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Archiv-Artikel

Demokraten tun sich zusammen

In Afghanistan gründen 42 demokratische Gruppen eine gemeinsame Front. In den nächsten Wochen soll ein politisches Programm ausgearbeitet werden. Geplant ist die Aufstellung eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten für 2004

aus Kabul JAN HELLER

Für Afghanistans Warlords war das keine gute Nachricht: Am Montag vereinigten sich in Kabul 42 demokratische Gruppen zur „Nationalen Front für Demokratie in Afghanistan“ (NFDA). Im Gegensatz zu den bisher dominierenden Mudschaheddin-Gruppen will sich die NFDA ausschließlich friedlicher Mittel im politischen Kampf bedienen. Das ist ein ebenso bedeutender Quantensprung in der politischen Kultur des Landes wie ihr Übergang aus dem Untergrund zu offener politischer Aktivität. Und nicht ungefährlich: Außerhalb der afghanischen Hauptstadt beherrschen nach wie vor die Kalaschnikows der Kriegsherren die Szenerie.

27 politische Parteien und Räte, je sechs Frauen- sowie Jugend- oder Studentenorganisationen, ein Stammesrat und je eine Organisation von Nomaden und islamischen Geistlichen unterschrieben die Gründungserklärung der neuen Front. Das staatliche Radio Afghanistan schaltete am Abend genau zu dem Zeitpunkt sein Programm ab, als der von der BBC übernommene Bericht darüber an der Reihe sein sollte. Solch einen Stromausfall organisierten Afghanistans Mediengewaltige nicht zum ersten Mal – dem früheren König passierte das schon dreimal, unter anderem als er im vorigen Juni die Loja Dschirga eröffnete.

Im mit über 350 Personen prall gefüllten früheren Ballsaal des Kabuler Hotels Continental konnte man eine Stecknadel fallen hören, als Tarik Ehsas von der „Union der Freiheitsliebenden“ in seiner Eröffnungsansprache die internationale Gemeinschaft dafür lobte, dass sie mit ihrer Wiederaufbau-Hilfe auch „die Bildung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Bewegungen sowie politische Beteiligung“ ermöglicht. Paschtunische Nomaden mit Riesenturbanen und Studenten, die jüngst noch gegen die unzumutbaren Lebensverhältnisse in ihren Wohnheimen protestiert hatten, lauschten ebenso hingebungsvoll wie Diplomaten und deutsche Isaf-Offiziere. Ausländische Beobachter zeigten sich beeindruckt von der hohen Quote anwesender Frauen, ein knappes Drittel der Teilnehmer. Vor dem Tagungsort sorgten Isaf-Fahrzeuge für Sicherheit.

Nach fast 25 Kriegsjahren im Untergrund wagte sich Afghanistans überlebende demokratische Bewegung an diesem sonnigen Montag zum ersten Mal selbstbewusst an die afghanische Öffentlichkeit. Prosowjetische Regimes wie Islamisten hatten ihr schwere Verluste zugefügt, ausländische Unterstützung für diese dritte Kraft blieb im Kalten Krieg aus. Nun wäre es für westliche Regierungen endlich an der Zeit, sich hinter solche demokratische Formationen zu stellen, die ein Gegengewicht zu den von Iran, Russland und Pakistan finanzierten Fundamentalisten innerhalb und außerhalb des Landes bilden können. „Wenn diese goldene Chance für eine Demokratisierung des Landes aus der Hand gegeben wird“, schreibt das Kabuler Wochenblatt Karawane der Demokratie, „könnten Stabilität und Sicherheit des Landes aufs Neue gefährdet werden.“

Für die NFDA beginnt die eigentliche Arbeit jetzt erst. Gemeinsamer Nenner aller beteiligter Gruppen sind das Bekenntnis zur Demokratie und zu Menschen- und Frauenrechten, die Ablehnung von jeglicher Form der Diskriminierung sowie die Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes und des UN-gesponserten Friedensprozesses. Darüber hinaus fehlt in der Gründungsdeklaration der „Front“ jedoch bisher ein politisches Programm. Sebghatullah Sandschar von der „Republikanischen Partei“ sagte, dass das in den nächsten Wochen in Seminaren ausgearbeitet werden soll. Sandschar kündigte auch an, dass die „Front“ einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten für 2004 aufstellen will. Die NFDA erklärte ausdrücklich, dass sie für weitere Gruppen offen bleibt. Die Botschaft kam an: Mindestens zwei Dutzend Organisationen erwägen einen späteren Beitritt und schickten Abgesandte zur NFDA-Gründung. Doch waltet in der Bündnispolitik offenbar nicht immer Klugheit. So verschreckte eine der „Front“ nahe stehende Zeitung in der Vorwoche mit einer bissigen Karikatur ausgerechnet die ehemalige Frauenministerin Sima Samar, eine namhafte potenzielle Verbündete.