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Archiv-Artikel

Der fahrende Filmvorführer

Sein Leben dreht sich um Flügelblenden, ein Schaltgerät und wahres Kino. Karlheinz Opitz hasst Knopfdrücker ebenso wie verbiesterte Omas.Mit mit zwei DDR-Filmprojektoren hat er sich seinen Traum verwirklicht und serviert Kino und Suppe

„… und, wenn er den Film nicht gut findet, geht – schnell und leise“

von ULRICH SCHULTE

Wenn wir die Geschichte wie einen Film beginnen lassen, wie das Porträt eines Filmvorführers, dann schwenkt die Kamera jetzt langsam weg von dem leuchtenden Rechteck, hinein ins Halbdunkel des Kneipenraumes. Sie ruht vielleicht kurz auf dem Gesicht des kleinen Mädchens, das so gebannt vor der Leinwand sitzt, wie es nur Kinder tun. Ganz vorn auf der Stuhlkante, den Kopf in beide Hände gestützt. Die Kamera würde weiterfahren und schließlich am Gesicht von Karlheinz Opitz hängen bleiben, der hinten zwischen den Projektoren steht und um den es geht. Großaufnahme.

Er hat etwas von John Travolta, sagt der Fotograf. Zu Recht, nur dass Travolta das Haar nicht zu einem langen Zopf gebunden tragen würde und keinen Ohrring links. Karlheinz Opitz, 35, hat außerdem einen seltenen Beruf: Er ist selbstständiger Filmvorführer und braucht etwas mehr als eine Stunde, um jeden Raum in ein Lichtspielhaus der 50er-Jahre zu verwandeln. Er tut dies zweimal in der Woche.

Es läuft „Wir Kinder aus Bullerbü“, was nicht weiter von Belang ist. Lichtpunkte zittern in den warmen, leicht gelbstichigen Bilder von Blumenwiesen. Das sind Kratzer auf dem 35-Millimeter-Band, das durch die Projektoren surrt. Sie sind laut, und deshalb sind die besten Plätze vorn. Ein Vater hat den Arm um seinen Sohn gelegt, der grummelige Schuster stolpert in Bullerbü, das Leben ist schön an diesem Sonntag in Kreuzberg. Draußen ist Winter, drinnen Sommer. Der Film läuft gerade ein paar Minuten, da beschließen Lisa, Lasse und die anderen, nur noch das schön zu finden, was sie wollen. Genauso hat Karlheinz Opitz es auch gemacht.

Im Frühjahr 2002 hatte er es satt. Opitz, damals Vorführer im „Filmpalast“, kündigte. Er konnte es nicht mehr ertragen, dass Schreibtischtäter bestimmen, wann mal wieder ein Hollywoodstreifen den Umsatz steigern musste. Nicht nur dass es einen fertig macht, tagein, tagaus „Sweet Home Alabama“ einzulegen. Es ist auch das Publikum. Die Omas. Nicht die von der netten, der angenehmen Art. Die verbiesterten. Die, die um den Ku’damm herum wohnen, viel Geld und noch mehr Zeit haben, denen die Tage lang werden an dem alt gewordenen Prachtboulevard. Die Filme in dieser Art aussuchen: Och, der is ja mit Julia Roberts, den gucken wir uns an, und hinterher gehen wir noch ein Stück Torte essen. Diese Sorte. „Ich war damals richtig verbittert“, sagt Karlheinz Opitz.

Schon vor Jahren hat er damit begonnen, Technik zusammenzukaufen. Zwei DDR-Filmprojektoren, Modell TK 35, Baujahr 1956, Carl Zeiss Werke Jena, von privat für 1.500 Mark. Viel hat er aus Theatern, die es heute nicht mehr gibt. Eine Leinwand aus dem Olympia Kantstraße, die Bassbox aus der Lupe Eins, den Verstärker aus dem Notausgang. Seit September zieht er mit diesem Sammelsurium Berliner Kinogeschichte durch die Stadt und macht wahres Kino – Dogmafilme wie „Italienisch für Anfänger“, viele europäische Stücke, Filme aus Mexiko, Spanien oder Australien.

Opitz’ Leben beginnt in Nienburg an der Weser. Sie sind dort stolz auf das Patrizierhaus und den Bibelgarten, was einiges sagt über Nienburg. Ein Städtchen mit 33.000 Einwohnern, wo wenig Platz ist für Jungen, die nicht von einer Lehre bei der Ortssparkasse träumen. Karlheinz hat nicht hierher gepasst, er fiel durch das Abitur, brach eine Lehre ab und dann, als er zwanzig Jahre alt war, ging er in die große Stadt Berlin, die ein aufregendes Leben und die Befreiung vom Wehrdienst versprach. Sein Kinoleben begann. Anfangs ging er noch ins Oberstufenzentrum Kreuzberg, Fachrichtung Metalltechnik, ließ das aber schnell sein, als der Nebenjob immer wichtiger wurde. Den hat er am Kurfürstendamm gefunden, der damals, Ende der 80er, noch seine große Zeit hatte: Kartenabreißer im Gloria. Sie lebten in Furcht vor dem Besitzer, einem alten Kinomogul, der selbst halb blind und taub noch mit verstellter Stimme bei der Kasse anrief. Dann der Wechsel in den Filmpalast zu dem dynamischen Jungunternehmer Flebbe, der später mit der Cinemaxx-Kette reich wurde. Opitz hat alles gemacht, war Türaufhalter oder Süßwarenverkäufer und irgendwann dann Filmvorführer. Ein Zwischenspiel im Adria, Steglitz, als Theaterleiter. Die Tage gingen schnell rum.

