: Marienbilder bei McDonald’s
Wie sich heute das ehemals deutsche Breslau und spätere sozialistische Wrocław in einer modernen Metropole mit all ihren Widersprüchen spiegelt: Das Deutsche Kulturforum östliches Europa zeigt in einer Ausstellung im Fernsehturm am Alex Arbeiten des Potsdamer Fotografen Mathias Marx
von ANNE KRAUME
Wir sehen aus der Dunkelheit der Kirche heraus in die gleißende Helligkeit des Sommertags. Die schweren Holztüren sind im Dämmerlicht kaum zu erkennen, und auf dem Boden malt die schräg stehende Sonne Schattenmuster auf die sechseckigen Steinfliesen. Die Füße der alten Frau sind schwer. Sie sind sowieso schwer, aber an diesem Sommertag noch schwerer als sonst. Sie stützt sich auf ihren Stock, und die freie Hand scheint den schmerzenden Rücken ein wenig zu massieren, als sie aus dem Licht der Straße ins Halbdunkel der Kirche tritt. Wir sehen sie kommen.
Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Eine Szene von vielen, die der Potsdamer Fotograf Mathias Marx auf seinen Reisen ins polnische Wrocław festgehalten hat. Einer dieser kleinen Augenblicke, in denen nicht viel passiert, die aber trotzdem viel erzählen – ein bisschen etwas über den, der sie gesehen und dokumentiert hat, und noch sehr viel mehr über die Stadt, in der sie sich abspielen. Dreimal ist Mathias Marx im vergangenen Jahr mit der Kamera in die einstige Hauptstadt Schlesiens gereist. Seine ganz persönlichen Eindrücke von dem alten Breslau und dem neuen Wrocław dokumentiert jetzt eine Ausstellung des Deutschen Kulturforums östliches Europa im Fernsehturm am Alexanderplatz.
Die alte Frau, die die Kirche betritt. Eine junge Kellnerin mit scheuem Blick. Eine Frau, die mit verschränkten Armen und in Sandalen über einen sonnigen Platz geht, die Sonnenbrille im Haar und der lange helle Rock ein wenig durchscheinend im Licht. Immer wieder sind es die Menschen, die auf Marx’ Fotos im Mittelpunkt stehen – Menschen, die heute aller Wahrscheinlichkeit nach polnisch sprechen und die in einer blühenden polnischen Stadt leben.
Diese polnische Stadt hat aber einen doppeltem Boden, denn ihre Steine sprechen zum Teil noch Deutsch – so wie sie es vor 1945 getan haben, bevor in Breslau ein kompletter Austausch der Bevölkerung vollzogen wurde: Die deutschen Bewohner der Stadt wurden vertrieben, an ihrer Stelle siedelte man Menschen aus den ehemaligen ostpolnischen Gebieten rund um Lemberg an, die ihrerseits von dort vertrieben worden waren. Wer heute nach Wrocław reist, der kann nicht nur auf dem jüdischen Friedhof der Stadt deutsche Namen entdecken, sondern stößt auch auf alte deutsche Inschriften auf den Häusern, die inzwischen nicht mehr wie zu Zeiten des Sozialismus übertüncht oder abgekratzt, sondern im Gegenteil noch besonders hervorgehoben werden.
Mathias Marx hat sowohl Bilder in Farbe als auch Schwarzweiß-Fotografien von seinen Fahrten nach Wrocław mitgebracht. Farbenfrohe, fröhliche Szenen vom Altstadt-Ring, Straßencafés und renovierte, in Pastelltönen angestrichene Häuserzeilen, Werbeplakate, das Bunt eines Kramladens und das der Jugendlichen, die sich in einer McDonald’s-Filiale drängen. Diesen zeitgenössischen Impressionen aus einer lebendigen Stadt setzt der Fotograf jene gegenüber, die schon allein durch ihren Verzicht auf Farbe stiller und älter wirken: eine menschenleere Straße mit glänzendem Kopfsteinpflaster, durch das sich aus dem Bildvordergrund bis ins Weite ein langer Riss zieht. Ein junger Pfarrer, der in der Hand den Korb mit der Kollekte aus dem Gottesdienst hält. Die Auslage eines Devotionalienladens mit Katechismus und Marienbild. Hier scheint im grobkörnigen Schwarzweiß die Zeit angehalten worden zu sein, die aus dem deutschen Breslau zuerst das sozialistische Wrocław und jetzt eine moderne Metropole gemacht hat, die sich manchmal gar nicht so sehr von denen im Westen unterscheiden mag.
Heute, wenigstens auf den Fotos von Mathias Marx, tritt Wrocław als eine Stadt auf, die um ihre Vergangenheit als reiche Hansemetropole ebenso wie um die als zerstörte Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg weiß, und die jetzt vielleicht gerade deshalb zu leben versteht. Viel ist im Krieg zerstört worden, aber manches ist erhalten und fügt sich heute genauso in das Stadtbild, wie es die sozialistischen Zweckbauten und die modernen spiegelnden Fassaden tun. Und vielleicht ist der Gegensatz zwischen der Auslage des Devotionalienladens und den Werbeplakaten an den Häusern schließlich doch gar nicht so groß.
Ausstellung im Fernsehturm am Alexanderplatz, täglich geöffnet von 10 bis 24 Uhr, Eintritt frei. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa gibt einen Katalog mit den Fotografien von Mathias Marx und mit Texten von Roswitha Schieb und Karol Maliszewski heraus