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Archiv-Artikel

Der Hundesohn. Unser Hundesohn

Selten zuvor ist ein Krieg so intensiv gewollt und so langfristig und zielstrebig vorbereitet worden wie der dritte Golfkrieg. Selten wurde bereits in der Vorphase eines heißen Krieges das Völkerrecht so häufig und skrupellos gebrochen und wurde die Weltöffentlichkeit so intensiv – und leider weitgehend erfolgreich – manipuliert. Und selten wurde der Feind im Vorfeld eines Krieges so wirkungsvoll und nachhaltig dämonisiert wie Saddam Hussein, wurde die internationale Mitverantwortung für die Verbrechen des Feindes und für das Problem, das jetzt durch einen Krieg „gelöst“ werden soll, so tief verdrängt.

Die Dämonisierung und die Verdrängung begannen bereits mit dem letzten Golfkrieg. Präsident George Bush sen. verglich Saddam Hussein mit Adolf Hitler. Auch der deutsche Intellektuelle Hans Magnus Enzensberger malte den Diktator vom Tigris in einem Spiegel-Essay als „Hitlers Wiedergänger“.

Richtig ist: Saddam Hussein ist ein blutrünstiger Diktator und verantwortlich für die fürchterlichsten Menschenrechtsverletzungen, die unter internationalen Normen definiert sind. Ob sein Regime nun das schlimmste auf Erden ist, wie in den letzten Monaten manche behaupten, die auf Krieg drängen, oder eines der schlimmsten, ist müßig und wahrscheinlich auch kaum zu verifizieren. Entscheidend ist: Saddam Husseins Charakter und seine Gräueltaten waren nie ein Geheimnis. Seit seinem Aufstieg zur Macht in Bagdad konnte und musste jeder, der ihn politisch unterstützte, mit ihm Geschäfte machte oder ihm Waffen verkaufte, genau wissen, mit wem er zu tun hatte. Und besonders enge Kontakte und Beziehungen hatte Saddam Hussein seit Mitte der 60er-Jahre zu Geheimdienstlern, Politikern, Diplomaten und Militärs aus den USA. Als sich Saddam Hussein 1979 mit kräftiger Unterstützung der CIA an die Spitze des Regimes geputscht hatte, kabelte der Stationschef des Geheimdienstes in der Bagdader US-Botschaft diese Erfolgsmeldung an die CIA-Zentrale in Langley, Virginia: „Ich weiß, Saddam Hussein ist ein Hundesohn, aber er ist unser Hundesohn.“

Zbigniew Brzezinski, der bis heute in Washington sehr einflussreiche Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter (1976–1980) nahm die Formulierung vom „Hundesohn Hussein“ ausdrücklich auf, als er Carter nach dem Sturz des Schahs im Iran durch schiitische Ajatollahs dringend die Annäherung an Saddam Husseins Irak empfahl. Robert Gates, Direktor des Geheimdienstes CIA ab 1991, erklärte nach seiner Pensionierung in einem Fernsehinterview, Washington habe „nie irgendwelche Illusionen über Saddam Hussein gehabt“. Der Mann sei „kein Demokrat, kein Agrarreformer, sondern ein ganz gemeiner Verbrecher“.

Gates muss es wissen. Als CIA-Agent und Protegé seines Vorgängers auf dem Direktorenstuhl, William Casey, sorgte Gates in den frühen 80er-Jahren dafür, dass Saddam Hussein die Technologie zur Herstellung der gefürchteten Streubomben erhielt. Im ersten Golfkrieg (1980–1988) setzten Saddams Generäle diese Streubomben dann gegen die zahlenmäßig überlegenen iranischen Truppen ein – mit verheerender Wirkung. Detaillierte Berichte über die schweren Menschenrechtsverletzungen unter dem Regime von Saddam Hussein werden von amnesty international (ai) seit Anfang der 80er-Jahre veröffentlicht.

