischen den Bundestagsfraktionen statt. Ungeklärt sind vor allem folgende Fragen: Soll im zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz am horizontalen Ansatz festgehalten werden, oder soll es erst einmal eine kleine Lösung für den Bereich der ethnischen Herkunft geben? Ist ein gemeinsames Gesetz sinnvoller oder eine Aufsplittung in mehrere Gesetze? Will man die EU-Richtlinien tatsächlich umfassend in allen Lebensbereichen umsetzen? Das würde dann auch den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen betreffen, und hier hat der Bundesinnenminister bereits Widerstand signalisiert.

Zumindest ein Problem wurde zwischenzeitlich geschickt gelöst: Nun sollen drei EU-Richtlinien zusammengefasst werden: die Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, die Richtlinie zur Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung, die alle Diskriminierungsgründe umfasst, und die Änderungsrichtlinie zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern. Damit ist ein wenig Zeit gewonnen, denn die erste von Brüssel vorgegebene Deadline wäre Ende Juni gewesen.

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die Salamitaktik inzwischen Leid. In Nordrhein-Westfalen haben die Antidiskriminierungsbüros eine Unterschriftenkampagne „Leben ohne Rassismus – Antidiskriminierungsgesetz jetzt!“ gestartet. Ihre Forderung wird von zahlreichen Prominenten unterstützt. Zu den ErstunterzeichnerInnen gehören Günter Wallraff, Bettina Böttinger, Iris Berben, Ranga Yogeshwar, Dirk Bach und andere. Den Initiatoren ist bewusst, dass ein Antidiskriminierungsgesetz kein Allheilmittel ist und rassistische Einstellungen sich nicht verbieten lassen. Ein solches Gesetz könne aber deutlich machen, dass Diskriminierung gesellschaftlich geächtet und rechtlich geahndet wird, und den Betroffenen somit eine gewisse Rechtssicherheit bieten.

Auch die Europäische Kommission selbst hat inzwischen Gelder zur Verfügung gestellt, um groß angelegte Werbekampagnen zur Stärkung der Antidiskriminierungspolitik und zur Verabschiedung entsprechender Gesetze in allen Mitgliedsstaaten zu finanzieren.

Infos zur Kampagne der Antidiskriminierungsbüros in NRW unter www.NRWgegenDiskriminierung.de