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Archiv-Artikel

Auch die OSZE schaut lieber weg

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Sang- und klanglos haben die Vertreter der OSZE in Tschetschenien ihren Beobachtungsposten geräumt. Leise wie Ornithologen, darauf bedacht, die Fauna nicht unnötig in Unruhe zu versetzen. Mit dem Abzug der Repräsentanten der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit“ aus dem kaukasischen Krisengebiet geht ein trauriges Kapitel Kooperation zwischen der Wiener Behörde und Russland zu Ende.

Erst im Juni 2001 hatte Moskau nach jahrelangem Tauziehen der Einrichtung eines OSZE-Büros im von Russen kontrollierten tschetschenischen Dorf Snamenskoe zugestimmt. Bis dahin waren die internationalen Beobachter gezwungen, dem Geschehen im Kaukasus vom 2.000 Kilometer entfernten Moskau aus zuzusehen. So wollte der Kreml verhindern, dass die Organisation an ihre erfolgreiche politische Mittlerrolle im ersten Tschetschenienkrieg 1994 bis 1996 anknüpft. Damals war es der OSZE gelungen, Grosny und Moskau zur Unterzeichnung des Waffenstillstands von Chasawjurt zu bewegen, dem „Schandfrieden“, wie ihn Russlands Militärs und Politiker seither schimpften, und den sie im Herbst 1999 wettzumachen angetreten sind.

Das endgültige Njet zur Verlängerung der Mission fällte Moskau schon im November. Der Kreml sei zwar bereit gewesen, das Mandat zu verlängern, zu Bedingungen indes, die für die OSZE nicht akzeptabel waren, sagt diese. Im Klartext: Moskau verlangte den Rückzug der Vertretung aus der Krisenregion ins Zentrum und einen generellen Verzicht auf jegliche politische Mittlerrolle. Stattdessen hätte man es gerne gesehen, wenn sie ihre Hilfe im humanitären Bereich, den Moskau sträflich vernachlässigt, ausgebaut hätte.

Trotz des Affronts halten sich die Vertreter der OSZE in Moskau und Wien bei der Kommentierung der russischen Maßnahmen auffällig bedeckt. Die 55 Mitgliedsstaaten arbeiten nach dem Konsensprinzip. Das wirkt sich stets auf die Formulierung der Verlautbarungen aus. Doch selbst vor diesem Hintergrund überrascht die Vorsicht der Beobachtermission im Umgang mit dem in Tschetschenien marodierenden Russland.

Der Niederländer spricht nicht über Grosny

In dieser Woche übernahmen die Niederlande die Ratsherrschaft der OSZE. Der niederländische Ministerpräsident nannte den Tschetschenienkonflikt in der Antrittsrede mit keinem Wort. Man habe Dinge geerbt, die einer Lösung harrten, fabulierte er. „Natürlich beziehe ich mich im Besonderen auf die Situation im Kaukasus.“

Der Kaukasus erstreckt sich über das Gebiet vier souveräner Staaten. Moskau muss sich daher nicht angespochen fühlen, im Gegenteil – seit der Bildung der Antiterrorkoalition nach dem 11. September übernahm Nachbar Georgien die Rolle des Sündenbockes. Der Kreml beschuldigt Tiflis nicht nur, den Tschetschenienkrieg am Kochen zu halten, sondern im Pankisital auch den Hort des internationalen Terrorismus zu beherbergen.

Moskaus Außenminister Igor Iwanow gab sich zum Jahresende offener als seine Kollegen von der OSZE. Er machte keinen Hehl aus dem Motiv, die Sicherheitsorganisation ganz aus der Konfliktregulierung verdrängen zu wollen. Die OSZE hätte es versäumt, die neue Realität in der abtrünnigen Republik richtig zu bewerten. Die Lage in Grosny normalisiere sich, erklärte der Minister, drei Tage nachdem tschetschenische Rebellen das Gebäude der moskautreuen Regierung ungehindert in die Luft gejagt hatten. Zweihundert Menschen starben oder erlitten schwere Verletzungen. Normalität …?