Doch damals stieß amnesty international mit diesen Berichten bei den Regierungen, die heute auch die Menschenrechtsverletzungen als Begründung für einen Krieg gegen Irak anführen, auf völlig taube Ohren. Als die britische Regierung Saddam Hussein in einem Anfang Dezember 2002 veröffentlichten Bericht „systematischen Terror“ gegen das irakische Volk vorwarf, kritisierte amnesty international den Zeitpunkt der Veröffentlichung und hielt der Regierung Blair vor, das Thema Menschenrechte zur Propaganda für einen Krieg gegen Irak zu missbrauchen. „Diese selektive Aufmerksamkeit für Menschenrechtsverstöße im Irak ist nichts weiter als eine kalte und kalkulierte Manipulation der Arbeit von Menschenrechtsaktivisten“, erklärte die Generalsekretärin der Londoner ai-Zentrale, Irene Khan.

In den 80er-Jahren war Saddam Hussein engster Verbündeter des Westens wie der Sowjetunion im Mittleren Osten. Kritik an seinen schweren Menschenrechtsverletzungen hätte dieses Bündnis nur gestört. Für seinen Krieg gegen den Iran nach der islamischen Revolution von 1979 erhielt Saddam Hussein aus West und Ost all die Waffen und Raketen sowie die Grundstoffe, Bauteile, das Know-how und die Produktionskapazitäten für die Massenvernichtungswaffen, deren angeblich fortgesetzte Existenz im Irak oder erneute Beschaffung und Entwicklung seit dem Abzug der UNO-Inspekteure im Dezember 1998 heute als Hauptbegründung für einen dritten Golfkrieg dienen. Die meisten Firmen und Waffenlabors, die Saddam Husseins Aufrüstungsprogramm ab Ende der 70er-Jahre zulieferten, sind in Deutschland (West) und in den USA zu Hause. Die Mehrzahl dieser Lieferungen verstieß gegen internationale Rüstungskontrollabkommen oder gegen nationale Exportverbote. Dennoch erfolgten sie häufig mit Wissen, Duldung oder gar mit offiziellen Lizenzen und unter aktiver Förderung der Administrationen Reagan und Busch sen. in Washington; auch deutsche Regierungsstellen unter den Bundeskanzlern Helmut Schmidt und Helmut Kohl waren in viele Vorgänge dieser Art eingeweiht.

Die umfangreichen Zulieferungen deutscher Unternehmen zum Chemiewaffenprogramm Saddam Husseins wurden auch nach dem Giftgasmassaker der irakischen Luftwaffe an 6.800 Kurden in Halabscha im März 1988, das ein Akt des Völkermordes war, von den Unternehmen nicht beendet und von der Bundesregierung nicht unterbunden. „Ein paar tote Iraker interessieren unsere Aktionäre nicht“, erklärte nach dem Völkermord von Halabscha der Geschäftsführer der deutschen Firma mit dem seinerzeit größten Lieferumfang für das irakische C-Waffenprogramm. Um ihren Verbündeten Saddam Hussein vor internationaler Kritik zu schützen, wies die US-Regierung ihre Diplomaten damals an, zu verbreiten, Iran sei für das Massaker von Halabscha verantwortlich. Der heutige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld weilte als Sonderbeauftragter von Präsident Reagan für den Mittleren Osten in der ersten Hälfte der 80er-Jahre mehrfach zur Vereinbarung von Rüstungsgeschäften bei Saddam Hussein in Bagdad. George Bush sen. war bereits als CIA-Chef Mitte der 70er-Jahre und später als Vize von Präsident Ronald Reagan (1980–1988) aktiv in die US-amerikanischen Bemühungen zur Aufrüstung des Regimes in Bagdad involviert. Die Satelliten-Zieldaten für den Einsatz chemischer Waffen gegen iranische Truppen erhielt Saddam Hussein vom Pentagon.

