feuilleton, volker gerhardt etc. : Zu viel Staatsgläubigkeit in der Klon-Debatte
Monolog an die Mächtigen
Der Wirtschaftsteil steht rechts, das Feuilleton links. So lautete mal ein beliebter Spruch. Das ist etwas her. Gegenwärtig scheint sich allerdings zwischen diesen Ressorts eine andere, fürs Feuilleton peinliche Leitdifferenz herauszuschälen. Die Wirtschaftsteile trauen dem Einzelnen alles zu; man müsse ihn nur von gesellschaftlichen Gängeleien befreien, dann werde es schon wieder aufwärts gehen – so die dort zentral vertretene These. Jo. Und das Feuilleton traut den Individuen gar nichts mehr zu, keine Entscheidungskompetenz, keine Aufgeklärtheit, gar nichts.
Hängen Sie vielleicht noch der Meinung an, gerade das Feuilleton müsse für mündige Bürger gemacht sein? Na, dann lassen Sie doch mal einige vom Frankfurter Leitfeuilleton forcierte Debatten der jüngeren Zeit vor Ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Nach dem Amoklauf von Erfurt wurde – nicht ohne begleitende Schmähungen liberaler Medienpraxis – ein Verbot von Computerspielen sowie eine Beaufsichtigung des Internet gefordert. Auch die Walser-Debatte wurde von der FAZ letztlich als Verbotsdebatte geführt; so was dürfe, so der unterschwellige Tenor, gar nicht erst unter die Leute kommen. Als wären die Leser nicht selbst in der Lage, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Dasselbe Schema bei der Aufstandsdiskussion gegen die wiedergewählte Bundesregierung. Im Grunde genommen ist es eine Frage des Adressaten. Für die FAZ gibt es offenbar nur Intellektuelle, die wissen, wo es langgeht, und Mächtige, die dieses Wissen doch, bitte sehr, zu exekutieren haben – oder sonst das Weite suchen sollen. Leser kommen nur als Zuschauer dieses Monologs des Wissens an die Macht vor, wobei eine immense Staatsgläubigkeit dahinter steckt: Im Zweifel hilft nur der Gesetzgeber, um die Einzelnen in Schach zu halten – alldieweil sie sonst allerlei Unsinn machen würden (Ballerspiele spielen, antisemitisch werden, Deutschland ruinieren).
Der Philosophieprofessor Volker Gerhardt hat nun im Tagesspiegel darauf hingewiesen, dass auch die aktuelle Klon-Debatte diesem Muster folgt. In der Tat erblühen derzeit seltsame Fantasien. Am liebsten, so scheint es, würde sich alle Welt wohl ein passendes Monster für zu Hause klonen, und Eltern würden demnächst schon aus Prinzip nur noch blonde und blauäugige Babys in die Welt setzen. Gerhardt: „Selten hat man so massiv vorgetragene Forderungen nach einem starken Staat vernommen wie in einigen Feuilletons der letzten Wochen.“ In Frankfurt wurde er gut verstanden. Das zeigt die FAZ von gestern, die neben persönlichen Schmähungen Gerhardts für seinen Begriff des „selbstbewussten Einzelnen“ nur Häme übrig hatte. Außerhalb von Redaktionsgebäuden scheint es für sie so was nicht zu geben; lieber gleich auf die Mächtigen einreden!
Volker Gerhardts Stoßseufzer zielte auch auf Jens Jessen, den Feuilletonchef der Zeit, der anlässlich der aktuellen Klonbaby-Ente – als sei er die ganze katholische Kirche und als würde das irgendwelche Probleme lösen – gleich das Leben als Ganzes heiligen und damit jegliche Debatte mit einem Tabu belegen zu müssen meinte. Gerhardt liegt wohl wirklich nicht falsch darin, eine Allianz aus antiliberalem und autoritärem Denken zu konstatieren. Dass auch Jessen die Leute da draußen nicht schätzt, hat er neulich mal gezeigt, als er ihnen die Fähigkeit absprach, den Rang etwa Johann Sebastian Bachs zu erkennen. Und solche Leute sollen am Genpool rumfummeln dürfen!
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht derzeit um wichtige Fragen, die der gesellschaftlichen Debatte bedürfen. Aber genau deren bedürfen sie eben wirklich. Und noch eine private Anmerkung. Feuilletonisten seien, so wird hier und da behauptet, abgehoben und eitel. Keine schönen Ansichten, aber irgendwie kann man damit leben. Ach, ihr Feuilletonisten, ihr seid doch immer so schrecklich staatsgläubig! Sobald sich diese Ansicht in unserer doch sehr liberalen Gesellschaft herumspricht, mag es sein, dass sich unsereiner seines Berufes ein wenig zu schämen beginnt. DIRK KNIPPHALS