Tatsächlich ist die Situation derzeit so weit von einer Normalisierung entfernt wie nie zuvor. Umso ehrgeiziger versucht der Kreml, Potemkin’sche Dörfer zu errichten, sprich Pappfassaden aufzuziehen. Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie ist ein für März geplantes Verfassungsreferendum, das auch das Fundament für Präsidentschaftswahlen im Herbst legen soll. Hauptziel ist indes die Abstimmung über den Verbleib der Republik im russischen Staatsverband. Es ist unschwer das Ergebnis vorauszusagen: Eine überwältigende Mehrheit russische Fähnchen schwingender Tschetschenen wird sich für Russland aussprechen und nach der Wahl ihren Schändern tausend Dollar übergeben, um wenigstens die verstümmelten Leichen ihrer Verwandten auszulösen. Schon Stalin wusste, es kommt nicht darauf an, wer wählt, sondern wer zählt. Unter Kremlchef Putin haben solche Ansichten erheblichen Aufwind.

Auch der Bundeskanzler ist für das Referendum

Das Referendum ist auch von Gerhard Schröder als ein Schritt in Richtung Normalisierung gutgeheißen worden. Washingtons Botschafter in Moskau Alexander Vershbow versuchte sogar, das Mandat der OSZE mit dem Hinweis und dem Angebot zu verlängern, die Organisation könne das Referendum und die Wahlen beobachten. Wer wollte die Ergebnisse – versehen mit dem Stempel der Unbedenklichkeit – dann noch anzweifeln? Selbst diesen Freundschaftsdienst wies der Kreml zurück, denn zurzeit fühlt sich Moskau stark genug, auf fremden Beistand zu verzichten.

Bedenklich stimmt jedoch, dass die internationale Gemeinschaft Bereitschaft signalisierte, auf demokratische Grundstandards zu verzichten: Wahlen unter Bajonetten im schwelenden Kriegszustand galten bisher als nicht legitim. Zumal die Organisatoren des Referendums nicht einmal verheimlichen, dass an dem Urnengang auch die 80.000 vorübergehend stationierten russischen Soldaten teilnehmen. Das macht die Farce komplett.

Die Rebellen messen dem Abzug der OSZE aus Tschetschenien keine größere Bedeutung bei. Auf einer ihrer Websites heißt es: „Gott sei Dank ist der Mythos der OSZE-Präsenz endlich vorbei.“ Achmed Sakajew, der Emissär des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow, kommentierte von seinem Verwahrungsort in England aus, die passive Rolle der OSZE gegenüber den Menschenrechtsverletzungen habe die Schließung des Büros provoziert. Ein kompromissloses Urteil, das den Repräsentanten vor Ort, denen die Hände gebunden waren, wohl nicht ganz gerecht wird. Allerdings beschwerten sich sogar Mitarbeiter der russischen Menschenrechtskommission in Tschetschenien im persönlichen Gespräch über die auffallende Zurückhaltung der Beobachter des Europarates und der OSZE.

Aslambek Aslachanow, ein auf Ausgleich bedachter Abgeordneter Tschetscheniens in der Duma, glaubt auch nicht, dass sich nun an der Lage vor Ort etwas ändert: „Die Situation ist so schrecklich, dass es nicht mehr schlimmer werden kann“, sagte er mit Blick auf die Verbrechen der Militärs.

Der Finne möchte seine Pension genießen

Ein Wahrnehmungswandel wird sich dennoch einstellen, darauf verweist der Duma Abgeordnete Wladimir Ryschkow: Dem Kreml sei es endgültig gelungen, den Konflikt als eine rein innerrussische Angelegenheit darzustellen.

Eine rühmliche Ausnahme bei den westlichen Urteilen über das russische Vorgehen stellt der Medienbeauftragte der OSZE, Freimut Duve, dar. Er warnt seit längerem vor der „Lateinamerikanisierung“ und der „Perestroika ohne Glasnost“ im Putin’schen Russland.

Anna Politkowskaja, die sich mit aufwühlenden Berichten aus Tschetschenien weltweit einen Namen gemacht hat, wirft in der Nowaja Gaseta dem Alten Kontinent vor, in Tschetschenien „Europa entweiht“ zu haben. Besonders hart geht sie mit den führenden Vertretern der OSZE und des Europarates ins Gericht. Ihre Bitte, konkrete Verbrechen seitens der Militärs offen anzusprechen, habe der Leiter der OSZE-Mission, der Finne Jorma Inki, wiederholt mit den Worten abgetan: „Ich bin nur ein einfacher finnischer Opa, der seine Pension noch genießen möchte …“