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Archiv-Artikel

Die isolierte Weltmacht

Die USA werden den Irak angreifen. Ob Gerhard Schröder seinen konsequenten Antikriegskurs politisch überlebt, ist derzeit unklar. Fest steht aber: Er hatte Recht

EU und Nato standen vor der Zerreißprobe? Natürlich – die Bündnisse müssen sich neu ordnen

Der Krieg gegen den Irak wird stattfinden. Es gibt keine Veranlassung, an den entsprechenden Ankündigungen der US-Regierung zu zweifeln, und offen ist nur noch die Frage, ob es dafür ein erpresstes, zusammengekauftes Mandat des UN-Sicherheitsrates geben wird oder nicht. Wer Resignation mit einer abgeklärten Haltung verwechselt und Fantasielosigkeit für Pragmatismus hält, wird sich darin bestätigt sehen, dass jeglicher Widerstand gegen die Wünsche der einzigen Weltmacht sinnlos ist. In Deutschland sind es vor allem die Außenpolitiker von CDU und CSU, die das jetzt schon immer gewusst haben wollen. Sie erklären es zu der unter allen Umständen klügsten Politik, in Washington für gut Wetter zu sorgen – egal welches Klima dort gerade herrscht. Darin offenbart sich ein erstaunlich geschichtsloses Verständnis der Dynamik internationaler Beziehungen.

Es ist wahr: US-Präsident George Bush kann diesen Krieg erzwingen, und ein schneller militärischer Sieg über das Regime von Saddam Hussein ist hoch wahrscheinlich. Sollte es dazu kommen, dann werden plötzlich zahlreiche Leute glauben, sie seien eigentlich schon immer dafür gewesen, den Irak auf diese Weise zu „entwaffnen“. (Was für ein Euphemismus!) Siege haben bekanntlich stets viele Väter. Erleichtert werden dürfte dieser Stimmungsumschwung dadurch, dass die Öffentlichkeit vermutlich nicht allzu viele Fernsehbilder toter Zivilisten zu sehen bekommt. Die zuständigen Propagandaabteilungen haben seit dem Vietnamkrieg viel gelernt, wie sie schon im letzten Golfkrieg und vor kurzem auch in Afghanistan bewiesen haben.

Es ist fraglich, ob Gerhard Schröder eine solche Entwicklung im Amt überstehen kann. Diejenigen, die bereits in seinem Wahlsieg eine Usurpation gesehen haben, werden dem deutschen Regierungschef erneut vorwerfen, die Europäische Union und die Nato gefährdet und die transatlantischen Beziehungen schwer beschädigt zu haben. Musikalisch untermalt von US-Triumphmärschen, mögen diese Behauptungen genügen, um den derzeit unbeliebten Kanzler zu stürzen. Königsmörder in den eigenen Reihen werden sich finden. Schließlich verfügt die Koalition nur über eine knappe Mehrheit, und der außenpolitische Kurs der Bundesregierung hat nicht einmal alle Sicherheitspolitiker der SPD überzeugt.

Das ist schade, denn er war richtig – und erfolgreicher, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ja, Bush kann diesen Krieg erzwingen. Aber vieles spricht dafür, dass ihm und seinen Nachfolgern niemals mehr Vergleichbares gelingen wird. Welcher demokratisch gewählte Regierungschef wird sich je wieder bedingungslos an die Seite der USA stellen, wenn er weiß, dass es ihm ergehen kann wie dem britischen Premierminister Tony Blair? Dass er also Gefahr läuft, statt eines UN-Mandats den Hinweis aus Washington zu bekommen, die USA müssten für ihr Tun und Lassen niemanden um Erlaubnis bitten? Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung werden auch enge Freunde der Vereinigten Staaten künftig wohl Vorsicht für den besseren Teil der Tapferkeit halten.

Die überraschend breite Front gegen einen Irakkrieg hat eine Behauptung untermauert, die nach dem 11. September zunächst nicht mehr gewesen ist als eine Sprechblase: dass nämlich auch der mächtigste Staat der Welt nicht ohne Verbündete auskommt und die Regeln des internationalen Spiels der Kräfte nicht allein definieren kann. So eine Erkenntnis setzt sich nicht von heute auf morgen durch.

