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Archiv-Artikel

Alles ist darstellbar

Verweigerungsarbeit: In Berlin zeigt die Ausstellung „Wonderyears“, wie die aktuelle israelische Kunst nach Möglichkeiten sucht, sich ohne ritualisiertes Gedenken an den Holocaust zu erinnern

Der Bart ist ein Erkennungsmerkmal für neue Kunst aus IsraelDie Lehre, die junge Israelis heute aus Auschwitz ziehen: Alles ist darstellbar

von HARALD FRICKE

Alle Faszination geht vom Bart aus. Adolf Hitler, das ist ein zwei mal zwei Zentimeter großes Haarbüschel: eine Ikone, zur künstlerischen Verwertung freigegeben. Nicht im krassen Pop der young british artists, sondern in der israelischen Gegenwartskunst. Roee Rosen hat das schwarze Quadrat auf Zeichnungen seiner Installation „Live and Die as Eva Braun“ in ein Kindergesicht gemalt. Das war 1997, und obwohl Rosens surrealer Zyklus das Klischee vom Monster ins Absurde steigert und auflöst, kam es bei der ersten Präsentation in Jerusalem zum Eklat. Nie zuvor war Hitlers Konterfei überhaupt in einer Ausstellung in Israel zu sehen gewesen.

Seither ist der Bart ein Erkennungsmerkmal für neue Kunst aus Israel. Tamy Ben-Tor hat ihn sich für ihre Performance „Hitler – the Horror and the Horrah“ angeklebt. Auch Boaz Arad spielt in verfremdeten Dokumentaraufnahmen durchaus ironisch mit der, wie er sagt, „berühmten kleinen Gesichtszier“, indem er Hitler bei einer Rede per Computer digital rasiert und ihm im nächsten Augenblick einen Vollbart wachsen lässt, wie ihn Theodor Herzl getragen hat. Liegen der Vordenker des Staates Israel und der nationalsozialistische Diktator wirklich nur einen Imagewechsel voneinander entfernt?

Es ist schwer zu sagen, wer mit den Exponaten der Ausstellung „Wonderyears“ in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst provoziert werden soll. Als Untersuchung der „Rolle der Shoah und des Nationalsozialismus in der heutigen israelischen Gesellschaft“ angelegt, sind die Vorgaben klar: Niemand würde in Deutschland die Vernichtung der Juden im Dritten Reich bezweifeln, niemand würde die Opfer des Holocaust mit anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgleichen, niemand würde die Täterschaft der Deutschen leugnen. Das ist der Konsens aus 50 Jahren Vergangenheitsbewältigung.

In Israel hat die Aufarbeitung zu keinem vergleichbaren Diskurs geführt. Dort wird die Shoah, so eine häufig im Katalog zu „Wonderyears“ vorgebrachte These, als Legitimation für politische Ziele benutzt und damit auch ein Stück weit entwertet. Die Kriege gegen Ägypten und Libanon oder die Besetzung palästinensischer Gebiete – alles geschah, um „ein neues Auschwitz“ zu verhindern.

Gleichwohl hat die Angst vor der Wiederkehr der Gräueltaten des NS-Regimes zu einer Überdetermination geführt, in der jede Gegenwart und jeder Alltag von der Erinnerung an die Schrecken der Lager geprägt wird. Jetzt vollzieht sich in der israelischen Gesellschaft ein dramatischer Wandel: Die Überlebenden der Shoah sterben aus, während die Enkel sich nicht im Gedenken an Auschwitz definieren wollen, sondern als Teil der Globalisierung. Diese Schizophrenie gehört zum Leben der 23 für „Wonderyears“ ausgesuchten KünstlerInnen. Die meisten von ihnen sind kaum 30 Jahre alt, viele haben im Ausland studiert und sind auf Israel höchstens biografisch, aber nicht kulturell festgelegt. Wenn sich Anat Ben-David in MTV-tauglichen Clips mit blonden NS-Schönheiten auseinander setzt, benutzt sie Maskeraden à la Madonna; das Pil & Galia Kollektiv legt wiederum Industrial und Death-Metal als Soundtrack unter Filmcollagen, die mit Nazisymbolen tätowierte Männeroberkörper zeigen. Damit steht noch immer die Bedrohung durch den Holocaust im Zentrum, aber der Umgang mit der Erinnerung an das Ereignis hat sich gewandelt – niemand will weiter Opfer sein: „Wir sind mit der Wahrnehmung der Shoah als pornografische Geduldsfolter schwarz-weiß flackernder Dokumentarfilme aufgewachsen und mit den mittlerweile offenkundig abgeschmackten Gedenkfeierlichkeiten in der Schule“, schreibt der 1968 geborene Künstler und Mitkurator von „Wonderyears“, Avi Pitchon, im Katalog.

