: Der Wimp in mir ist der Wimp in dir
Wenn sich Selbstbewusstsein und Narzissmus immer wieder in die Quere kommen mit Schüchternheit und Unbeholfenheit: Der Berliner Singer und Songwriter Maximilian Hecker präsentiert auf seinem neuen Album „Rose“ Songs voller Pathos, Herzschmerz und juvenil-romantischem Verlangen
von GERRIT BARTELS
Maximilian Hecker lässt sich viel Zeit. Dicht gedrängt, aber geduldig wartet das Publikum über zwei Stunden darauf, dass Hecker an diesem Freitagabend im Berliner Kaffee Burger die Bühne betritt und erstmals die Songs seines neuen Albums „Rose“ live vorstellt. Songs, die voller Pathos, Herzschmerz und juvenil-romantischem Verlangen sind, die „My Love For You Is Unsane“ oder „I Am Falling Now“ heißen und die so klingen, als würden sie von einem schüchternen Sensibelchen stammen, das ungern seine sicheren vier Wände verlässt.
Ganz offensichtlich aber genießt es Maximilian Hecker, dass alle nur ihn sehen und seine Songs hören wollen. Er lässt sich hier von einem jungen Mädchen umarmen und Küsschen geben und hält dort ein Pläuschchen, er schüttelt hier noch eine Hand und schaut dort, wie sich das Kaffee Burger immer weiter füllt und füllt.
So aus allen Nähten platzt es in der Regel nur, wenn „Russendisko“ ist. Meist finden hier unter der Woche Lesebühnenabende und Verbrecherversammlungen statt, viel Pop der anderen Art, Off-Pop sozusagen. Mitnichten ein Ort, in dem „überall nur ganz, ganz junge Leute in Trainingsjacken rumstehen“, wie es in einem Berlinroman heißt, sondern in dem sich eine Mischung aus alter Prenzlauer-Berg-Boheme, letzten linken Studenten und jüngeren Neue-Mitte-Hassern trifft. Hier werden alter Mief und angestrengte Kleinkunst aufs Beste mit Weirdotum und stranger Hipness versöhnt, hier wirkt so ein blass-zartes Popstarjüngelchen mit Sixties-Frisur und Modparka wie Maximilian Hecker wie ein Wesen von einem anderen Stern.
Andererseits ist die Umgebung des Kaffee Burger Heckers angestammter Hometurf. Und auch seine kleine Erfolgsgeschichte ist eine, die in Berlin-Mitte ihren Ursprung hat und dabei vom Niedergang der New Economy und vom Clubsterben nicht mal am Rande tangiert worden ist. Möglicherweise wird Hecker mal ein Evergreen, so wie das Kaffee Burger.
Hecker kam Ende der Neunzigerjahre aus dem Ostwestfälischen nach Berlin, um eine Krankenpflegerausbildung zu beginnen, mehr noch aber, um hier sein Glück als Musiker zu versuchen. Mangels Szeneanschluss postierte er sich Abend für Abend mit seiner Gitarre vor den Hackeschen Höfen und spielte Songs von Beck oder Oasis nach. An diesem exponierten Ort entdeckte ihn eines Tages die Ex-Lassie-Singerin Almut Klotz und animierte ihn, mit ihr und Leuten wie beispielsweise dem Popmaler Jim Avignon eine Band zu gründen, die prompt den Namen Maxi unter Menschen erhielt.
Es war die Zeit, in der popmäßig in Mitte noch viel ging. Hecker jedoch drängte es schnell wieder weg von den Menschen. Er hatte gemerkt, dass er seine Songs lieber allein aufnahm und auch auf der Bühne den meisten Platz für sich beanspruchte. Schließlich reichte er ein Tape beim damals noch unweit der Hackeschen Höfe residierenden Label Kitty-Yo ein, welches sich in dieser Zeit gerade zu einer Heimstatt für eigenwillige Solokünstler unterschiedlichster Provenienz zu entwickeln begann. Es folgte Heckers Debüt „Infinite Love Songs“, das in seiner Fragilität, seiner Zartheit, seinem zur Schau gestellten Wimpismus und seinen mitunter wunderschönen Melodien ein interessantes Gegenmodell zu den strammen Kitty-Yo-Entertainern wie Gonzales oder Peaches darstellte.