Aber es gibt Anzeichen, wie etwa Ergebnisse von Meinungsumfragen in den USA, die darauf hindeuten, dass auch viele Amerikaner die Gefahr sehen, sie könnten am Ende als die „bad guys“ dastehen. Da sie das nicht wollen, spricht manches dafür, dass Washington zum letzten Mal den Versuch gewagt haben wird, allein aufgrund der eigenen militärischen Stärke eine bestimmte Lösung zu erpressen. Die Isolation droht derzeit nicht den Kriegsgegnern, sondern den Kriegsbefürwortern. Die Geschichte lehrt, dass politische Isolation auch für Weltmächte zur lebensbedrohlichen Falle werden kann.

Viele Gegner und Anhänger der Bundesregierung haben nicht erwartet, dass die rot-grüne Koalition konsequent an ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einem Angriff auf den Irak festhalten würde, auch die Autorin dieses Beitrags nicht. Wir haben uns getäuscht. Damit wird der Vorwurf gegenstandslos, Schröder habe den Krieg allein aus populistischen Erwägungen heraus im Wahlkampf instrumentalisiert. Das träfe nur zu, wenn er das Ruder nach seinem Sieg herumgerissen hätte. Das hat er nicht getan. Also griff er im Wahlkampf lediglich ein Thema auf, von dem die Regierung hoffen durfte, die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite zu haben. Das ist kein Skandal, das ist selbstverständliche Praxis des politischen Wettbewerbs.

Die Frage ist müßig, in welchem Maße der unerwartet heftige Gegenwind aus Washington dazu beigetragen hat, den deutschen Kanzler in die Unbeugsamkeit hineinzutreiben. Ebenso müßig wie die Frage, ob Frankreich ohne die deutsche Unterstützung vergleichbar kompromisslos agiert hätte wie in den letzten Wochen. Für beides gilt: Nur das Ergebnis zählt. Dieses Ergebnis besteht in der Erkenntnis, dass der Kurs der jeweiligen US-Regierung in Frage gestellt werden kann, ohne dass die Erde aufhört, sich um die Sonne zu drehen. EU und Nato standen am Rande einer Zerreißprobe? Ja, natürlich. Es ist nun einmal so, dass sich auch bewährte Bündnisse neu definieren müssen, wenn die Welt sich eine neue Ordnung gibt.

Diesen Krieg kann Bush erzwingen – doch Vergleichbares wird ihm niemals mehr gelingen

Noch weiß niemand, wie diese Ordnung aussehen wird. Das alte Völkerrecht ist unbefriedigend und mangelhaft. Selbstverständlich. Denn es ist der Erkenntnis geschuldet, dass ihm auch Diktatoren zustimmen müssen, soll es durchsetzbar bleiben. Die Selbsttäuschung der Welt bestand in der Hoffnung, nach dem Ende des Kalten Krieges ließe sich die Charta der Menschenrechte mit der Praxis internationaler Politik versöhnen.

Angesichts der nach wie vor überwältigenden Mehrheit diktatorisch regierter Staaten hat sich dieser Wunsch – ein weiteres Mal – als Illusion erwiesen. Ein internationales Regelwerk wird auch künftig der Zustimmung von Diktatoren bedürfen, so deprimierend das ist. (Ohne die moralische Überhöhung des Kosovokrieges wäre in dieser Hinsicht manches leichter!) Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat also nicht zu paradiesischen Zuständen auf Erden geführt.

Aber das Ende des „Gleichgewichts des Schreckens“ bedeutet nicht zugleich das Ende jedes Gleichgewichts. Wenn die USA den Krieg gegen den Irak gewinnen, dann haben sie damit noch nicht zugleich das dringend erforderliche Kontrollregime gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen etabliert. Dafür haben Schröder und Chirac erheblich mehr getan als Bush. Weshalb es nicht nur ungerecht, sondern auch dumm wäre, stünden sie – kurzfristig! – plötzlich als Verlierer da. BETTINA GAUS