: Auf Griechisch zurück zur Einheit
In der verfahrenen Lage, die durch die Irakkrise in der EU entstanden ist, beweist Griechenlands Ministerpräsident Simitis diplomatisches Feingefühl
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Nach Veranstaltungen wie dem EU-Sondergipfel Montagabend in Brüssel wird zuerst ja immer die Frage gestellt, wer denn gewonnen habe. Sie beantwortete sich gestern mit einem Blick auf den griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitis, der die Amtsgeschäfte der Union bis zum Sommer leitet. Als er am späten Vormittag am Brüsseler Ratsgebäude vorfuhr, um die Gäste aus den Kandidatenländern zu einem Informationsgespräch zu begrüßen, winkte er in die wartende Journalistenmenge wie ein Matador, der gerade den wildesten Bullen besiegt hat.
In diesem Fall waren sogar mehrere Stiere niederzuringen. Ständig steigender Druck von Seiten der USA, das kategorische Nein des deutschen Bundeskanzlers zu einer Kriegsbeteiligung der Europäer – und dann auch noch der proamerikanische Alleingang von Tony Blair, vier weiteren EU-Staaten und drei Kandidatenländern Ende Januar. Sie schrieben ihren Unterstützerbrief für Bush, nur wenige Tage nachdem sich die EU-Außenminister unter griechischer Regie auf eine Irak-Erklärung verständigt hatten. Dass er über die Initiative nicht informiert war und Briefe hinter seinem Rücken als Brüskierung empfinde, hatte Simitis anschließend in für einen Diplomaten ungewöhnlicher Offenheit deutlich gemacht.
Angesichts dieser verfahrenen Ausgangslage ist schon als Erfolg zu werten, dass überhaupt ein weiteres Treffen zustande kam. Simitis wehrte sich auch standhaft gegen den spanisch-britischen Vorschlag, die Kandidatenländer zum Gipfel mit einzuladen und dadurch den proamerikanischen Flügel im Rat zu stärken. Stattdessen präsentierte er einen anderen Gast: UN-Generalsekretär Kofi Annan erhielt zu Beginn des Treffens Gelegenheit, den Abweichlern beider Lager ins Gewissen zu reden.
Mangelnde Kompromissbereitschaft schwäche die Autorität der Vereinten Nationen, warnte Annan an die Adresse Deutschlands und Großbritanniens. Nur ein gemeinsames Vorgehen der Europäer und enge Abstimmung mit den USA könnten dafür sorgen, dass der Druck auf Bagdad aufrechterhalten werde. „Je breiter der Konsens ist, desto größer die Chancen, effektiv mit den brennenden Konflikten auf der ganzen Welt umzugehen.“ Er hoffe, ein Krieg könne noch vermieden werden. „Die Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrates müssen aber möglicherweise eine düstere Entscheidung treffen.“ Ein Krieg gegen Irak außerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen habe keinerlei moralische Legitimität. Mit seinem Appell gab Annan den Inhalt der Abschlusserklärung praktisch vor, die dann erstaunlich früh am Abend von den fünfzehn Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde. Annan flog nach Rom weiter, um dort an der parteiübergreifenden Koalition weiter zu schmieden: Er sprach gestern mit dem Papst, der einen Irakkrieg strikt ablehnt, und mit Silvio Berlusconi, der dem US-freundlichen Flügel in der Europäischen Union angehört.
„Wir erkennen an, dass die vorrangige Verantwortung bei der Entwaffnung des Irak im UN-Sicherheitsrat liegt“, schrieben die fünfzehn Staatschefs anschließend brav in ihren Abschlusstext, dem sich die zuvor abtrünnigen Beitrittskandidaten gestern einstimmig anschlossen (siehe Text unten). „Das Ziel der Union bleibt die vollständige und wirkungsvolle Entwaffnung des Irak. Wir wollen das mit friedlichen Mitteln erreichen. Es ist klar, das die Menschen in Europa das so wollen“, heißt es in dem Text weiter als besänftigendes Signal an die hunderttausenden, die am Samstag überall in Europa gegen einen Irakkrieg auf die Straße gegangen waren.
„Gewalt sollte nur als letztes Mittel benutzt werden. Wir erklären unsere volle Unterstützung für die andauernde Arbeit der Waffeninspekteure. Ihnen müssen die Zeit und die Hilfsmittel gegeben werden, von denen der Sicherheitsrat glaubt, dass sie sie brauchen. Die Inspektionen können aber nicht unbegrenzt weitergehen, wenn der Irak nicht vollständig kooperiert“ – so die Kröte, die Bundeskanzler Schröder schlucken musste.
Nur das entschlossene und einige Auftreten der internationalen Gemeinschaft habe dafür gesorgt, dass die Inspektoren überhaupt in den Irak zurückkehren konnten. „Wir sind entschlossen, mit all unseren Partnern, vor allem den Vereinigten Staaten, für die Entwaffnung des Irak, für Frieden und Stabilität in der Region und für eine menschenwürdige Zukunft der Menschen dort zu arbeiten“ – so weit die besänftigende Geste an George Bush im letzten Satz der Erklärung.
Das Europäische Parlament feierte Kostas Simitis für diese diplomatische Meisterleistung gestern Morgen mit begeistertem Beifall. „Ich weiß nicht, was Sie in die gefüllten Weinblätter getan haben, die Sie Ihren Gästen als Vorspeise servierten – aber es hat gewirkt!“, lobte Graham Watson, der britische Chef der liberalen Fraktion. Und die grüne Fraktionschefin Monika Frassoni bedankte sich „für die geduldige Arbeit, für die Einladung an Kofi Annan und für den Auftritt des griechischen Außenministers Papandreou vor der Arabischen Liga“. Frassoni äußerte die optimistische Hoffnung, „dass Ihre Talente, Herr Präsident Simitis, auch auf die Zypernproblematik positiv wirken werden“.
So schnell kann es also gehen. Den Griechen, deren EU-Präsidentschaft bislang unter einem unglücklichen Stern zu stehen schien, werden mit einem Mal Zauberkräfte zugetraut. Für den breiten Konsens, der auf einmal von allen als unverzichtbar angesehen wird, um Saddam Hussein zum Einlenken zu bewegen, bringt Griechenland genau den richtigen geopolitischen Hintergrund mit. Und so könnte sich am Ende der EU-Ableger, der eingeklemmt zwischen Balkan, Türkei und Bulgarien agieren muss, als idealer Makler in dieser verfahrenen Situation erweisen.