: Später Nachklang
Seit zwölf Jahren gibt es die Arbeitsgruppe „Frauen im Exil“ in der Gesellschaft für Exilforschung. Auf deren Jahrestagungen werden seit 1990 geschlechtspezifische Aspekte von Emigration und Verfolgung aufgearbeitet. Themen wie „Schriftstellerinnen oder bildende Künstlerinnen im Exil“ standen dabei auf der Tagesordnung. Exilerfahrungen von Frauen in New York, der Schweiz, der Sowjetunion. Auch die Bedeutung von Erinnerungsliteratur von Frauen wurde auf einer Tagung thematisiert.
Die jüngste Tagung am Oberstufenkolleg in Bielefeld, Ende 2002, beschäftigte sich unter dem Titel „Echolos?“ mit „Klangwelten verfolgter Musikerinnen in der NS-Zeit“. Fast alle Komponistinnen und Interpretinnen, deren Karriere durch das „Dritte Reich“ unterbrochen wurde, sind unbekannt geblieben. Ausnahmen mögen die Komponistinnen Pia Gilbert und Ruth Schoenthal sein oder die Sängerin und Kabarettistin Isa Vermehren.
Ins Leben gerufen wurde die Arbeitsgruppe „Frauen im Exil“ von Beate Schmeichel-Falkenberg. Die 76-Jährige hat, was für ihre Generation gar nicht ungewöhnlich ist, eine Patchworkbiografie. Neben ihren heutigen Passionen – Exilliteratur sowie Leben und Werk von Tucholsky – war sie Lehrerin, Moderatorin bei der ARD und in den Sechzigerjahren Journalistin bei der BBC. In London begann sie, sich mit weiblichen Exilbiografien zu beschäftigen. Später baute sie bei Tübingen eine Schule für behinderte Kinder auf und leitete sie. Die Exilforschung hat erst in den Siebziger- und Achtzigerjahren einen Aufschwung erhalten.
„Fragen nach Schuld und Verantwortung sowie der Auseinandersetzung mit den Opfern ist man in der Wirtschaftswunderzeit aus dem Weg gegangen“, sagt Schmeichel-Falkenberg. Erst die Nachkriegsgenerationen haben das Thema Exil und Verfolgung in Angriff genommen. Das hat aus Sicht von Schmeichel-Falkenberg mehrere Gründe. Zum einen war für Leute, die nach dem Krieg geboren wurden, die Schuldfrage in eine Frage der Verantwortung übersetzbar. „Vor allem die Achtundsechziger- und die Enkelgeneration, die heute um die Vierzigjährigen, haben diese Verantwortung für das Tun ihrer Eltern und Großeltern angenommen“, so Schmeichel-Falkenberg.
Hinzu kommt, dass traumatische Erfahrungen meist erst viele Jahre später erzählt werden können. In den Achtzigerjahren eroberten Biografien von Verfolgten den deutschen Buchmarkt. Warum so spät? „Menschen, die im Alltag funktionieren müssen, verdrängen das Geschehene. Aber die, die ihr Leben Revue passieren lassen, die sich das näher rückende Lebensende vergegenwärtigen, wollen darüber sprechen. Vor allem, wenn die Enkel sie befragen“, meint Schmeichel-Falkenberg.
Bei der Aufarbeitung der Verfolgung fielen geschlechtsspezifische Diskussionsansätze anfänglich nicht ins Gewicht. Das hat Schmeichel-Falkenberg vor mehr als zwölf Jahren veranlasst, explizit nach dem Schicksal von Frauen, die emigrieren mussten, zu fragen. Dabei wird der Begriff „Exil“ als erweiterter Verfolgungsbegriff verstanden.
Auf der 13. Tagung der Arbeitsgruppe „Frauen im Exil“, die im November 2003 stattfinden wird, geht es um „Als Kind verfolgt – Anne Frank und die anderen“. Infos unter www.exil forschung.de/frauen/frauen.html. Musikerinnenarchive: www.orpheus trust.at; www.sophie-drinker-institut .de und www.archiv-frau-musik.de
WALTRAUD SCHWAB