: Riskantes Spiel ging auf
Die enge Vernetzung von Bodentruppen und Luftwaffe sicherte den schnellen Vormarsch der US-Truppen
von ERIC CHAUVISTRÉ
Dass der Angriff auf den Irak militärisch erfolgreich sein würde, stand nie außer Frage. Überraschend war bestenfalls, dass es glücklicherweise nicht zu größeren Gefechten in den Straßen Bagdads kam. Der politische Preis des Krieges für die US-Regierung wäre dann sehr viel höher gewesen.
Doch selbst in diesem Fall wäre die militärische Übermacht der US-Truppen letztendlich nicht in Frage gestellt worden. Denn nach dem Rückzug aus Vietnam investierten die USA in die technische Ausrüstung ihre Streitkräfte. Künftige Invasionen sollten nicht mehr Jahre dauern, sondern nur noch Tage oder Wochen. Verletzte und Tote unter den eigenen Truppen mussten reduziert werden. Kriege sollten künftig mit absoluter Überlegenheit geführt werden. Dazu wurde schon in den 80er-Jahren ein gigantisches Aufrüstungsprogramm gestartet. In der Folge gibt die US-Regierung heute mehr für ihr Militär aus als alle anderen großen Militärmächte zusammen.
Der erste große Test für die umformierten Streitkräfte kam 1991 mit dem zweiten Golfkrieg, bei dem das US-Militär fast ausschließlich auf seine immense Überlegenheit bei der Luftwaffe baute. Seitdem hat die Entwicklung der Rüstungstechnologie und damit die US-Dominanz aber einen weiteren qualitativen Sprung gemacht. Denn während 1991 die Luftwaffe einerseits und die Kräfte der Army und der Marines am Boden andererseits noch relativ unabhängig voneinander agierten, sind sie jetzt eng vernetzt. Durch die Aufrüstung zum so genannten infowar konnten die Bodentruppen diesmal direkt mit den Bomberpiloten über ihnen kommunizieren, ohne zeitraubende Umwege über die Einsatzzentrale in Katar.
Praktisch jedes US-Militärfahrzeug hat eine Art Intranetzugang. Auf Displays können sich auch auf der unteren Ebene die Kommandeure jederzeit einen Überblick über Bewegungen sowohl der irakischen als auch der eigenen Truppen verschaffen. Die US-Streitkräfte haben durch den unmittelbaren Zugang zu Informationen von Satelliten, Aufklärungsflugzeugen und unbemannten Drohnen einen nie zuvor gesehenen Überblick. Die irakischen Streitkräfte hingegen agierten unkoordiniert am Boden.
Durch die Vernetzung können die US-Bodentruppen innerhalb kürzester Zeit Unterstützung aus der Luft anfordern. Was in Afghanistan noch im kleinen Maßstab getestet wurde, war im Irak ausschlaggebend für die relativ geringen Verluste unter den amerikanisch-britischen Truppen. Gab es irgendwo Widerstand gegen die vorrückenden Einheiten, wurden die irakischen Truppen aus Apache-Hubschraubern oder tieffliegenden A-10-Flugzeugen beschossen und bombardiert. Die irakischen Truppen verfügten hingegen über kein einziges Kampfflugzeug.
In der zweiten Kriegswoche war durch den schnellen Vormarsch der US-Truppen der Nachschub von Wasser, Lebensmitteln, Munition und Treibstoff ins Stocken geraten. Zudem waren einige US-Soldaten in Gefangenschaft geraten und andere durch Guerilla-ähnliche Aktionen getötet worden. Die US-Soldaten selbst wurden in der Folge offenbar zunehmend nervöser und schossen aus Furcht vor Selbstmordattentätern an Checkpoints auf Unbewaffnete. In dieser Situation stand die US-Regierung vor der Entscheidung, entweder die Strategie des schnellen Vorrückens trotz der aufgetretenen Schwierigkeiten fortzusetzen oder ein oder zwei Wochen zu warten, bis Verstärkung ins Land gebracht würde. Im ersten Fall bestand die Gefahr, dass die Überlegenheit der US-Streitkräfte nicht groß genug sein würde, um die eigenen Toten und Verletzten auf einem als akzeptabel erachteten Niveau zu halten. Im zweiten Fall bestand die Gefahr, dass der Angriff an Dynamik verlieren würde.
Je länger es nach einem Stillstand aussah, so offenbar die Befürchtung, desto unbequemer würden die Fragen nach dem Sinn und Zweck des Kriegs. Schon zu Beginn des Krieges war in Washington vorausgesagt worden, dass Präsident Bush unter Druck geraten könne, wenn der Krieg länger als drei Wochen dauern würde.
Da diese Marke näher rückte, wurde – nach Informationen der Washington Post – schon Mitte der zweiten Kriegswoche entschieden, den schnellen Vormarsch fortzusetzen. Die politischen Risiken an der Heimatfront wurden offensichtlich höher eingeschätzt als das militärische Risiko und der Faktor Zeit höher bewertet als mögliche höhere Opferzahlen. Die politische Führung hielt trotz Warnung der Militärs an der riskanten Strategie fest, dass man das politische Zentrum des Irak zuerst treffen müsse. Der militärische Widerstand im Rest des Landes, so die Hoffnung, würde dann zusammenbrechen.
Nachdem der schnelle weitere Vormarsch auf die Hauptstadt beschlossen war, blieb die Unsicherheit über das, was die US-Truppen in der Fünfmillionenstadt Bagdad erwarten würden. Auch als die US-Einheiten schon in den Vororten der Stadt standen, versicherten US-Kommandeure US-Journalisten, sie würden nichts so sehr fürchten wie ein Kampf in den Straßen Bagdads. Schließlich beginnt jede Dienstanweisung des US-Militärs zum Häuserkampf mit dem Hinweis, dass ein solcher nach Möglichkeit zu vermeiden sei.
Als die ersten US-Einheiten schließlich Ende vergangener Woche mit kurzen Fahrten durch Bagdad den Widerstand der Irakis testeten, geschah dies dann aber praktisch gefahrlos für die Invasoren. Die Stahlhüllen der 63 Tonnnen schweren Abrams-Panzer der US-Streitkräfte waren immun gegen den Beschuss der wenigen verbliebenen irakischen Truppen in der Stadt – sie konnten gleichzeitig mit hoher Sicherheit jeden irakischen Panzer zerstören.
Als die örtlichen Kommandeure am Mittwochmorgen beschlossen, in größeren Formationen nach Bagdad einzufahren, gingen sie nach US-Medienberichten dennoch davon aus, dass die Kämpfe noch vier Tage dauern würden. Am Abend gab es dann auch zum Erstaunen der US-Kommandeure keinen organisierten militärischen Widerstand mehr in Bagdad. Pünktlich zum Ende der für Präsident Bush politisch kritischen Frist von drei Wochen hatten die meisten irakischen Soldaten offenbar die Uniformen ausgezogen und waren nach Hause gegangen.