: Eine Show, die an die Nieren ging
In der umstrittenen „Big Donor Show“ eines niederländischen TV-Senders sollte es eigentlich die Niere einer todkranken Frau zu gewinnen geben. Gewonnen wurde am Ende vor allem die Erkenntnis, dass heikle Themen heute nur mit moralischer Entrüstung unters Volk gebracht werden können
VON HENK RAJER
Einfach nur geil, schwärmen noch am Morgen nach der „Big Donor Show“ Sandra und Moniek von der fulminanten Wende in der Schlussminute der Organspende-Show des TV-Senders BNN. Die beiden 17-Jährigen aus Nijmegen sind mit ihrer Schulklasse unterwegs nach Prag und haben trotz der frühen Stunde im Regionalexpress nach Düsseldorf nur ein Thema: den Antiklimax am Ende der zuvor so heftig und kontrovers diskutierten Reality-Show am Freitagabend im holländischen Fernsehen.
„Die haben die ganze Welt gefoppt und es dabei dennoch geschafft, auf die prekäre Organspendesituation in Holland hinzuweisen“, sagt Moniek. Ihre Familie habe im Anschluss an die Sendung noch eine ganze Stunde mit offenem Mund dagesessen. „Das war großartiges TV“, sagt die junge Frau. „Davor ziehe ich meinen Hut.“ Sie sei zwar noch keine 18 und daher nicht zu einer Organspende berechtigt. Aber auch sie habe noch während der Sendung per SMS ein Spenderformular geordert
„Mission accomplished“, heißt das für BNN-Chef Laurens Drillich, der nach der Sendung mit diebischem Lächeln den Journalisten von ZDF, CNN, al-Dschasira, BBC und Nippon-TV verriet: „So unverschämt gelogen habe ich seit der Grundschule nicht mehr.“
Ein Jahr lang habe der Sender zusammen mit der Produktionsfirma Endemol („Big Brother“) wie in einem Komplott am Konzept der Show gefeilt. Das, so Drillich, wäre zweifellos nach dem Geschmack von BNN-Gründer Bart de Graaff gewesen, der vor fünf Jahren selbst an Nierenversagen starb, aber während der Show optisch wie akustisch allgegenwärtig war.
Die Niederländer erlebten am Freitagabend einen TV-Gimmick der Extraklasse. Die in den Tagen zuvor europaweit als „widerwärtig“ (The Guardian), „unmoralisch“ (Bundesärztekammerpräsident Hoppe) und „unwürdig“ (Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt) gegeißelte Organspende-Show stellte sich kurz vor Schluss als Fake heraus: 75 Minuten lang hatten bis dahin gut hundert Studiogäste und 1,2 Millionen TV-Zuschauer geglaubt, dass da vor ihren Augen die drei Nierenpatienten Esther-Claire (36), Vincent (19) und Charlotte (29) um das Organ einer dem Tode geweihten „Lisa“ wetteiferten. Diese sagte, sie habe nur noch ein halbes Jahr zu leben und wolle mit ihrer Niere das Leben eines Menschen retten, „der es verdient“.
Aber kurz vor dem Höhepunkt – der Bekanntgabe des Sieges eines von zwei verbliebenen Kandidaten – ließ Showmaster Patrick Lodiers die Blase platzen. Unmittelbar nachdem er „Lisa“ aufgefordert hatte, sich nunmehr für Vincent oder Charlotte zu entscheiden, „weil ganz Holland es jetzt wissen will“, unterbrach er das Spiel auf Leben und Tod und stellte Aug’ in Aug’ mit der Fernsehnation klar, „warum wir das hier eigentlich machen“.
Lodiers: „Wir haben keine Niere zu verschenken, das geht sogar uns zu weit! Lisa heißt in Wirklichkeit Leonie und ist kerngesund. Auch unsere drei ‚Kandidaten‘ waren eingeweiht. Aber sie sind tatsächlich krank und haben mitgewirkt, weil sie die Show als Chance gesehen haben, dieses Land wachzurütteln.“
Kein gutes Haar ließ der Moderator in seinem Schlussplädoyer an den Haager Politikern, von denen nicht wenige die Show im Vorfeld als „geschmacklos“ und „unethisch“ gebrandmarkt hatten und sie sogar verbieten lassen wollten. „Ihr habt den Mund so voll genommen, als es darum ging, die Show zu verhindern. Ihr sagtet zum Kulturminister: ‚Tu was, das muss man stoppen‘“, tönte Lodiers ins Mikrofon. „Aber nicht die Show, sondern die Realität ist schockierend. In unserem Land sterben jährlich 200 Menschen, weil sie nicht rechtzeitig eine Spenderniere erhalten. Die Wartezeit beträgt im Schnitt vier Jahre – mehr als in jedem anderen europäischen Land. Also: Tut was, aber diesmal an den Wartelisten.“
„Kandidatin“ Charlotte, die nach drei Spielrunden die meisten SMS-Stimmen auf ihre Person vereinigt hatte und, wäre die Show kein Fake gewesen, nach BNN-Szenario in vier Wochen eine von „Lisas“ Nieren bekommen hätte, zeigte sich euphorisch. „Es war sauspannend“, sagte die 29-Jährige. „Ich fand es großartig, dabei zu sein und kann nur hoffen, dass die Politik die mangelnde Spendenbereitschaft jetzt offensiver angeht. Caroline Klingers, die die „Big Donor Show“ in einem Dialysezentrum in Bussum verfolgte, sagte: „Es war brillant, wirklich. Und das Beste daran ist, dass es keine Verlierer gibt. Ich bin mir sicher, dass eine Sendung wie diese ihre Wirkung nicht verfehlen wird.“
Das hat die „Big Donor Show“ schon jetzt unter Beweis gestellt: 31.000 Niederländer haben noch am Abend der Sendung ein Organspenderformular von der angegebenen Webseite heruntergeladen.