: Der Weg in die Netzzensur
Ein neuer Staatsvertrag zum Jugendschutz wird die staatliche Kontrolle über das Internet erweitern. Die Sozialdemokraten leisten dabei tatkräftige Vorarbeit für die Interessen der Medienindustrie
von MONIKA GROSCHE
Jürgen Büssow bleibt hart. Der Regierungsdirektor von Düsseldorf, nach dem Geschäftsverteilungsplan der Landesregierung Nordrhein-Westfalens zuständig für neue Medien und Verwandtes, hat sich ziemlich genau vor einem Jahr als politisch besonders korrekter Kämpfer gegen die Neonazis in die Schlagzeilen gebracht. Anfang Februar 2002 flatterte 78 Firmen, die im Amtsbereich des Beamten den Zugang zum Internet vermitteln, eine Verfügung ins Haus, die sie verpflichtete, ihren Kunden den Zugriff auf zwei rechtsradikale Websites zu sperren. Beide waren (und sind) auf US-amerikanischen Servern gespeichert, und Verwunderung machte sich breit, hatten die Provider doch in monatelangen Gesprächen mit der Bezirksregierung zu klären versucht, dass die geforderte Filterung technisch kaum machbar sei. Obendrein stelle sie ähnlichen Unsinn dar wie eine Anordnung an die Post, jeden Brief auf strafbaren Inhalt zu überprüfen, ehe sie ihn ausliefert.
Ein zur Jahreszeit passender Karnevalsscherz war die Anordnung dennoch nicht. Die damit verbundene Strafandrohung machte schnell klar, dass es dem Regierungspräsidenten ernst war mit seiner Rolle, und seither sind Gerichte, mittelständische Unternehmer und Netzaktivisten gleichermaßen mit dem Fall beschäftigt. Letzte Woche etwa entschied das Verwaltungsgericht Aachen, dass der Anordnung aus Düsseldorf in jedem Fall Folge zu leisten sei, obwohl in der Sache selbst der Rechtsstreit noch längst nicht entschieden ist. Zwei der betroffenen Firmen hatten das Gericht ersucht, den Vollzug so lange auszusetzen. Vergebens. Jürgen Büssows Weisung betreffe ja lediglich „zwei Seiten“ und sei mit einem „gegen null gehenden Aufwand“ zu befolgen, befand das Gericht, weswegen die Beschwerde abzuweisen sei. Auch das Argument der Provider, dass die Bezirksregierung vor dem Sofortvollzug zu einer weiteren Anhörung verpflichtet gewesen wäre, ließen die Richter nicht gelten. Diese Pflicht bestände nämlich nur, wenn die Sperrung weiterer Websites geplant wäre. Die Frage aber, ob dem so sei, habe sich im Rahmen dieses Verfahrens gar nicht gestellt. – Juristen unter sich.
Büssows Zensurliste
Tatsächlich ging es noch nie allein um zwei ohnehin sattsam bekannte Naziseiten. Netzaktivisten und Providerfirmen beklagen vielmehr, dass wieder einmal ein allgemeineres gesellschaftliches Problem mit einer technischen Lösung aus der Welt geschafft werden soll. Das Vorgehen der Bezirksregierung weckt die Befürchtung, unter dem Deckmantel des Kampfes gegen rechte Hetze werde ein Präzedenzfall für staatliche Eingriffe ins Internet inszeniert. Und Jürgen Büssow selbst mag da gar nicht widersprechen: „Wenn ich das Milchtrinken verbieten will, muss ich erst mal ein oder zwei Flaschen beschlagnahmen.“
Kein Wunder, dass so manchem angst und bange wird bei der Vorstellung, was noch alles an Zukunftsplänen in Beamtenhirnen herumspuken mag, war doch auf Büssows ursprünglicher Zensurliste bereits eine Homepage mit aufgeführt, nur weil deren absichtlich geschmacklose Satiren das Zartgefühl des Regierungspräsidenten verletzten. In wiederholten Stellungnahmen ließ er keinen Zweifel daran, dass mit ein paar rechtsradikalen Seiten noch lange nicht Schluss sein soll. Rund 6.000 Adressen kommen Büssows Schätzung nach für eine Sperrung in Frage – alles natürlich zum Schutz der Bürger, insbesondere der Minderjährigen.
