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Archiv-Artikel

Korrespondent-Maschine

Der ZDF-Mann Ulrich Tilgner ist aus Bagdad zurück. Der Sender ist stolz auf seinen analytischen Star. Und sauer auf Statistiker, die der ZDF-Berichterstattung aus dem Irak Antiamerikanismus vorrechnen

von HEIKO DILK

Als die ersten Bomben in Bagdad einschlugen, war er erleichtert. Erleichtert? Über den Bombenregen? Aber Ulrich Tilgner kann das erklären. Der Auslandskorrespondent des ZDF, der neun Wochen in der irakischen Hauptstadt verbrachte, kann eigentlich fast alles erklären. Nüchtern und analytisch. Er hatte sich alles vorher genau überlegt.

Es gab zwei Katastrophenszenarien. Szenario eins: Die Amerikaner werfen die E-Bombe ab. Von der wusste eigentlich niemand etwas. Wenn es sie gab und wenn sie geworfen worden wäre, hätte das wohl bedeutet, dass es weder Bild noch Ton aus Bagdad gegeben hätte. Für einen Fernsehsender eine reichlich ungünstige Situation. Vorsichtshalber hatten Tilgner und sein Team deshalb einen Schnittplatz in Alufolie eingewickelt. Es habe das Gerücht gegeben, dass so gesicherte Geräte auch nach dem Abwurf einer elektromagnetischen Bombe noch funktionieren könnten. Die E-Bombe kam nicht zum Einsatz.

Szenario zwei: Die Amerikaner werfen die „Mother of all bombs“ auf den Palast der Republik. Die „Moab“ zerstört so ziemlich alles im Umkreis von rund einem Kilometer. Das Hotel Palestine, in dem die Journalisten untergebracht waren, liegt ungefähr 800 Meter Luftlinie vom Palast entfernt. Auch „Moab“ wurde nicht eingesetzt. Also war Tilgner erleichtert, als klar wurde, dass die USA „nur“ Marschflugkörper einsetzten.

Diagnose: Schlafmangel

„Die Kunst besteht darin, Problemfelder analytisch zu zerlegen.“ Das ist so ein Satz, der sich leicht sagt. Jetzt sitzt Tilgner im Restaurant „Tucher“ am Brandenburger Tor und berichtet den anwesenden Journalisten, von seinen Erlebnissen in Bagdad. Er sagt, dass er noch nie so große Umstellungsschwierigkeiten gehabt habe. Das wäre verständlich, er kommt schließlich gerade aus dem Krieg. Er allerdings führt es auf den exorbitanten Schlafmangel zurück.

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender ist auch da und sichtlich stolz auf seinen Korrespondenten. Tilgner wurde für seine Berichterstattung, zusammen mit der Kollegin Antonia Rados von RTL, mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. „Wir waren froh, einen wie Tilgner zu haben. Das war für uns sehr beruhigend“, sagt Brender. Tatsächlich hat er zuweilen die Kollegen zu Hause beruhigen müssen, als in Bagdad die Bomben fielen. „Ich überlege mir vorher, wie ich in einer Situation handeln werde. Das ist dann abgehakt.“ Dem ZDF hat er dann nur noch mitgeteilt, wie es gemacht wird. Abgehakt.

Das ZDF hat also einen Starjournalisten. Der wurde, kaum zurück aus Bagdad, erst mal zu Johannes B. Kerner geschickt. Am Donnerstag hätte er eigentlich bei „Berlin Mitte“ sein sollen, auch im ZDF also. Aber die Redaktion hatte sich dann doch für die Innenpolitik entschieden. Natürlich scherzt Brender, dass man Maybrit Illner extra abgesagt habe, um jetzt hier zu sein. Um den Journalisten die Chance zu geben, Tilgner zu treffen.

Ist ja auch viel vernünftiger. Sollen doch die anderen den eigenen Helden feiern.

Denn natürlich geht es im Krieg auch immer um Prestige. Welcher Sender war am schnellsten? Wer hat am objektivsten berichtet? Natürlich „suchen wir für unser Medium Symbolbilder“, sagt Brender. Man habe sich aber sehr viel Gedanken gemacht, darüber, wie man berichte und was man für Bilder zeige, sich gegen den Einsatz von embedded Journalisten entschieden, fast eine Stunde darüber diskutiert, ob man die Bilder der gefangenen amerikanischen Soldaten zeigen soll.

Und natürlich das leidige Thema Unsicherheit: „Könnte“, „vielleicht“, „wahrscheinlich“, „angeblich“. Denn vieles ließ sich nicht überprüfen.

Erbsenzähler

Dass die Strichlistenführer der Branchenstatistiker von Medien Tenor das ZDF nun wegen angeblicher antiamerikanischer Tendenzen in den Nachrichten schelten, ärgert Brender. Ausgerechnet im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die eine recht klare proamerikanische Linie verfolgte, analysierte Medien Tenor, dass die USA im ZDF zu 16 Prozent negativ bewertet worden seien, nur zu 8 Prozent positiv.

Gut, wenn man da einen wie Ulrich Tilgner vorzeigen kann. Einen Analytiker, der zwar auch häufig spekulierte, aber die Vermutungen gleichzeitig auch analysierte.

Schlimm sei es für ihn gewesen, als die Plünderungen anfingen. Da waren die US-Streitkräfte ja schon in der Stadt, griffen aber nicht ein. In einem Beitrag für „heute um fünf“ sprach er von Kollaboration des US-Militärs mit den Plünderern. Um 19.00 Uhr tauchte der Begriff dann aber nicht mehr auf, worüber Tilgner froh ist. Während der Plünderungen hat er sein ganzes Geld versteckt, in einem Lüftungsschacht im Hotel Palestine. „Dann habe ich beim ZDF angerufen und erzählt, wo das Geld ist, für den Fall, dass mir etwas zustößt. Damit war das abgehakt.“

Angst kommt bei ihm eigentlich nicht vor. Auch nicht, als er davon erzählt, wie das Hotel Palesstine von einem amerikanischen Panzer beschossen wurde, wobei zwei Journalisten starben.

„Der Fatalismus in der Region prägt“, sagt er, und am gefährlichsten sei es eigentlich in Teheran gewesen, wo er normalerweise stationiert ist. Dort wurde er von einem Auto angefahren. „Ich habe jetzt noch ein Hämatom.“

Bagdad beschreibt er dagegen eher als eine Übung in Wahrscheinlichkeitsrechnung: Tilgner, die Korrespondent-Maschine. „Da sind eine Stunde nach einem Luftangriff 5.000 Menschen auf der Straße, 2 oder 3 davon trifft es vielleicht beim nächsten Angriff.“ Sein Ergebnis: Gefahr gering.