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Archiv-Artikel

Kein Tyrannenmord

Was Bush mit Saddam Hussein vorhat, hat mit dem Konzept von Tyrannenmord und dessen Legitimation nichts zu tun

von REINHARD MAWICK

Kann ein Menschenopfer helfen? Am frühen Donnerstagmorgen sollte der Erstschlag von US-Marschflugkörpern den irakischen Diktator Saddam Hussein treffen. Wenn der Tyrann schnell ums Leben kommt, so das Kalkül der Amerikaner, wird es keinen oder nur einen sehr kurzen Krieg geben.

Bis jetzt geht die US-Rechnung nicht auf, Saddam lebt. Aber wäre die Tötung Husseins ein klassischer Tyrannenmord? Das heißt eine, isoliert betrachtet, verwerfliche Tat, die aber einem ethisch gebotenen guten Zweck dient und deshalb beanspruchen kann, rechtens zu sein?

In der griechischen und römischen Antike gab es eine Legitimation zum Tyrannenmord. Die Ermordung des athenischen Alleinherrschers Hipparchos im Jahre 514 vor Christus diente fortan als Modell für einen gerechten Tyrannenmord. Der Tyrann der frühen Antike musste übrigens gar nicht zwingend ein niederträchtiger Gewaltherrscher sein. Die Tyrannis bestand in der Alleinherrschaft an sich, in der Verletzung der demokratischen Gemeinschaftsregeln. Erst Aristoteles stuft einen Tyrannen nicht nur als einen eigenmächtigen und uneingeschränkten, sondern auch als einen schlechten und eigennützigen Herrscher ein.

Cicero sah es dreihundert Jahre später weniger moralisch. Für ihn ist Tyrannis die Negation des geordneten Staatswesens. Wo kein verlässliches Gesetz, sondern ein Tyrann waltet, herrsche immer ein Chaos, das den Tyrannenmord rechtfertige. Das traf in seinen Augen auch auf den Fall Julius Cäsar zu, dessen Ermordung Cicero als gerechten Tyrannenmord bezeichnete, ja als Gebot des Naturrechts.

Das Handlungsprinzip, Gewalt und Opfer jetzt in Kauf zu nehmen, um noch größere Gewalt und noch mehr Opfer dermaleinst zu verhindern, hat viele Vorbilder in der Geschichte.

Der NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) brachte seine Rechtfertigung einer eventuellen Ermordung Hitlers auf die Formel, man müsse „dem Rad in die Speichen fallen“. Daraus ist später, beeindruckt vom mutigen Lebensweg des späteren Märtyrers, eine generelle Rechtfertigung des Tyrannenmordes „à la Bonhoeffer“ abgeleitet worden.

Wenig bekannt ist, dass Bonhoeffer, der sich dem Widerstandskreis des 20. Juli anschloss, selbst sehr lange mit sich gerungen hat, ob das Attentat zu rechtfertigen sei. Er selbst war schließlich dazu bereit. Zuvor wollte Bonhoeffer jedoch aus der Kirche austreten. Diese scheinbar bizarre Absicht zeigt: Bonhoeffer war klar, dass sich auch ein Hitlerattentäter schuldig machen würde und dass es keine logisch saubere Rechnung geben könne, wie der Einzelne als Tyrannenmörder zu rechtfertigen sei.

Dennoch war Bonhoeffer davon überzeugt, dass im Falle Hitlers ein Heraushalten aus politischen Konflikten größere Schuld nach sich ziehen würde, als politischen Widerstand zu leisten. Damit stand er im Gegensatz zur großen Mehrheit in den Kirchen damals. Denn selbst Theologen, denen der unheilvolle Weg Hitlers klar und deutlich vor Augen stand, fühlten sich dem Gehorsamsgebot aus dem 13. Kapitel des Römerbriefes verpflichtet: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.“ Das Neue Testament kennt neben dieser Obrigkeitshörigkeit auch das Lob des Leidens und Erleidens. Jesus predigt die Feindesliebe: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.“

Viele haben diese Unterwürfigkeit, Wehrlosigkeit und Leidenssehnsucht als masochistisch und pervers gebrandmarkt. Andere Deutungsmuster und Argumentationsketten haben sie abgelöst – auch auf christlicher Seite. Immer noch aber sind diese im realen Alltag sperrigen, ja widersinnig erscheinenden Überlegungen eine entscheidende Basis für alle Bremsmechanismen in der Spirale der Gewalteskalation, die wir jetzt erleben. Wenn hingegen die Vermeidung eigener Opfer und eigener Verluste den absolut höchsten Stellenwert für das eigene Handeln hat, dann wird der Stellenwert fremder Opfer und fremder Verluste immer gering veranschlagt werden.

Die Bush-Administration scheint seit dem 11. September 2001 ganz auf diesem Weg zu gehen. Für sie gibt es jetzt zwangsläufig nur den Krieg mit der Option des totalen Sieges. Die Ermordung Saddam Husseins könnte sie diesem Ziel eventuell näher bringen. Mit einem klassischen Tyrannenmord aber hat solches Handeln kaum noch etwas zu tun.

Der Autor, 36, ist evangelischer Theologe und Redakteur beim evangelischen Magazin Chrismon.