: Intrigant für einige Herren
Der 11. September war auch der Jahrestag des Putsches gegen Chiles Präsidenten Allende: Die Rolle des ehemaligen US-Außenministers ist ungeklärt: „Angeklagt: Henry Kissinger“ (20.45 Uhr, Arte)
von RAINER BRAUN
Weggefährten wie Alexander Haig haben immer noch „großen Respekt vor seinem Wissen, seiner Karriere und seiner philosophischen Weltanschauung“. Kritiker wie Christopher Hitchens („Die Akte Kissinger“) wollen den Friedensnobelpreisträger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Vietnam, Kambodscha, Osttimor und Chile auf der Anklagebank in Den Haag sehen. In der Dokumentation „Angeklagt: Henry Kissinger“ haben sich Alex Gibrey und Eugene Jarecki auf eine brisante Spurensuche gemacht.
Als René Schneider seine Privatklage gegen Henry Kissinger einreichte, war das der New York Times immerhin eine zweispaltige Meldung auf der ersten Seite wert. Der Vater von Schneider war 1970 von rechten Militärs in den chilenischen Streitkräften ermordet worden. Welche Verantwortung für den Komplott beim damaligen US-Außenminister lag, wollte der Sohn nun juristisch klären lassen. Denn bekannt ist, dass Kissinger im Verbund mit CIA-Chef Richard Helms fieberhaft daran arbeitete, den Amtsantritt des gewählten Präsidenten Salvador Allende zu verhindern.
Schneider hatte seine Anklage symbolträchtig exakt 28 Jahre nach der Ermordung von Allende eingereicht. Am 11. September 2001 also.
Kein guter Tag, die Aufmerksamkeit auf die dunklen Seiten eines Politikers zu lenken. Eines Politikers, der zum Wahlsieg der chilenischen Sozialisten notierte: „Ich sehe nicht ein, warum wir unbeteiligt zusehen müssen, wie ein Land aufgrund der Verantwortungslosigkeit seiner Bevölkerung kommunistisch regiert wird.“
Mit Geld in Reitstiefeln
Vor einem Untersuchungsausschuss in den USA ließen sich die Vorwürfe seiner Beteiligung an der Ermordung Schneiders wie am Putsch gegen Allende 1973 nicht erhärten, obwohl interessante Details zur Sprache kamen. Mit 350.000 US-Dollar in seinen Reitstiefeln rekrutierte etwa der US-Militärattaché in Santiago chilenenische Militärs gegen ihren loyalen Chef.
Da selbst eine Notiz in der New York Times – derart getimet – nicht allzu viel Aufmerksamkeit erweckte, rollen die Journalisten Gribrey und Jarecki die Karriere Kissingers wieder auf: von Anfang an. Zu Beginn seiner akademischen Laufbahn in Harvard hatte er sich auf die Lektüre Machiavellis spezialisiert. Mit Gewinn für die Praxis: Gewieft im Umgang mit der Macht, legte er sich schon zu Beginn seiner politischen Karriere nie auf eine Seite fest. Sein Engagement für den republikanischen Senator von New York und Multimillionär Nelson Rockefeller hinderte ihn nicht daran, unter dessen direktem Rivalen Richard Nixon ein Regierungsamt zu übernehmen. Denn schon als Berater in Diensten des US-Präsidenten Johnson hatte er den Präsidentschafts-kandidaten Nixon 1968 fortlaufend über die Friedensverhandlungen mit den Nordvietnamesen informiert und sie damit torpediert. Kissinger selbst verhandelte unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Paris weiter und machte sich zugleich für die Bombardierung Hanois und die illegale Ausweitung des Krieges nach Kambodscha ohne Abstimmung des Kongresses stark. „Madman“-Theorie wurde damals die Strategie genannt, nach der aus einer Position der militärischen Stärke Zivilisten bombardiert wurden.
Gleichwohl geht es den Autoren Alex Gibrey und Eugene Jarecki nicht darum, die Person Kissingers zu dämonisieren oder zu psychologisieren. Die Angaben zur Privatperson bleiben knapp, die (Selbst-) Inszenierung einer politischen Persönlichkeit mit Faible für „Macho“-Allüren ist nur angedeutet. So erinnern die Autoren an Kissingers Jugendjahre in Fürth, die Emigration der jüdischen Familie nach New York, die 13 ermordete Angehörige in NS-Konzentrationslagern zu beklagen hatte. Er selbst kam schon 1944 als Offizier für die Spionageabwehr in US-Uniform zurück nach Europa, bevor er als Berater von Politikern und Diener verschiedener Herren einen starken Eindruck hinterließ.
Die Darstellung dieser Karriere gelingt. Nicht nur weil Gribrey und Jarecki zur Aussage tatsächlich fähige Zeitzeugen zu Wort kommen lassen. Die beiden Journalisten enthalten sich klug eigener Wertungen und vertrauen in angenehmer Weise auf die Urteilskraft ihres Publikums. Zugleich versteht sich ihr Film als skeptischer Blick auf Innenansichten imperialer Macht. Schließlich seziert die Dokumentation nüchtern den Umgang politischer Akteure mit Verletzungen von elementaren Menschenrechten.
Bis heute haben die USA entsprechende Abkommen nicht ratifiziert. Kissinger hat dazu seine eigene Meinung: „Der Durchschnittsmensch glaubt, Moralvorstellungen seien allgemein anwendbar und können auf das Verhalten von Staaten angewandt werden“, konstatiert er im Rückblick auf sein Handeln, um hinzuzufügen: „Manchmal müssen Politiker zwischen zwei Übeln wählen.“ Mit der Verantwortung dafür und den ungezählten Toten, die diese Art von destruktiver Machtpolitik forderte, wird Kissinger leben müssen wie die Herren Bush und Blair.