All diese hässlichen Tatsachen sind bestens dokumentiert. In den Reports der UNO-Waffeninspekteure (Unscom), die den Irak zwischen 1991 und 1998 durchsuchten; in Akten des amerikanischen Kongresses und in dem Waffenbericht, den die irakische Regierung Anfang Dezember 2002 dem UNO-Sicherheitsrat übergab. Die Teile des Berichtes mit den Informationen über ausländische Zulieferungen zu Saddam Husseins Rüstungsprogramm liegen allerdings nur den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates vor (sowie inzwischen auch der taz – d. Red.). Auch die Unscom-Reports sind weiterhin unter Verschluss. Darauf bestehen nicht nur die fünf ständigen Ratsmitglieder, sondern auch Deutschland und einige weitere UNO-Staaten, deren Firmen in den Reports eine prominente Rolle spielen.

Bis heute wurde das dunkle Kapitel der engen Kooperation mit dem Diktator Saddam Hussein weitgehend verdrängt. In den USA noch mehr als in Deutschland. Die Aufarbeitung der politischen Verantwortung für die ausländische Beihilfe zu Saddam Husseins Aufrüstung mit Massenvernichtungswaffen und zu den von seinem Regime verübten Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit ist bis heute noch nicht einmal versucht worden. Die Dämonisierung Saddam Husseins als Wiedergänger Hitlers Anfang 1991 erleichterte die Verdrängung. Auch die Verdrängung der bis heute völlig unaufgeklärten Kriegsverbrechen der US-amerikanischen Streitkräfte im letzten Golfkrieg, darunter das Massaker an mutmaßlich mehreren zehntausend auf dem Rückzug befindlichen irakischen Soldaten entlang der Wüstenstraße zwischen Basra und Bagdad.

Die Dämonisierung des Diktators Saddam Hussein hat im Laufe der letzten zwölf Jahre auf das ganze Land übergegriffen. „Der Irak“ ist zum Feindbild geworden. Am meisten davon betroffen ist die Zivilbevölkerung. Es gibt in der Welt kaum irgendwo Empathie für die 23 Millionen Iraker. Nur so ist erklärbar, dass die verheerenden Folgen, die die umfassenden Wirtschaftssanktionen der UNO für die Menschen in dem auch immer noch von den Zerstörungen des letzten Golfkrieges betroffenen Land haben, immer noch auf ein so geringes Interesse stoßen. Dasselbe gilt für die entsetzlichen Auswirkungen des Einsatzes von Munition mit abgereichertem Uran im letzten Golfkrieg, den die US-Streitkräfte ausdrücklich auch für den nächsten Krieg einplanen. Wie, wenn nicht mit mangelnder Empathie für die Menschen im Irak, ist es sonst erklärbar, dass die Erklärung aus dem Mund der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, die Notwendigkeit einer Aufrechterhaltung der UNO-Sanktionen rechtfertige auch den Tod von über einer halben Million irakischer Kleinkin-der, nicht weltweit auf einen Aufschrei der Empörung gestoßen ist und keinerlei politische Konsequenzen für Albright hatte?

Die Wirkung der Dämonisierung Saddam Husseins auf das Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft war stärker. Und zugleich waren die Sanktionen das wirksamste Mittel, um das Regime von Saddam Hussein unter Kontrolle und gleichzeitig an der Macht zu halten. Insbesondere für die USA hat ein Saddam Hussein, der in Bagdad an der Macht ist, in den letzten zwölf Jahren eine wichtige Funktion erfüllt. Unter Verweis auf die angeblich von seinem Regime ausgehende Bedrohung konnten die USA seit 1991 Waffen im Wert von über 100 Milliarden US-Dollar an Israel, Saudi-Arabien und andere Staaten der Region verkaufen. Und auch in der innenpolitischen Debatte Amerikas war der Verweis auf den Schurkenstaat Irak nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion eines der wichtigsten Argumente der Befürworter einer fortgesetzten Atombewaffnung und Rüstung.

