: „Das kann sehr hässlich werden“
Interview BERND PICKERT
taz: Mr. Roth, glauben Sie, dass die USA im kommenden Irakkrieg internationale Kriegs- und Menschenrechtskonventionen beachten werden?
Kenneth Roth: Es hat eine Entwicklung gegeben. Im Golfkrieg 1991 waren die meisten der von den USA eingesetzten Waffen einfache, also so genannte „dumme“ Bomben. In Bagdad haben sie zwar mehr Präzisionswaffen eingesetzt, weil dort die Presse war, aber überall sonst, einschließlich Basra, haben sie dumme Bomben benutzt. Im Ergebnis waren die zivilen Opfer der Bombardierungen viel höher. In Jugoslawien haben sie in besiedelten Gebieten im Wesentlichen Präzisionswaffen eingesetzt – mit einer Ausnahme, dem Einsatz von Streubomben. In Afghanistan haben sie auch die praktisch nicht mehr in besiedelten Gebieten eingesetzt, wodurch die Zahl ziviler Opfer noch einmal gesunken ist. Diese Bomben bleiben ein großes Problem, selbst wenn sie in unbewohnten Gebieten eingesetzt werden, weil rund fünf Prozent als Blindgänger übrig bleiben. Der Einsatz von Streubomben wird insofern ein Test dafür sein, wie sie es mit dem Völkerrecht halten.
Gibt es noch weitere solche leicht nachprüfbaren Kriterien?
Als in Jugoslawien die Radio- und Fernsehstationen bombardiert wurden, die Brücken, die Stromversorgung – da ging es im Wesentlichen darum, die Moral der Bevölkerung anzugreifen. Das ist ein legitimes politisches Ziel oder eines, das mit Sanktionen erreicht werden kann – aber es ist völlig inakzeptabel, dies mit militärischer Gewalt erreichen zu wollen. Wir machen auch Druck, dass keine Nahrungsmittellager oder Ähnliches angegriffen werden wie in Kabul.
Das US-Militär hat öffentlich erklärt, der Einsatz von intelligenten Präzisionswaffen erlaube es, zivile Opfer zu minimieren. Stimmt denn das? 1991 hat die Öffentlichkeit auch immer nur Bilder von Volltreffern durch Präzisionswaffen zu sehen bekommen – sollen wir jetzt schon vorab beruhigt werden?
Präzisionswaffen sind tatsächlich eine Verbesserung, und sie tragen dazu bei, zivile Opfer zu reduzieren. Allerdings werden sie manchmal auf die falschen Ziele gelenkt …
Chinesische Botschaften zum Beispiel, wie in Belgrad …
Genau. Das war ein perfekter Treffer auf das falsche Ziel. Im letzten Golfkrieg war der schlimmste Zwischenfall der Volltreffer auf den Schutzbunker in Bagdad. Ein weiterer Grund für viele Tote war die Zerstörung der zivilen Infrastruktur. Ich hoffe, dass das diesmal nicht wieder passiert, und ich bin aus zwei Gründen optimistisch: Erstens gibt es die Erfahrungen aus dem ersten Krieg, und zweitens werden die USA diesmal auch für den Wiederaufbau verantwortlich sein, was sie beim ersten Mal nicht waren.
Also ginge diesmal doch die Hauptgefahr für Zivilisten von den Bomben selbst aus und wäre insofern gering?
Viel gefährlicher erscheint mir eine mögliche Reaktion Saddam Husseins. Er hat rund eine Viertelmillion Menschen auf dem Gewissen, inklusive rund 100.000 Kurden, die er 1988 in einem Völkermord hat umbringen lassen. Wenn er zu der Ansicht kommt, dass er ohnehin gestürzt wird, dann habe ich große Angst, dass er versuchen könnte, so viele Leute mit in den Tod zu nehmen wie möglich.
Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der irakischen Opposition?
Sie hat eine blutige Vergangenheit. Während des Aufstandes 1991 haben sie eine große Anzahl von Mitarbeitern der Baath-Partei und Anhänger Saddam Husseins einfach hingerichtet. Man muss davon ausgehen, dass sie dort wieder anfangen, wo sie aufgehört haben, wenn Saddams Streitkräfte einmal geschlagen sind. Das kann sehr hässlich werden, vor allem wenn die US-Armee Bagdad einnimmt, ohne aber das übrige Territorium zu sichern. Wenn so ein Machtvakuum entsteht, ist das eine Einladung für Grausamkeiten.
Was halten Sie denn von den Vorschlägen, Saddam Hussein im Ausland Asyl und Garantien anzubieten?
Human Rights Watch ist nicht gegen die Grundidee, Saddam Hussein einen Gang ins Exil zu ermöglichen, wenn damit ein Krieg verhindert werden kann. Aber wir würden uns aus zwei Gründen einer formalen Amnestie widersetzen: Erstens weil natürlich die Opfer Saddams Gerechtigkeit sehen wollen, und zweitens weil es nicht richtig sein kann, das Signal auszusenden, dass es möglich ist, so grausame Verbrechen zu begehen, wie Saddam es getan hat, und sich dann erpresserisch den Weg zur Straffreiheit zu erkämpfen.
