: Ilse Fromm-Michaels und Babette Dorn
Außer vielleicht in Detmold ist Ilse Fromm-Michaels wohl nirgends mehr bekannt. Dabei war sie vor der Machtergreifung der Nazis eine erfolgreiche Pianistin und Komponistin. Die 1888 Geborene spielte Regers Bach-Variationen, sie spielte Rachmaninow, sie spielte Bachs Goldberg-Variationen mit allen Wiederholungen. Achtzig Minuten ohne Pause. „Elefantenstücke sind das“, sagt Babette Dorn. Selbst Pianistin, sorgt sie für die Renaissance der vergessenen Vorgängerin.
Als Interpretin liebte es Fromm-Michaels, sich von der Musik ihrer Zeitgenossen – Schönberg, Bartók, Schulhoff, Rachmaninow – herausfordern zu lassen. Sonst ganz kühle Norddeutsche, ging sie am Klavier aus sich heraus. Die Kritik war begeistert. Als Komponistin hingegen hat Fomm-Michaels zurückgegriffen auf spätromantische Wohlklänge – und diese mit wütendem Aufbruch verbunden. „Ihre Musik zeigt, dass in jener Zeit alles in Bewegung war“, sagt Babette Dorn.
Die 36-jährige Dorn fand in Ilse Fromm-Michaels ihr Alter Ego. Deren musikalische Unkonventionalität und ihr Eigenwille faszinieren sie. „Fromm-Michaels hat aus dem Klavier heraus komponiert. Man merkt, dass sie das Instrument hervorragend beherrschte. Ihre Stücke sind überaus virtuos“, erläutert Dorn, die an der Musikhochschule in Detmold studierte. Einmal gab ihr eine Lehrerin ein Stück der Komponistin. So blieb der Name hängen. Später fand sie in der Bibliothek des Mailänder Konservatoriums zufällig den „Langsamen Walzer“, das vermutlich letzte Werk von Fromm-Michaels, das um 1950 entstand, und entdeckte in ihm viel Sehnsucht und Leidenschaft. Hellhörig geworden, kontaktierte sie Jost Michaels, Klarinettist und Professor in Detmold, den Sohn der Komponistin, um mehr über dessen Mutter zu erfahren.
Mit zehn Jahren hat Fromm-Michaels ihr erstes Stück komponiert, eine Polka. Mit dreizehn – um die Jahrhundertwende – kam sie ans Konservatorium in Berlin. Ein Wunderkind. Ein Wundermädchen. In den folgenden dreißig Jahren reüssiert sie als freigeistige Komponistin und als Pianistin, die keine Scheu vor neuer Musik zeigt.
Nach 1933 aber wurden ihre Werke nicht mehr gedruckt und ihre Auftritte verboten. Das letzte Konzert bis zum Ende des Krieges gab sie 1937. Ilse Fromm-Michaels galt als „jüdisch versippt“. Sie war mit einem Juden verheiratet und weigerte sich, die Scheidung einzureichen. Unter dem Verlust des sozialen, materiellen und künstlerischen Umfelds überlebten das Paar und der Sohn.
Nach dem Krieg versuchte sie als Pianistin an ihre frühere Leichtigkeit und ihre Erfolge anzuknüpfen. Vergeblich. Zehn Jahre reichten, um sie ins Vergessen zu stürzen, trotz der Ehrungen, die Fromm-Michaels in der Adenauerära noch zuteil wurden. 1957 wurde sie zur Professorin an die Hamburger Hochschule berufen. Nicht in Komposition allerdings, sondern als Musikpädagogin. Da war sie bereits 69 Jahre alt. 1986 starb sie in Detmold.
„Warum hat sie in den Fünfzigerjahren aufgehört zu komponieren?“, fragt Babette Dorn, die eine CD mit allen Klavierwerken der Komponistin eingespielt hat. Sie vermutet: „Fromm-Michaels ist mit der neuen Welt nicht klargekommen. Sich dem Verdrängen der Nachkriegszeit künstlerisch zu stellen, wie soll das gehen?“ Vor allem angesichts der kompositorischen Ideen, die sie vertrat. „Bei aller Klugheit tragen ihre Stücke eine große Freiheit in sich. Ihre Musik ist exakt komponiert und wirkt doch immer auch improvisiert“, sagt Dorn.
Sie, die Pianistin, die sonst gerne Schubert, Schumann, Castelnuovo-Tedesco, Godowski spielt und selbst keine Ambitionen hat, zu komponieren, ist die Einzige, für die es bei aller Tragik von Vorteil ist, dass Fromm-Michaels unbekannt ist. „Ich kann sie entdecken, ohne mich an früheren Aufführungen ihrer Werke orientieren zu müssen. Das hat etwas Befreiendes, zutiefst Kreatives“, sagt Dorn. Beide Pianistinnen spielen neue oder unbekannte Musik. Die künstlerische Selbstverwirklichung, die dabei möglich ist, teilen sie als Erfahrung.
Am Donnerstag, dem 13. Februar, um 20 Uhr spielt Babette Dorn im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin Klavierwerke von Ilse Fromm-Michaels; Informationen unter www.konzerthaus.de