Doch jetzt hat Saddam Hitler seine Schuldigkeit getan. Die politischen Rahmenbedingungen für den fortgesetzten Einfluss und die Kontrolle der USA über den Mittleren Osten und seine reichen Ölvorkommen haben sich verändert. Nicht erst seit dem 11. September 2001. Bei den aus Washingtoner Sicht notwendigen Neuordnungen in der Region steht der Diktator von Bagdad im Weg. Richard Perle, Vize-Verteidigungsminister unter Präsident Ronald Reagan in den 80er-Jahren und heute als Vorsitzender des wichtigsten Beratungsgremiums für das Pentagon einer der einflussreichsten Männer in Washington, hat dies schon im Jahre 1996 klar formuliert. In einem Beratungspapier für den damals gerade gewählten israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu plädierte Perle für einen „klaren Bruch“ („a clean break“) mit der damaligen Nahostpolitik und für eine „neue Strategie zur Erhaltung der Vorherrschaft “ der USA und Israels in der Region.

Punkt eins des Beratungspapiers: Israel solle den Oslo-Friedensprozess mit den Palästinensern beenden, sich nicht mehr auf ähnliche Verhandlungen einlassen und seine Interessen gegenüber den Palästinensern wie den arabischen Staaten kompromisslos durchsetzen. Punkt zwei: Ausgehend von der Analyse, dass die innenpolitischen Konflikte in Saudi-Arabien früher oder späterzu einer ähnlichen Explosion führen könnten wie 1979 im Iran, dringt Perle darauf, dass die USA ihren geopolitischen Verbündeten und verlässlichen Öl-Lieferanten Saudi-Arabien rechtzeitig durch den Irak ersetzen. Dem dafür erforderlichen Sturz nicht nur Saddam Husseins, sondern des gesamten Regimes der Baath-Partei im Irak werde – so Perles Prognose – als Domino-Effekt über kurz oder lang der Kollaps des Baath-Regimes in Syrien folgen. Damit gerate dann auch der Libanon endlich wieder unter die volle Kontrolle Israels und damit der USA. Zum Schluss seines Beratungspapiers aus dem Jahr 1996, das sich wie eine Blaupause für die seitdem eingetretene Entwicklung in der Region liest, plädiert Perle dafür, dass die USA für das 21. Jahrhundert im Mittleren Osten eine „strategische Achse formen mit den beiden einzigen Demokratien der Region, Israel und der Türkei“.

1997 wurde in Washington die „Projektgruppe für ein neues Amerika“ aus der Taufe gehoben. Gründungsmitglieder waren neben Richard Perle zehn Männer, die inzwischen hochrangige Posten in der Bush-Administration besetzen: darunter Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Vize Paul Wolfowitz, der stellvertretende Außenminister Richard Armitage, der für Rüstungskontrolle zuständige Staatssekretär im State Department, John Bolton, sowie der Sonderbeauftragte des Weißen Hauses für die Beziehungen zur irakischen Opposition, Zalmay M. Khalilzad. Eine der ersten Initiativen der Gruppe war Anfang 1998 ein Brief an den damaligen Präsidenten Bill Clinton mit der Forderung, die Regierung in Washington solle „damit beginnen, eine Strategie zur Beseitigung von Saddams Regime umzusetzen“.

Seit sie im Januar 2001 selber in wichtige Regierungsämter beziehungsweise auf einflussreiche Beraterposten gekommen waren, trieben die Mitglieder der „Projektgruppe für ein neues Amerika“ das Ziel des „Regimewechsels“ inBagdad konsequent voran. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 schufen die Möglichkeit, die Beseitigung des Regimes in Bagdad als einen notwendigen Teil des Krieges gegen den Terrorismus darzustellen. Wesentlich unter dem Einfluss von Cheney und Rumsfeld fügte Präsident Bush seinem (erst Mitte Januar 2002 bekannt gewordenen) geheimen Exekutivbefehl vom 17. September 2001, mit dem er den Kommandeuren der US-Streitkräfte die Vorbereitung des Krieges gegen das Al-Qaida-Netzwerk und das Taliban-Regime in Afghanistan befahl, einen zweiten Absatz zu. In diesem Absatz gab Bush den Kommandeuren die Order, Szenarien für einen Krieg gegen Irak auszuarbeiten. Bereits in den folgenden Tagen fanden im Pentagon unter Teilnahme von Minister Rumsfeld intensive Diskussionen statt über das Vorhaben, Saddam Hussein zu stürzen.