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Archiv-Artikel

Die einzige Konstante in den Konzepten ist Größenwahn

Unendliche Geschichte: Seit Jahrzehnten trocknet der zentralasiatische Aralsee langsam aus. Die Rettungsprojekte klingen immer wahnwitziger

TASCHKENT taz ■ Ist der Aralsee noch zu retten? Diese Frage stellen sich Umweltschützer, aber auch einheimische Politiker immer wieder angesichts der deutlich zu beobachtenden Austrocknung des Gewässers zwischen Kasachstan und Usbekistan. Nach Schätzungen von Experten des UNO-Umweltprogramms (Unep) ist das einst viertgrößte Gewässer der Welt heute auf 25 Prozent seiner ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft und wird bis zum Jahr 2020 gänzlich verschwinden.

„Die zentralasiatischen Regierungen zeigen nicht mehr als Aktionismus, wenn es darum geht, den Aralseee zu retten“, sagt ein Beobachter in Taschkent, der die Wasser- und Umweltpolitik der Region seit langem verfolgt. „Sie appellieren an den Westen, aber sie selbst haben kein Konzept.“

Ihre Hilflosigkeit angesichts des einst über 400 Kilometer langen, austrocknenden Sees, dessen Salz und Sand bis in den arktischen Ozean geblasen werden, zeigten die zentralasiatischen Staatschefs zuletzt bei ihrem letztjährigen Gipfel in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe, als sie wegen des „globalen Desasters“ beschlossen, möglichst schnell einen Aktionsplan bis zum Jahr 2010 vorzulegen. Dazu forderten sie die Einsetzung einer UNO-Kommission, „die studieren soll, wie der Tod des Aralsees verhindert werden kann“.

Aber dass sie wohl selbst nicht mehr daran glauben, den See retten zu können, zeigt sich darin, dass der usbekische Präsident Islam Karimow in jüngster Zeit wieder ein sowjetisches Projekt aus den 80er-Jahren ins Gespräch gebracht hat. „Wenn Russland das will“, sagte er zum Beispiel in Duschanbe, solle ein Teil des Wassers des sibirischen Ob nach Zentralasien umgeleitet werden. Das Projekt eines über 2.500 Kilometer langen Kanals war erst 1986 abgeblasen worden – nur kurz nachdem Michal Gorbatschow an die Macht gekommen war. Begründung: Die Umweltfolgen seien unabsehbar und die Kosten zu hoch.

Der Ob fließt von Süden nach Norden. Um einen Teil seines Wassers auf die über 100 Meter höhere zentralasiatische Steppe zu heben, hätten gigantische Pumpwerke gebaut werden müssen. In den 70er-Jahren hatte die Sowjetunion geplant, durch kontrollierte Nuklearexplosionen einen 250 Kilometer langen Kanal von Pechora und Kama zur Wolga und ins Kaspische Meer zu sprengen, das Vorhaben jedoch nach der ersten Explosion 1973 wieder aufgegeben.

Doch das „Flussumleitungsschema“, wie das Projekt damals offiziell hieß, hat immer noch seine Anhänger in Moskau. „Dasselbe Team, das das Schema damals im sowjetischen Wasserwirtschaftsministerium entwickelt hat, sitzt heute noch im Umweltministerium“, meint Iwan Blokow, Mitarbeiter des Moskauer Büros von Greenpeace. Und es hat offenbar auch noch viele Anhänger in den konservativen Teilen der Bürokratie und der Armee, die den Zusammenbruch der Sowjetunion nie verwunden haben und die wissen, dass durch das Projekt die Abhängigkeit der vormaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken wieder größer würde. Anfang Dezember hat auch der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow an Präsident Putin geschrieben, er möge das Projekt ernsthaft prüfen. Bei dieser Gelegenheit kam heraus, dass Putins Kabinett ohnehin schon Ende November eine entsprechende Anfrage an das Umweltministerium gerichtet hatte.

Nach neuen russischen Schätzungen würde das Projekt 30 Milliarden US-Dollar kosten und wäre deshalb ohne die Finanzierung einer internationalen Organisation, wie etwa der Weltbank, nicht zu bezahlen. Der Vertreter der Weltbank in Taschkent hat wegen der nicht absehbaren Umweltfolgen schon abgewunken. Nach Befürchtungen von Greenpeace könnte sich durch die Umleitung des Ob das Klima der ganzen Region ändern oder sich das Gebiet des Aralsees in einen gigantischen Sumpf verwandeln.

Aber die strategische Bedeutung Zentralasiens für den Westen ist durch den von den USA erklärten „Krieg gegen den Terror“ enorm gewachsen, und deshalb wird sich erst noch herausstellen müssen, ob das neue Gewicht der Staatschefs der Region ausreicht, um jemanden ernsthaft für das Flussumleitungsschema zu interessieren. PETER BÖHM