stefan kuzmany über Alltag : Endlich eine Kriegsgeschichte
Er muss bald kommen, der Tag X, uns gehen langsam die Vorkriegsberichte aus
Man muss wirklich höllisch aufpassen, denn es kann ja jetzt jeden Moment losgehen. Gestern Morgen zum Beispiel bog ich um die Ecke, und da standen Leute beisammen und starrten gebannt in ein TV-Gerät. Ich schlich mich an und fragte vorsichtig einen aus der Gruppe: „Entschuldigung. Ist schon Krieg?“, aber der Befragte sagte nur ärgerlich: „Pssst!“ Auf dem Schirm war dann aber gar nicht die Bombardierung Bagdads zu sehen, sondern doch nur unser Bundeskanzler, der mal wieder gesagt hat, dass der Irakkrieg noch zu verhindern sei.
Mit dieser Ansicht, so er sie denn tatsächlich nicht nur verbreitet, sondern auch glaubt, scheint Schröder inzwischen recht einsam dazustehen. Jeden Tag schaue ich auf Spiegel online nach, wie es um die öffentliche Meinung steht, jedenfalls um die im Internet geäußerte. Dort wird das „Saddam-O-Meter“ der amerikanischen Website slate.com dokumentiert. Seit Wochen steht es auf über 95 Prozent Kriegswahrscheinlichkeit.
Alle glauben, dass es Krieg geben wird. Und irgendwie scheinen sich alle daran gewöhnt zu haben und schon mal zu planen. Man muss ja schließlich vorbereitet sein, wenn es losgeht. Wer dieser Tage zufällig durch eine Zeitungsredaktion schlendert, kann bizarre Dialoge mithören.
„Sag mal, wann geht der Krieg jetzt eigentlich los? Morgen?“
„Meine jüngste Einschätzung lautet: Dienstag. Oder?“
„Ich bin überzeugt: nicht vor Donnerstag. Wahrscheinlich am Donnerstagabend.“
„Oder Freitag früh.“
Und so weiter. Das ist wichtig, daran hängen Dienstpläne und auch das freie Wochenende. Und es ist natürlich professionell – wir müssen schließlich vorbereitet sein. Trotzdem, manchmal wird’s ein wenig unheimlich. „Die taz erklärt den Krieg – geile Überschrift“, sagt ein Kollege und reibt sich die Hände, fällt sich aber selbst gleich wieder ins Wort, zum Glück, sagt: „Na ja, doch nicht so gut.“ Außerdem, wendet ein anderer Kollege ein, habe das die Süddeutsche Zeitung in ihrem Magazin schon gehabt. Schade. Eine freie Autorin schreibt eine E-Mail und bietet nach langer Recherche eine Reportage an – „Endlich eine Kriegsgeschichte!“, schreibt sie fröhlich in den Betreff ihrer Mail. Endlich.
Alle warten darauf, dass endlich etwas passiert. Irgendwann sind nämlich alle Geschichten erzählt über Soldaten, die sich auf den Krieg vorbereiten. Über Journalisten, die sich auf den Krieg vorbereiten. Über Friedensaktivisten, die als „menschliche Schutzschilde“ nach Bagdad reisen. Und wieder abreisen. Über irakische Zivilisten, die sich auf den Krieg vorbereiten. Alles schon dagewesen. Wenn’s nicht bald losgeht, werden wir uns noch wiederholen, und das will doch niemand mehr lesen dann.
Ich habe keine Lust, mich auf den Krieg vorzubereiten. Will lieber noch ein wenig gegen den Krieg sein.
Verlass ist wenigstens, dachte ich zumindest, auf den Politaktivisten Christian Specht, einen korpulenten Spenden- und Unterschriftensammler, der fast täglich durch das taz-Haus in der Berliner Kochstraße wandert. Und da kommt er schon.
„Christian, wann ist die nächste Demo gegen den Krieg?“
Aber Christian hat ein anderes Thema: „Ich bin dafür, dass wir am Tag X von einem einheitlichen Platz loslaufen und eine große Demo machen und nicht viele kleine.“
„Am Tag X?“
„Na wenn der Krieg losgeht!“
Wenn der Krieg losgeht, das ist schon so etwas wie eine Datumsangabe, sagt mein Freund Marco. „Wir treffen uns um acht, wenn der Krieg losgeht“, so habe er sich gerade mit einer schönen Frau verabredet oder vielmehr sie sich mit ihm. Cool! Ob ich denn auch mitkommen wolle?
Ich gehe dann doch lieber heim zu meiner Lieblingsfaschistin, um wenigstens sie zu überzeugen. Wenigstens sie. „Es ist eine Frage des Bewusstseins“, sage ich. „Meine These ist: Wenn alle davon ausgehen, dass ein Krieg nicht mehr zu verhindern ist, dann ist er nicht mehr zu verhindern. Da muss man doch etwas tun!“ Meine Lieblingsfaschistin sieht mich nur an, lacht ein wenig, und dann sagt sie: „Genug geredet.“ „Wieso genug geredet?“, will ich wissen und mich aufregen. „Ach, du hast so schöne blaue Augen“, sagt sie.
Fragen zum Krieg? kolumne@taz.de