Zurück zu den USA. Seit einigen Monaten wird dort eine Diskussion darüber geführt, ob im Krieg gegen den Terror der Einsatz der Folter unter bestimmten Umständen legitim sein könnte. Es gibt Informationen darüber, dass die USA jetzt schon Gefangene in verbündeten Ländern verhören lassen, die es mit dem Verbot der Folter nicht so genau nehmen. Was wissen Sie darüber?
Die ernstesten Vorwürfe wurden im Dezember von der Washington Post veröffentlicht. Der von zwei Journalisten hervorragend recherchierte Bericht legt nahe, dass die USA das selbst tun, aber auch Gefangene in Länder wie Ägypten, Marokko oder Jordanien schicken, wo gefoltert wird. Wir haben in einem Brief an Präsident Bush am folgenden Tag gefordert, dass er laut ausspricht, dass die USA keine Folter praktizieren dürfen. Die Reaktion war ein beredtes Schweigen. Es gab kein Dementi auf höherer Ebene.
Wie interpretieren Sie das?
Das ist Teil eines größeren Trends im Verhalten der Regierung Bush: Innenpolitisch und in den bi- und multilateralen Beziehungen ist eine Bereitschaft zu beobachten, im Kampf gegen den Terrorismus die Menschenrechte nicht so wichtig zu nehmen.
Zum Beispiel?
In Guantánamo verbiegen sie die Genfer Konventionen, um ohne Anklage und Gerichtsverfahren Menschen in Haft zu halten. Sie missbrauchen die Migrationsbestimmungen, um angebliche Verdächtige lange Zeit ohne die üblichen Rechte in Verwahrung zu behalten. In den bilateralen Beziehungen sieht man das an Bushs unkritischer Unterstützung von Musharraf in Pakistan, an seinem Kuschelkurs mit dem indonesischen Militär trotz dessen erwiesener Grausamkeiten. Und in den multilateralen Beziehungen sehen wir es an den Angriffen auf den Internationalen Strafgerichtshof, an der Weigerung, ein neues Überprüfungsregime einzurichten, das zum Beispiel Foltervorwürfen nachgeht. Wir glauben, dass das nicht nur aus prinzipiellen Erwägungen falsch ist, sondern auch extrem kontraproduktiv.
Aber US-Regierungen haben doch – etwa in Lateinamerika – schon immer mit brutalen Regierungen zusammengearbeitet. Neu scheint mir zu sein, dass das früher vor allem heimlich geschah, etwa die Unterstützung des Putsches in Chile, heute aber weitgehend offen.
Ich glaube, es gibt beim Verhalten der US-Regierung im Krieg gegen den Terror und im Kalten Krieg sehr klare Parallelen. Im Kalten Krieg – vor allem unter der Reagan-Regierung – wurden offen brutale Regierungen und Gruppierungen unterstützt: die Regierung El Salvadors, die Contras in Nicaragua, Siad Barre in Somalia, Mengistu in Zaire, Unita in Angola … Der Kampf gegen den Kommunismus heiligte die Mittel. Das war mit dem Ende des Kalten Krieges vorbei. Die wenigen großen Ausnahmen danach waren Kolumbien, wo es massive Militärhilfe der USA gibt, trotz der Zusammenarbeit mit den brutalen Paramilitärs, außerdem Israel, Ägypten und Türkei. Aber die allgemeine Linie war doch, dass sich die USA von der Kooperation mit den üblen Regimen der Welt zurückzog. Mit den neuen Parametern im Kampf gegen den Terror verhalten sich die USA plötzlich wieder wie im Kalten Krieg, als Menschenrechte nicht viel zählten.
Wie reagiert denn die US-Öffentlichkeit auf Ihre Berichte? Kurz nach dem 11. September scheint es für US-Menschenrechtsorganisationen sehr schwer gewesen zu sein, ihren Punkt überhaupt anzubringen.
Das galt aber nur für die ersten zwei Monate nach dem 11. September. Schon im November 2001 konnten wir unsere Kritik wieder sehr gut rüberbringen; ab dem Moment spätestens, als die US-Regierung anfing, die Militärtribunale vorzuschlagen, die in Geheimprozessen ohne Berufungsmöglichkeit mutmaßliche Terroristen aburteilen sollten. Das war so dermaßen daneben, dass die Kritik von Human Rights Watch sofort durchdrang. Die Regierung musste wesentliche Änderungen vornehmen und hat etliche – nicht alle – der Kritikpunkte ausgeräumt. Die US-Regierung sieht sich durchaus immer wieder gefordert, auf Druck zu reagieren, zumal auch in einem Großteil der Presse ein tiefes Unbehagen über den Kurs der US-Politik vorherrscht.
Was halten Sie von Intellektuellen wie etwa dem Schriftsteller Norman Mailer, die schon davor warnen, die USA seien auf dem Weg zu einer faschistischen Diktatur?
Auch wir sind über den Kurs dieser Regierung in der Innen- wie Außenpolitik tief besorgt. Als wir das auf unserer Pressekonferenz am 14. Januar dieses Jahres vorgestellt haben, haben wir mehr Reaktionen und öffentliche Aufmerksamkeit bekommen als je zuvor. Wir sprechen aus, was die Öffentlichkeit denkt.