: Hier eine Jugendsünde, dort eine Eva Braun
Die rechtslastige Industrial-Legende Whitehouse und das Rave-Kid Aphex Twin unterwandern in der Volksbühne den politisch korrekten Pop-Diskurs
Als bekannt wurde, dass Aphex Twin in der Volksbühne spielen würde, waren die Tickets angeblich in fünf Stunden vergriffen. Das hätte sonst vielleicht gerade noch Robbie Williams geschafft. Dabei ist der Seltsame mit der Genie-Aura nur in ein Boot gesprungen, das auch ohne ihn abgefahren wäre. Das krudeste Package, das es jemals in der Volksbühne gab, wäre die Kombination Whitehouse und Satanstornade auch ohne ihn gewesen. Schließlich treten in der Volksbühne außer bei Schlingensiefs Theaterspektakeln nur selten Leute auf, die von manchen Leuten für rechtslastiger als Horst Mahler gehalten werden; und dazu noch eine Satans-Combo als Vorgruppe – du meine Güte!
Durch Aphex Twin wurde der Abend jedoch aufs Interessanteste kontextualisiert. Whitehouse, die uralte Legende, eine der kontroversesten Bands der Industrial-Szene, wurde als Keimzelle für sowohl Masami Akita von Satanstornade und dessen Ultranoise als auch für das Rave-Kid Aphex Twin, der immerhin angeblich einen Panzer im Garten stehen hat, installiert. Das war also regelrechter Anschauungsunterricht in Sachen Musikgeschichte. Wenn nur die Nazis nicht gewesen wären.
Es kam nämlich wie es kommen musste, und war doch bestimmt nicht halb so schlimm wie befürchtet. Whitehouse wollten tatsächlich einige sehen, denen man schon von weitem ansah, dass bei ihnen ein Porträt des Führers über dem Bett hängt. Da stapften durchaus einige Scheitelnazis mit Schnauzer in der Volksbühne herum, und sehr kurios war auch eine Frau anzuschauen, die in waschechter brauner Uniform herumwandelte und sich wohl für Eva Braun persönlich hielt.
Schon im Vorfeld gab es seitens der Volksbühne und Mitveranstalter Headquarter einige Diskussionen, ob man sich das antun sollte. Von verschiedenen Seiten gingen Warnungen an die Organisatoren ein, und wochenlang hatten diese recherchiert, ob und wie viel braune Sauce man sich hier ins Haus holt. Gefunden wurde nicht viel mehr als ein frühes Whitehouse-Tape mit Adolf-Hitler-Konterfei, das Headquarter als „eine Jugendsünde“ verstanden wissen will. Fakt bleibt, dass die Uneindeutigkeit von Whitehouse, die sich bis heute aus diesen „Jugendsünden“ speist, das Kapital der Band ist. Schon immer hat sie sich mit all dem beschäftigt, was weh tut. Sadismus, Massenmord, sexuelle Perversionen und Slogans in der Art von „auf die Knie, du Schlampe!“, daraus haben sich Whitehouse eine Ästhetik geschnitzt, die diese als verkommen wahrgenommene Welt nicht kommentieren, sondern einfach nur abbilden möchte.
Für Politcial Correctness ist da kein Raum, im Gegenteil: Je mehr Provokation, desto besser für das Geschäft. Seit Ende der Achtzigerjahre, als gar Steve Albini Whitehouse produzierte, braucht kein Mensch mehr wirklich die stets gleich klingenden Alben dieser Band.
Ihr Auftritt war dann aber das eigentliche Spektakel an diesem Abend. Nachdem Satanstornade ihren orgiastischen Maschinenlärm verbreitet hatten und die Pause mit ordentlichem Death-Metal überbrückt wurde, betraten Robert Redford und der Kindergärtner von nebenan die Bühne: „Die sind so charmant, dass man ihnen kaum ein ‚Fuck‘ zutrauen würde“, so meinten die Headquarter-Damen vor dem Konzert. Zum Glück irrten sie sich. Als ob sie von ihrem saustumpfen Elektronikterror zu heftig penetriert worden wären, begannen beide bald ordentlich zu bellen. Bennett mit seiner Spiegelbrille rollte dauernd seine Zunge raus, so als würde er sich auf einem Gene-Simmons-Contest befinden, und Best übte sich in bizarren Siegerposen, griff sich an die Nudel oder marschierte im Stechschritt. Oh ja, das war alles herrlich unkorrekt, voll der Macho-Scheiß. Vielleicht war sogar die Frage zulässig, warum von den beiden ausgerechnet der eine ein rotes, der andere ein weißes Hemd trug und beide dazu schwarze Hosen. Zufall? Perfides Spiel mit Symbolen? Hieran wird der politisch korrekte Pop-Diskurs, der an einem Abend um zwanzig Jahre zurückgeworfen wurde, noch wochenlang zu knabbern haben.
Aphex Twins Auftritt war danach übrigens zwar auch noch angemessen infernalisch, ganz zur Freude von Fuck-Parade-Anhängern und Speedfreaks. Doch der Höhepunkt war bereits vorüber. ANDREAS HARTMANN