piwik no script img

Archiv-Artikel

Die „Armutsfalle“ gibt es gar nicht

Neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung: Sozialhilfe hindert nicht daran, einen niedrig bezahlten Job anzunehmen

BERLIN taz ■ Die These wird immer wieder von Politikern und Wirtschaftsexperten heruntergebetet: Die Sozialhilfe in Deutschland ist zu hoch, deshalb nehmen viele Stützeempfänger keine niedrig bezahlte Arbeit an. Was an dieser Behauptung von der „Armutsfalle“ dran ist, versuchten jetzt Wissenschaftler in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung herauszufinden. Ihr Ergebnis: Die Armutsfalle gibt es so nicht.

In ihrer Untersuchung anhand von Armutsstudien, der Datensammlung des Sozioökonomischen Panels und Interviews kamen die Forscher zu dem Schluss, dass die Entscheidungen, warum Sozialhilfeempfänger Jobs annehmen, von sehr vielen persönlichen Faktoren abhängig seien. Keineswegs aber hingen sie in erster Linie von der Frage ab, ob sie mit einer Arbeit sehr viel mehr Geld verdienen würden, als die „Stütze“ beträgt.

So stellten die Forscher fest, dass ausgerechnet Sozialhilfeempfänger aus großen Haushalten, für die die finanzielle Anreizsituation eher nachteilig ist, relativ schnell wieder in Arbeit wechseln. Sie tun das, obwohl sie mit ihrem Arbeitslohn mitunter nicht viel mehr verdienen, als sie Sozialhilfe bekämen. „Die empirisch erhobenen Verweildauern in Sozialhilfebezug sind ausgerechnet bei Alleinverdienern mit mehreren Kindern am kürzesten“, resümieren die Forscher.

Die finanziellen Anreize, aus der Stütze wieder in Arbeit zu wechseln, seien zwar „nicht völlig bedeutungslos, aber doch recht klar von untergeordneter Bedeutung“, heißt es in der Studie. Die Nachteile der Sozialhilfe – das Stigma, die Konflikte mit Sozialamtsmitarbeitern, die langfristigen Folgen der Arbeitslosigkeit – spielten eine erhebliche Rolle bei dem Wunsch, wieder in Arbeit zu kommen.

Die Studie bekommt deshalb besondere Bedeutung, weil auch im unlängst bekannt gewordenen Strategiepapier aus dem Kanzleramt erneut darauf hingewiesen wurde, dass Sozialleistungen „ein finanzielles Hindernis für Arbeitslose auf ihrem Weg in die Wiederbeschäftigung“ darstellten. Im Klartext: Es wird beklagt, dass der Abstand zwischen Arbeitslohn und Sozialhilfe nicht ausreichend sei. In dem Strategiepapier wird das Beispiel einer fünfköpfigen Familie zitiert, deren Sozialhilfeanspruch höher liegt als ein niedriges Vollzeiteinkommen. Mit diesem Beispiel wird immer wieder Politik gemacht. Dabei machen Haushaltsgemeinschaften mit fünf und mehr Personen einen Anteil von nicht einmal vier Prozent aller Sozialhilfe-Haushalte aus.

BARBARA DRIBBUSCH

R. Gebauer, H. Petschauer, G. Vobruba: „Wer sitzt in der Armutsfalle“, edition sigma