Doch wie gesagt, dann ging es nicht mehr. Vielleicht hatte Opitz einfach auch nur Angst, wunderlich zu werden, wortkarg, wie manche Kollegen mit der Zeit, weil sie fünf Tage die Woche das Tageslicht zu selten und ihre Maschinen zu häufig sehen und diese nicht reden können.

Eine alte Freundin ließ mit einer Anekdote die Idee vom eigenen Kino wachsen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, erzählte sie, gab es die Pantoffelkinos. In Hinterhöfen, die jeder kannte, standen Projektoren. An besonderen Tagen schlurften die Nachbarn der umliegenden Mietsblöcke herbei, in Pantoffeln natürlich, und ließen sich für ein paar Pfennig aus dem harten Nachkriegsalltag entführen. Dazu gab es immer eine Kelle Suppe zum Aufwärmen. Kino mit Suppe.

Diese Geschäftsidee hat die filmbegeisterte Frau von der IHK sofort überzeugt und auch das Arbeitsamt, das Überbrückungsgeld zahlt. Anders ginge es nicht. Vier Euro nimmt Opitz für einen Abend. Ein Euro geht an den Filmverleih, ein weiterer ans Max und Moritz für Raummiete und Heizkosten. Den dritten gibt er für Zwiebeln, Kürbisse, Tomaten oder Reis aus, der heute zu weich geworden ist.

„Ich erwarte, dass der Besucher gezielt einen Film aussucht, sich einlässt …“

Karlheinz Opitz schleppt die Technik in schweren Holzkisten in seinen Renault, befiehlt Tristan, seinen Schnauzermischling, auf den Beifahrersitz und fährt gen Osten. Ziel ist der RAW-Tempel, ein ehemaliges Industriegelände in Friedrichshain, wo er seine Filme auch zeigt. Die Wände sind besprüht, das Klopapier ist rar und Geld ein kapitalistisches Machtwerkzeug.

Ein Typ, er sieht aus wie Che Guevara in Schmal und etwas älter, schleicht sich an Karlheinz heran. „Was zeigsten gleich?“ „Milagro von Robert Redford.“ „Kann ich mich reinsetzen, ich mein – so ohne finanzielle Verpflichtungen?“ „Sicher, du fragst ja wenigstens. Ich mag es nur nicht, wenn Leute ständig einfach so reinkommen und stören.“ „Nee, schon klar, dann haben wir keine unterschiedlichen Wahrnehmungen. Ich kann ja gleich ein bisschen helfen.“ Che bleibt, raucht aber lieber Gras, anstatt zu helfen. Opitz stört das nicht, er ist ein netter Mensch. Eine Zeit lang hat er einem Kumpel, „der es wirklich nötig hatte“, die Hälfte der Einnahmen versprochen. Nur dafür, dass er beim Auf- und Abbau ein paar Kisten schleppt. Auf solche Geschäfte kommt nur ein Träumer, aber immerhin lebt Opitz seine Träume.

Geld ist nicht wichtig. Er findet, das Ganze hat mit Respekt zu tun. Mit Achtung vor Filmen, die er manchmal altmodisch „Werke“ nennt, und vor seiner Arbeit. Er mag Leute nicht, die „ein Kino als Ort zum Abhängen sehen“, laut Popcorn essen und Szenen kommentieren. „Ich erwarte eine bestimmte Art der Wahrnehmung. Dass man gezielt einen Film aussucht, vielleicht einen Tick früher kommt, sich einlässt. Und wenn man es nicht gut findet, geht – schnell und leise.“

Ebenso wenig mag er Kollegen, die keine Ahnung haben. „Die Knopfdrücker“, die nicht verstehen, dass man die Flügelblende nachjustieren muss, wenn weiße Schrift auf Schwarz schliert. Wenn Opitz aufbaut und die Projektoren, jeder so schwer wie eine Kiste Sprudelwasser, auf die Stative wuchtet, sieht das mühelos aus. Leichte, fließende Handgriffe, keiner zu viel. Richtig pfiffig konstruiert seien die Geräte. Die Vorwickel- und Nachwickelrolle zusammengelegt. In einem Rad! „Andere Projektoren haben zwei.“ Die Flügelblende! „24 Bilder laufen pro Sekunde durch, aber sie belichtet jedes zweimal.“ Die Spiegelklappe! „Mit der lässt sich das Bild wirklich supertoll einstellen.“ Er streicht über gehämmerten Stahl und hält dann inne. „Na ja, ich mag die halt total gerne“, sagt er, als sei ihm ein peinliches Kompliment unbedacht herausgerutscht. „Na ja“, sagt er noch mal und grinst. Der Mensch vom RAW-Tempel will wissen, ob er das Licht ausmachen soll. Opitz sagt Bescheid, und es wird dunkel. Er dreht einen der dicken Knöpfe am Kinoschaltgerät, die sich nur mit einiger Kraft bewegen lassen, bis sie laut einrasten. Der linke Projektor rattert los. Die Leute wenden ihre Köpfe, es wird still im Raum, Opitz steht an seinem Platz, zwischen den Projektoren, die eine Hand am Tonsteuer. Und plötzlich hat man eine Ahnung, was ihn daran fasziniert, mit einem Plastikstreifen und einem Lichtstrahl, 750 Watt stark, Geschichten lebendig zu machen.

Kino mit Suppe gibt es samstags um 22 Uhr im Max und Moritz, Oranienstr. 162, Tel. 69 51 59 11, und sonntags um 21 Uhr im RAW-Tempel, Revaler Str. 99, Tel. 2 92 46 95. Ab 1. Februar läuft die mexikanische Liebesgeschichte „Bittersüße Schokolade“.