Seit dem Erscheinen dieses Albums versucht sich Hecker nun an einer Art psychodynamischer Quadratur des Kreises. So wollen bei ihm Narzissmus und Selbstbewusstsein zu ihrem Recht kommen, vertragen sich jedoch schlecht mit Heckers Schüchternheit und Unbeholfenheit. Folgerichtig kommt es in seinen Songs zu vielen Wechselfällen. Manche Songs sind tatsächlich groß und Pop, und sie lassen in ruhigeren Momenten erahnen, dass Hecker ein kompetenter Wiedergänger von Musikern wie Nick Drake oder Lawrence von Felt ist. Manchmal kann man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, aus ihnen nichts anderes als einen Jammerlappen rauszuhören; einen Jammerlappen, der arrogant wirkt und gern Schwerstapfendes von sich gibt. Etwa dass er eine „diffuse Sehnsucht nach Erlösung“ spüre, wie Hecker vor zwei Jahren in der taz kundtat, oder er für die Aufnahmen von „Rose“ in die „tiefsten Abgründe seiner Seele blicken musste“ (Presseinfo).
Allerdings hat man ihn dann wieder auf der Bühne eines Straßenfestes in Mitte gesehen, wo ihn mehrere volle Bierbecher trafen und nicht davon abhielten weiterzumachen: Gesicht abputzen, Song neu starten und leckt mich am Arsch.
Im übervollen Kaffee Burger wiederum sieht man, so man was sieht, einen eher linkischen Mann zusammen mit seinem Musikerkollegen Jens Friebe auf die Bühne kommen. Sie spielen ohne Ansage zwei Songs, darunter ein Cover von Lionel Richies „Hello“, die sich kaum entfalten wollen, so leise sind sie, so wenig vermögen sie den Konzertraum bis in die letzten Reihen und an die Theke zu durchdringen. Erst dann begrüßt Hecker sein Publikum mit den Worten: „Also, äh, ich bin Maximilian Hecker.“
Wer es nicht gewusst hat, freut sich, die anderen wundern sich. Besser als dieser Auftritt, der musikalisch und personality-technisch alle Wünsche offen ließ, ist wenigstens Heckers neues Album, für das er in dem Briten Gareth Jones einen toughen Produzenten zur Seite gestellt bekommen hat.
Jones, der schon Moby, die Neubauten oder Depeche Mode so manchen letzten Schliff gab, hat Heckers früher unfertig wirkende, ausfasernde Songs auf Vordermann gebracht. Sie sind fetter produziert, wirken dabei aber höchst elegant, um nicht zu sagen: Sie funkeln und strahlen. Selbst Achtziger-New-Wave wie in „Daylight“ und sanftes Drum-&-Bass-Geklöppel wie in „My Love For You Is Insane“ vertragen sie und lassen Hecker nicht zwischen alle Sounds rutschen. Den Bogen bekommt er zuverlässig mit Falsett und Piano, und am Ende zieht er mit dem Titelsong „Rose“ noch mal alle Register: Schmacht und Schluchz, Rauf und Runter, Himmel und Hecker, der Wimp in mir ist der Wimp in uns allen.
Großes Seelenkino, zu dem leider auch gehört, dass Hecker an diesem Abend im Kaffee Burger davon spricht, es sei sowieso alles nur ein Witz, und den ganzen, vielen Ernst könne man gar nicht anders ertragen. Wie er das wohl wieder gemeint hat?
Maximilian Hecker: „Rose“ (Kitty-Yo/Pias)