Wenn er Recht hat, muss die Gefahr, die von den beiden amerikanischen Nazischwätzern für die hiesige öffentliche Ordnung ausging, enorm gewesen sein. Vergangenen September jedenfalls ordnete Büssow den „sofortigen Vollzug“ seiner Weisung an, die bis dahin immer noch nicht von allen so ganz ernst genommen worden war. Aber weder das Urteil technischer Experten noch die lebhaften Proteste aufgebrachter Netzaktivsten (der Chaos Computer Club [CCC] organisierte sogar als Weltpremiere seine erste nichtvirtuelle Hackerdemo auf der Straße) oder etwa die Schelte von den eigenen Parteigenossen auf Bundesebene und im Europaparlament konnten den Sozialdemokraten umstimmen. Er sah nunmehr lediglich „Gefahr im Verzug“ für die eigene Aktion und suchte schleunigst zu deren Rettung die Abgeschiedenheit deutscher Gerichtsbarkeit auf.
Fakten geschaffen
Das Konzept scheint aufzugehen. Nach zwei konträren Konferenzen, die eine von Büssow selbst, die andere vom CCC organisiert, ließ die öffentliche Aufmerksamkeit nach, obwohl 18 Provider sogleich Widerspruch gegen den Vollzug einlegten und der Providerverband Eco ankündigte, man werde den Streit „bis zum Ende ausfechten“. Tatsächlich entschied das Verwaltungsgerichts Minden Ende Oktober – nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit – zugunsten der Provider und erklärte die Sperrung bis zur Entscheidung in der Hauptsache für nichtig. Doch die von Eco erhoffte Signalwirkung blieb aus. Schon vor der Kammer in Aachen hatten im Dezember drei weitere nordrhein-westfälische Verwaltungsgerichte entschieden, die Sperrverfügung dürfe so lange aufrechterhalten bleiben, bis grundsätzlich über deren Rechtmäßigkeit entschieden sei.
Inzwischen jedoch arbeitet die Zeit für den strammen Sittenwächter am Rhein. Am 1. April tritt der – unter anderem vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (ebenfalls Sozialdemokrat) erfundene – neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft. Jürgen Büssow hat Fakten geschaffen, die nun nachträglich zum Gesetz erhoben werden. Und inzwischen mag auch niemand mehr über den technischen Unfug lachen, den Büssows erste Weisung noch enthielt. Die Bürgerrechtsinitiative Odem (www.odem.org) berichtet über Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der Universität Dortmund und mehrerer Unternehmen. Sie kommt zu dem Schluss, dass Filter dieser Art durchaus erfolgreich entwickelt werden können.
Und unverhohlen freudiger Zuspruch kommt inzwischen auch von Seiten der Wirtschaft – nicht der Provider, sondern der Medienproduzenten. Dort möchte man im Zuge der Neuordnung des Urheberrechts am liebsten gleich das ganze Internet unter Kontrolle bringen, weniger um den Import hierzulande strafbarer Propaganda auf ausländischen Servern zu verbieten, sondern um den freien Zugriff auf urheberrechtlich geschützte Dokumente jeder Art zu unterbinden.
Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Heise Online“ (www.heise.de) will das Verwaltungsgericht in Köln noch in dieser Woche die Klage zweier weiterer Unternehmen gegen die Verfügung wie auch gegen die Anordnung ihres sofortigen Vollzugs entscheiden. Danach steht der Spruch des Oberverwaltungsgerichts Münster bevor. Es wird in einem Sammelverfahren insgesamt acht Beschwerden behandeln. „Spätestens im März“, sagt ein Sprecher des Gerichts, werde im Eilverfahren entschieden, ob der sofortige Vollzug der Sperrungen zulässig sei. Man warte nur die Kölner Entscheidung ab, die Arbeit an dem Fall sei in vollem Gang.
Auch die Gegenseite arbeitet schwer. Verschiedene Hackerprogramme zur Umgehung solcher und ähnlicher Blockaden werden entwickelt. Noch aber besteht die einfachste Art, Jürgen Büssows politische Moral zu unterlaufen, darin, den Provider zu wechseln. Weder der Marktführer T-Online noch AOL, die Nummer zwei, haben bisher die Düsseldorfer Anordnungen offiziell auch nur zur Kenntnis genommen. Die gesperrten Seiten sind dort frei zugänglich.