Das klingt nach der Rebellion eines trotzigen Kindes, vielleicht auch nach Punk und Nihilismus. Doch Pitchon sucht mehr als den Kick der Befreiung, wenn er sich vom Status quo des Gedenkens in Israel abzunabeln versucht, denn die „regelmäßige Wiederholung dient nicht dazu, uns erinnern zu helfen, sondern als Monument eines unbeweglichen, monolithischen, gelähmten Exorzismus. Keine Erkenntnis, keine Bewegung, keine Verjüngung.“

Was aber ist die Lehre, die sich für junge Israelis aus Auschwitz ziehen lässt? Zunächst einmal die: Alles ist darstellbar. Roy „Chicky“ Arad löst die Lagerarchitektur in grafische Muster auf, Yoav Ben-David malt den Eichmann-Prozess in glühenden Rottönen nach oder fantasiert in seinen Gemälden von bizarren „Nazi-Robots“. Das mag auf den ersten Blick wie eine Skandalisierung des Bösen wirken, aber der Effekt verbraucht sich schnell. Die bloße Umwidmung von Zeichen verhindert zudem keine der beklagten Dämonisierungen, vielmehr vertraut das Spiel mit dem Tabubruch gerade auf jenen Schock, der doch eigentlich überwunden werden soll.

Entsprechend stößt etwa Oreet Asheris mit „Central Location“ zu Recht an Grenzen: Indem die 1966 geborene Künstlerin in einem extra eingerichteten Frisörladen Besucher animiert, sich den Kopf kahl scheren zu lassen, produziert ihre unterschwellige Gleichsetzung von KZ-Insassen und Skinheads selbst nur Stereotypen. Weil Asheri schlimmstenfalls sogar weiß, dass die ästhetische Behauptung weder historisch stimmt noch den Ambivalenzen der Mode standhält, hat sie nebenbei Poster aus der schwulen Clubszene aufgehängt, um die simple Dichotomie zu brechen – schließlich gibt es den Kurzhaar-Code überall. Der Unterschied, dass in den Konzentrationslagern Zwang war, was heute stilbewusst aus freiem Willen geschieht, ist die einzige und sehr triviale Erkenntnis, die man aus dem Haarstudio mitnimmt. Dieses Problem findet sich leider allzu oft in den Arbeiten für „Wonderyears“. Mit coolem Gestus soll eine Oberflächlichkeit im Umgang mit der Shoah entlarvt werden, der die Kunst jedoch selbst fortwährend aufsitzt. Es mag daran liegen, dass es in Israel einen Nachholbedarf in Sachen Darstellung gibt. Aber genügt es, einen strahlenden jungen Mann zu fotografieren, der mit Milkshake bei McDonald’s sitzt, um mit dem Schnappschuss aus Polen gleich sämtliche Memorial-Reisen nach Auschwitz als sinnentleertes Event zu konterkarieren, wie es Dan Shadur mit „Holocaust Tour“ vornimmt? Das zum Ritual erstarrte Gedenken wird durch Parodie und Verweigerung nicht besser kenntlich, der Zynismus ist auch nur ein Mittel, um die Beschädigungen aus der Vergangenheit gar nicht erst an sich heranzulassen.

Am Ende ist es vor allem das Video „Trembling Time“ von Yael Bartana, in dem das Schweigen angesichts der Shoah greifbar bleibt. Zeitlupenhaft schieben sich Autos gespenstisch über eine Autobahn, die Fahrer steigen aus und gleiten wie Geister über die Straße. Bartana hat den Moment gefilmt, in dem am Soldaten-Gedenktag die Zeit für die Länge eines Sirenentons still steht. Dieser Stillstand ist ein Loop, der sich unentwegt wiederholt. Bartana hat dieses Bild gewählt, „um die Macht, die der Staat über die Individuen und das Kollektiv der Gesellschaft hat, in Frage zu stellen“. Die Künstlichkeit der Situation wird zum Spiegelbild: Israel steht im Stau, festgefahren zwischen Gegenwart und der permanenten Rückbesinnung auf die Schrecken der Vergangenheit. Keine Bewegung? Jedenfalls nicht, solange das Gedenken an die Shoah nur als mechanischer Prozess vom Staat auferlegt ist. Das kann sich ändern, die Erinnerung nicht.

Bis 1. Juni, Kunstamt Kreuzberg und NGBK, Berlin. Der Katalog kostet 18 €